Reifeprüfung
Vor einigen Wochen hat Ihnen Monsieur Rudolf etwas über die Percée du Vin Jaune erzählt. Am ersten Februarwochenende versammeln sich im Jura Weinfreundinnen und Weinfreunde, um dabei zu sein, wenn die Hefeflorschicht des neuen Jahrgangs durchstochen und der neue Wein sodann nach sechs Jahren und ein paar Monaten der Öffentlichkeit präsentiert wird. Dieses Jahr haben sie die Hefeflorschicht der 2011ers durchstochen. Das kann man als Folklore betrachten. Dass es gescheit ist, den Zweitausendelfer Vin Jaune jetzt schon zu trinken, behauptet niemand.
En primeur
Es gibt Gegenstücke zu dieser Veranstaltung. Das sind die diversen Verkostungen „en primeur“. Dabei kosten Fachkräfte den neuen Wein und urteilen über die Qualität des betreffenden Jahrganges. Das wird für gewöhnlich ab Ende März des auf den Jahrgang folgenden Jahres durchgeführt. In Bordeaux sind diese Verkostungen besonders beliebt. Einige Monate später werden diese Weine dann verschnitten. Auch das wird Folklore sein, vermutlich eine Spur sinnlosere.
Jahrgänge und Noten
Wenn sich der Rudl die Nachred‘ mancher Weinjahrgänge vergegenwärtigt, fragt er sich sowieso, welche Kriterien und Parameter in diese Beurteilungen einfließen. Die Jahresstreikstunden von Flughafenangestellten? Der Notendurchschnitt der 2C? Die Studien von Astrologinnen der Wiener Qualitätsblätter?
Jetzt hat es sich begeben, dass in den letzteren paar Jahren zwei Jahrgänge auf einander gefolgt sind, deren Zensuren nicht viel unterschiedlicher sein können hätten, 2014 und 2015. Ersterer herunter gemacht zum regelrechten Antiweinjahrgang, letzterer in den Himmel gelobt. Il faut se méfier.
Vielleicht passt es gerade, einmal zu schauen, wie die beiden Jahrgangsnachbarn ihre frühe Kindheit absolviert haben.
2014
… steht bei weiten Teilen der über Wein Schreibenden und Lesenden nicht so hoch im Kurs. Viel Regel und nicht gerade heiß. Ehrlich gesagt gilt der Jahrgang als hundsmiserabel. Die Jahrgangsbewertungskräfte schreiben dann, meistens ist das Ende August des betreffenden Jahres, von einem sogenannten „Winzerjahrgang“, der den Weinbauern alles abverlangt habe.
Weine, die ihren Jahrgang nicht zu kaschieren versuchen, zeigen sich oft nicht als Schmeichler. Das bedeutet nicht, dass sie das auf immer und ewig bleiben und nicht in ein paar Jahren umso spektakulärer brillieren, ähnlich Schülerinnen und Schüler, die man in der ersten Klasse, wenn das mit den Bestimmungen des Strafgesetzes vereinbar wäre, am liebsten an die Wand picken würde, die bei der Matura dann aber wirklich noch im positiven Sinn erahnen lassen, was mit Reifeprüfung gemeint sein könnte.
2014 in Savoyen
Der Winter hat mild begonnen, aber Mai ist die Sonne dann nicht gerade extrovertiert, ganz anders als der Regen. Im August betritt der Fils zum ersten Mal savoyardisches Territorium und rutscht dabei immer wieder aus, nicht etwas weil savoyardisches Parkett so glatt wäre, sondern weil fast überall ein mords ein Gatsch ist. Von den fünfzehn Augusttagen, an denen der Fils in Savoyen ist, hält es nicht ein einziger aus, vierundzwanzig Stunden im Trockenen zu verweilen. Einem Maxglaner wie dem Rudl fällt so etwas nicht einmal auf. Aber der Fils ist ein Kind der Grenze zwischen Wiener Becken und pannonischer Tiefebene. So oder so, der Rudl rekommandiert, die guten Weißweine aus 2014 noch ein Zeitl aufzuheben und gegebenenfalls die Fünfzehner vorher zu trinken. Monsieurs Riouspeyrous sieht das übrigens auch so. Auch für den Silex von Dagueneau dürfte das gelten, zumindest wenn man der Revue du Vin de France glaubt. Das österreichische Zentralamt für Wein hingegen bedauert, dass keine „höheren Mostgewichte“ möglich gewesen sind. Dem Rudl seiner Wahrnehmung nach sind die in den letzten Jahren immer mehr ein Problem als ein erstrebenswertes Ziel. Da zieht der Rudl doch die raffinierteren und frischeren Zweitausendvierzehner vor, auch wenn man sie vielleicht noch ein paar Jahre im Keller reposieren lassen sollte.
