Rebsorten sind überschätzt …
… und Dogmatismus auch. Darum lässt Caviste Rudolf den drei Lehrveranstaltungen über von den drei Erdzeitaltern geprägte Böden drei über Rebsorten folgen – seiner Verpflichtung zur Ausgewogenheit folgend. Im Prinzip ist so eine Weinhandlung im Nebenerwerb auch nichts anderes als eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, nur halt ohne Stiftungsrat. Gott sei Dank! Denn in so einem Stiftungsrat keifen, jammern und hetzen diejenigen besonders laut über einen Mangel an Neutralität, die das der Ausgewogenheit verpflichtete Medienunternehmen besonders unverschämt vor den Karren ihrer Interessen spannen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Jacquère
Über diese Rebsorte hat Ihnen, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, Weinschulrat Rudolf Polifka ganz sicher nicht alles, aber viel mehr als es eine Rebsorte, von der es zumindest auf dieser Welt nicht viel mehr als tausend Hektar Rebfläche gibt, erwarten lassen würde. Darum begnügt sich der Rudl dieses Mal mit einer Wiederholung des Skriptums von 2018 und 2017:
Jacquère
Wenn es in einer zweitausend Hektar kleinen Weinbauregion Massenwein geben kann, dann wird man in Savoyen Jacquère als dessen Rebsorte betrachten müssen. Mehr als tausend Hektar sind dort mit der autochthonen Jacquère bestockt. Ganz präzise hat sie ihren Ursprung, soweit man das rekonstruieren kann, in Abymes de Myans. Das liegt am nordöstlichen Rand des Chartreusegebirges, ungefähr dort, wo Jean Masson und die Giachino Brüder wohnen, was kein Zufall ist.
Die dicken Beerenschalen erlauben eine späte Reife. Am kalkreichen, steinigen Fuß der französischen Alpen ist das nicht ganz unwesentlich. Und sie schützen die engbeerigen Trauben vor Oïdium und Meltau.
Seinen bisweilen nicht ganz so guten Ruf verdankt Jacquère ihrer Fruchtbarkeit. Ohne Ertragskontrolle hängen an so einem Jacquèrestock, sofern er unter hundert Jahre jung ist, gleich einmal ein paar Kilo Trauben. Das konveniert, wenn man möglichst große Mengen zum Indenglühweinhäfenhinein- oder Demfonduehinterherschütten benötigt. Möchte man jedoch bei Blindverkostungen renommiertere Weißweine sekkieren, dann will der Ertrag begrenzt sein, von wem auch immer.
Ähnlich dem Grünen Veltliner scheint die relativ weite Verbreitung der Jacquère in Savoyen auf den möglichen hohen Hektarertrag zurückzuführen sein. Ähnlich dem Grünen Veltliner scheint bei der Jacquère nur im Fall restriktiver Ertragsbegrenzung etwas Gscheites herauszukommen. Anders als der Grüne Veltliner dürfte die spät reifende Jacquère aufgrund der Klimaerwärmung nicht so schnell ins Schwitzen geraten. Wenn es einmal sehr heiß ist, wird sie halt ein bissl reif. Aber immer noch nach fast allen anderen Rebsorten. Trockenstress ist mit entsprechend tiefen Wurzeln und in entsprechend vorgerücktem Rebstockalter auch nicht angebracht. Im Fall von klimawandelbedingten Wetterextremen ist allerdings auch die gute Jacquère mit ihrem Latein irgendwann einmal am Ende, weniger bei Spätfrost als bei Hagel.
Als Wein ist Jacquère eher blass bis weißgold. Dem Rudl seinem Geschmack nach stehen Alpenkräuter, Grapefruit, Bergamotte, Weißdorn, in äußerst gelungenen Fällen aneinander geriebener Feuerstein im Vordergrund. Manchmal kommen Mandeln, Haselnüsse und Lindenblüten dazu, wenngleich nie so intensiv wie bei Altesse.
Accorde
Wahrscheinlich zu oft endet Jacquère als Fonduebegleiter in den einschlägigen Skigebieten, als Winterwein, um nicht zu schreiben als Aprèsskiwein. Caviste Rudolf findet die Koalition mit dem Fondue säuretechnisch nicht ganz unpassend, ein bissl ideenlos aber schon. Kann man von einem Fondue nicht sowieso fast jeden Wein erschlagen lassen? So wie viele angeblich kongeniale Wildbegleiter gelegentlich auf ihren hohen Alkoholwert oder die Röstaromen in ihrem Fassl reduziert werden, läuft Jacquère neben dem Fondue Gefahr, zum Säureaufputz zu verkommen. Das ist schade und ein bissl vergleichbar mit einem Schulmeister – heute heißt man das „Lehrkraft“ und kaum eine solche scheint das zu stören, was wiederum dem Rudl die Frage nach der Beschaffenheit dieser „Kraft“ stellt -, der einen Schüler für dessen gesamte Schullaufbahn als Witzbold behandelt, nur weil der in der allerersten Stunde irgendeine mehr oder weniger lustige Bemerkung von sich gegeben hat.