2014 in Österreich
Das Ganze fängt nicht gerade zum Vor-Kälte-Bibbern an. Viel zu warmer Jänner, nicht nennenswert besserer Februar. Der März noch wärmer. Irgendwie möchte man meinen, das warme Wetter habe damit sein Pulver verschossen. Der April ist wenigstens noch warm, aber verregnet. Da sind die Reben vegetationstechnisch noch zwei bis drei Wochen vorn. Im Mai ist es dann nicht einmal mehr warm. Und dann versucht sowieso nur mehr jeder Monat, seinen Vorgänger in der Kategorie Sauwetter in den Schatten zu stellen. Die konventionellen Vierzehner dürften eine Spur gesünder sein als die konventionellen Weine aus anderen Jahren, weil der permanente Regen die sogenannten Pflanzenschutzmittel im Handumdrehen immer wieder abwäscht. Sisyphos hätte seine Freude beim Spritzen gehabt. Geradezu konvenieren tut die Regnerei den Junganlagen.
Sommer und Herbst 2014 werden nicht aufgrund von Hitzewellen in die Geschichtsbücher eingehen. Deswegen (!) prognostiziert nicht nur der Rudl den Vierzehnern mehr Ausdauer als den Weinen vieler anderer Jahrgänge, freilich nur sofern gesunder Beeren verarbeitet worden sind. Von denen hat es halt nicht so viele gegeben. Die sind dafür phänomenal gut gewesen.
Ohne Botrytisverzögerer und anderen Hexenzauber sind elegante Weine mit sehr hoher Lagerfähigkeit entstanden. Die guten werden sicher noch ein Zeitl brauchen. Die anderen sollten schon getrunken oder einer anderen Verwendung zugeführt sein.
2015
… ist es warm gewesen, sehr sogar. Recht trocken ist es auch gewesen. Oidium und Meltau haben schon mehr gelacht als 2015. Man könnte 2015 mit einem gescheiten, fleißigen und höflichen Schüler vergleichen. Nicht unangenehm für eine Lehrkraft und die Idealbesetzung für einen Floridsdorfs next top Schwiegersohn Contest. Möglicherweise aber intellektuell nicht allzu herausfordernd und auch nicht besonders interessant. Warum fällt dem Rudl da jetzt der Bertl Braun ein?
Entsprechend sind die Noten für den Weinjahrgang 2015. Zugänglichkeit par exzellence.
Nach ein paar ziemlich verrückten Jahrgängen hat sich das Wetter in diesem Jahr etwas weniger extravagant benommen. Die Menge war gut, was in Anbetracht der vorhergegangenen Ernten für manche Winzer existenzrettend gewesen ist. Die Qualität war gut. Viele Zweitausendfünfzehner sind heute zugänglicher als ihre um ein Jahr älteren Geschwister, reife Frucht, gute Substanz, harmonisch.
Frühling optimal, Blüte detto, eher ungewöhnlicher, weil nächtlicher Hagel Anfang Mai im Kremstal, Kamptal und am Wagram. Der Sommer ist dann sehr heiß, Mitte August kommt rechtzeitig noch Wasser. Herbst wieder in der Tradition des Frühlings, im Unterschied zu 2006 oder 2011 aber wenigstens kühle Nächte.
Zierfandler, Friedrich Kuczera
Über den hat Herr Rudolf schon das eine oder andere geschrieben. Old school im besten Sinn.
Jacquère, Jacques Maillet
Der Name des Ortes, in dem Jacques wohnt, beschreibt den Wein möglicherweise treffender als Weinjournalisten. Motz
Sauvignon vom Opok, Maria und Sepp Muster
… nicht nur horizontal interessant, sondern ziemlich sicher auch vertikal mit den beiden Jacquères von Jacques Maillet
Grüner Veltiner Steinleithn, Geyerhof, Kremstal
Lieblingsveltliner von Caviste Rudolf
Schiste, Domaine des Ardoisières
Vierzig Percent Jacquère, dreißig Roussanne, zwanzig Pinot Gris und zehn Mondeuse Blanche. Südlage, aber in einer Gegend, wo sonst keine Weingärten mehr wachsen. Immer ist das nicht so gewesen. Aber dann ist die Aluminiumindustrie ins Tal der Tarentaise gekommen. Aus heutiger Sicht nicht unbedingt zukunftsträchtige Technologie. Das haben Michel Grisard und Brice Omont schon viel früher so gesehen und in Cevin, hoch oben auf einer Südlage mit bis zu sechzig Prozent Gefälle Terrassen angelegt. Ein Terroir für Wein als Antithese zum Gschloder aus Aluminiumkapsel und -doserl. Kaum Humusauflage, Schiefer und Glimmerschiefer, sauer, mit gutem Wärmespeichervermögen, in Anbetracht gravierenderer Witterungsunterschiede äußerst erwünscht. Die Schieferschichten sind in Cevin vertikal angeordnet. Das ist für die Verwurzelung der Stöcke nicht ganz unvorteilhaft ist. Dominique Belluard hält die Lage in Cevins für das aufregendste Weinterroir Savoyens.
Siebentausendfünfhundert Rebstöcke am Hektar, zehn bis fünfunddreißig Hektoliter Ertrag pro Hektar. Unesoterische Biodynamie, deren jede Handlung die Einzigartigkeit der Lage unterstreichen soll. Spontanvergärung. Und auch sonst wird in diesem Weingut nichts erzwungen, auch die Malo nicht. Hätte der Begriff „Naturwein“ eine nachvollziehbare Bedeutung, dann wäre er hier angebracht.
Der Rudl hat sich immer noch nicht entschieden, ob der den Schiste oder den teureren Quartz besser finden soll. Ein Vergleich der beiden Zweitausendzehner hat unlängst angedeutet, dass Schiste beim Aufmachen vorne ist. Nach ein, zwei Tagen hat ihn der Quartz dann aber überholt.
- Zierfandler, Friedrich Kuczera 2014, Gumpoldskirchen, Thermenregion (2,50/4)
- Zierfandler, Friedrich Kuczera 2015, Gumpoldskirchen, Thermenregion (2,50/4)
- Jacquère, Jacques Maillet, 2014 und 2015, Motz, Chautagne, AOC Vin de Savoie (4/6)
- Jacquère, Jacques Maillet, 2014 und 2015, Motz, Chautagne, AOC Vin de Savoie (4/6)
- Sauvignon vom Opok, Maria und Sepp Muster 2014, Schlossberg, Steirerland (3/5)
- Sauvignon vom Opok, Maria und Sepp Muster 2015, Schlossberg, Steirerland (3/5)
- Grüner Veltiner Steinleithn 2014, Geyerhof, Kremstal (4,50/7)
- Grüner Veltiner Steinleithn 2015, Geyerhof, Kremstal (4,50/7)
- Schiste, Domaine des Ardoisières, Cevin, Vin des Allobroges 2014 (7/11)
- Schiste, Domaine des Ardoisières, Cevin, Vin des Allobroges 2015 (7/11)
(in Klammern die Preise für das Sechzehntel und das Achtel)
…, aber nicht ausschließlich diese Weine gibt es glasweise
am Mittwoch, den 14. März und am Freitag, den 16. März
jeweils von 16 bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Im Übrigen ist Rudolf Polifka der Meinung, dass man den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag erklären sollte!
Vorschau auf die Lehrveranstaltungen vom 21. Und 23. März:
Osterweine. Jacquère
Herr Rudolf grüßt die Braven gerade so als wie die Goscherten!