Der kulinarische Deckel für den Topf einer gelungenen Jacquère, sofern man einen Wein als Topf bezeichnen kann, ist wahrscheinlich die Bachforelle. Das dezente Prickeln, der niedrige Alkohol, das kongeniale Zusammenspiel von Frische, Leichtigkeit und appetitanregendem Temperament der Jacquère erinnern den Rudl an einen Gebirgsbach während der Schneeschmelze. Wenn er bei vielen Weinen aus dem Elsass an den Rhein denkt, dann symbolisieren savoyardische den Zubringer eines Zubringers der Isère. Einem wie dem Rudl, der quasi neben, beziehungsweise in Wald- und Wiesenbächen seine Kindheit verbracht hat, der Donau aber erst im stolzen Alter von vierzehn gewahr wurde, stehen kleine Gebirgsbäche und Wasserfälle und ihre korrelierenden Weine vielleicht näher. Der ist mit der Bachforelle quasi per Du wie der Cagney mit seiner Limousine.
Quidquid id est, Frische, Lebendigkeit und Bekömmlichkeit der Jacquère schreiben förmlich nach einer Essensbegleitung. Darum nützt der Rudl wieder einmal die Gelegenheit, Sie daran zu erinnern, dass es ausdrücklich erwünscht ist, wenn Sie sich selber etwas zum Essen in die Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils mitbringen, ob das jetzt eine Bachforelle, eine Stelze – Monsieur Rudolf kocht die mit Heu und Chartreusekräutern – oder etwas ganz anderes ist. Wenn Sie sich etwas mitbringen, wird Ihnen der Rudl das mitgebrachte Papperl durch ein nach Möglichkeit von ihm selber höchst eigenhändig gefärbtes Bio-Osterei upgraden. Bringen Sie sich nichts mit, kriegen Sie ein solches Bio-Osterei selbstverständlich auch.
Crus
In und um drei Orte darf Jacquère einen Cru-Status beanspruchen, Abymes, Apremont und Chignin, alle drei im Combe de Savoie. Das Projekt, die gelungenen Exemplare dieser Crus im gereiften Stadium zu vergleichen, hat der Rudl nicht aufgegeben. Bis jetzt scheitert es daran, dass die Giachinos ihren Abymes nicht mehr machen und Caviste Rudolf noch keinen anderen passablen gefunden hat.
Wenn man die Auflistungen der alternativen Namen für „Jacquère“ auf Wikipedia liest, könnte man glatt den Eindruck gewinnen, dass da eh jeder sagen kann, wie er will. In der Gemeinde Roussillon etwa heißen sie die Jacquère Coufe-Chien. In Conflans gibt es zwar keine Weingärten mehr, aber auch eine lokale Sonderbezeichnung: Robinet. Das bedeutet Wasserhahn und könnte auf die Ertragsfreudigkeit anspielen. Bezeichnungen wie Altesse de Saint-Chef oder Roussette sind dann fast schon als Frotzelei oder Urheberrechtsverletzungen zu betrachten, aber bitte.
Sommerwein
Was man sicher sagen kann, ist dass gute Jacquères kristallinem Quellwasser ähneln und im Sommer ganz besonders die Qualitäten ausspielen.
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Jacquère „Jonona“ 2021, Côteaux des Girondales, Villaz, Vin de France, Haute Savoie (4,50/7)
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Don Giachino (méthode traditionelle) 2018, Domaine Giachino, Le Palud, Chapareillan, AOP Vin de Savoie (4,50/7)
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Apremont 2020, Domaine Giachino, Le Palud, Chapareillan, AOP Vin de Savoie (4/6)
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Jacquère 2018, Domaine Dupasquier, Aimavigne, AOP Vin de Savoie (3/5)
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Genesis 2020, Domaine de l‘Aitonnement, Aiton, IGP Vin des Allobroges (6,50/10)
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Jacquère 2015, Jacques Maillet, Motz, Chautagne, AOP Vin de Savoie (4,50/7)
Dass die Weine von Jacques Maillet neben denen von der Domaine Arretxea quasi so etwas wie Grundsteine für den französischen Teil der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils gewesen sind, das hat Ihnen, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, der Rudl schon das eine oder andere Mal mitgeteilt. Jacques Maillet befindet sich seit dem Jahrgang 2016 in der oenologischen Rente. Die letzten Flaschen, die der Rudl noch von ihm hat, sind nicht mehr im Sortiment. Aber die vorletzte Jacquère 2015 öffnet Caviste Rudolf diese Woche.
DONNERSTAG, 1. Juni von 17 bis 21 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Der 27. Jänner, der Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz, muss zu einem gesamteuropäischen Feiertag erklärt werden. Wer das Richtige feiert und weiß, was er dabei tut, ist nicht nur kein Würstel, sondern wird sich auch leichter tun, den Angriffen der Heimatparteien auf Demokratie, Menschenrechte und Aufklärung etwas Wirksames entgegenzusetzen.
Der Rudl grüßt den Sommer, gerade so als wie den Winter – der Ausgewogenheit verpflichtet.
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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien