Im Sortiment vom Rudl gibt es Weine, die der Rudl erklären muss. Aber das ist nicht schlimm. Selbst im fernen Frankreich erachtet es die Revue du Vin de France im Editorial ihrer aktuellen Ausgabe offenbar als erklärungsbedürftig, wenn ein „cercle des passionés“ sich nicht einmal vor dem grandiosen 2016er Bordeauxjahrgang in den Staub schmeißt, sondern leidglich ihre „vins d’auteur“ im Kopf hat. Dagueneau, Clos Rougeard, Claude Dugat, Chave und auch Dominique Belluard aus Ayze in Savoyen zählt die Revue du Vin de France zum illustren Kreis der unverschämten Rivalen von Medoc, Pomerol und Saint Emilion.
Im Sortiment vom Rudl gibt es aber auch Weine, die er nicht erklären muss, zumindest seinen Kundinnen und Kunden nicht, die Erde von Maria und Sepp Muster zum Beispiel. Trotzdem:
Frucht und Flucht II
Vor zwei Wochen hat der Rudl quasi als Flucht vor künstlicher Frucht dezente Rosés kredenzt. Da gebietet es die Ausgewogenheit, diese Woche quasi eine Flucht vor der Flucht vorzunehmen. Was zuckerlartige Fruchtigkeit bei vielen Rosés, ist dem Rudl bei so manch Orangem eine flüchtige Säure, die sich wichtig macht. Darum öffnet er diese Woche einen Wein in fünf Jahrgängen, dessen Säuren keine Wolken sind. Viele bezeichnen diesen Wein als „Naturwein“, für Weinschulmeister Rudolf ist die Erde von Maria und Sepp Muster ein „Kulturwein“ par excellence, weil an ihm deutlich wird, dass Naturwein im positiven Sinn etwas mit Lernen, Kunst und Arbeit zu tun hat.
Orange Weine
Die Erde bleibt mit Trauben, Kernen und teilweise Stielen bis zu einem Jahr auf der Maische, früher in georgischen Tonamforen, jetzt im Holzfass. Das ist in Österreich heute auch für einen Wein aus sogenannten weißen Trauben nicht mehr so ungewöhnlich, wie es das vor zehn Jahren einmal gewesen ist. Dass beim Hineinriechen in so einen Wein nicht Nagellackentferner oder Alleskleber als Erstassoziation vor der geistigen Nase antanzen, ist schon nicht mehr ganz so selbstverständlich. Und das schätzt der Rudl an der Erde überaus.
Sprache und Erde
Ein bissl ein Kreuz ist es mit der deutschen Sprache. Einerseits zeichnet sie sich in ihrer grammatikalischen Struktur durch ein vergleichsweise hohes Maß an Schlüssigkeit und Klarheit aus. Ihr Lexikon dagegen scheint oft nicht gerade durch Treffsicherheit, Kompelxität und Tiefgang zu brillieren. Nehmen Sie ein Wort wie „Liebe“. Das kann höchst Unterschiedliches meinen. Da hat der Lateiner mindestens drei oder vier Wörter, von denen jedes etwas ganz Bestimmtes bedeutet. Deutschsprechende können mit einem den Stamm lieb- enthaltenden Wort vieles meinen, von den heißeren und wilderen Sachen über das, was virtuelle Stammtischhetzer gerne als Gutmenschentum diskreditieren oder die primitiveren Reimlexikonbesitzer dann wertfrei pervertiert auf Wahlplakte pinseln bis zum erstaunlichen Adjektiv, das dem Rudl seiner Meinung nach die logofizierte Perfidie ist. Man hat vor keinem Gericht dieser Welt eine Chance, die Verwendung des Begriffs „lieb“ anzufechten, obwohl es wohl nicht viele schlimmere Beleidigungen gibt.
Erde. Ein Wort und seine Bedeutungen
Mit dem Wort „Erde“ schaut es nicht viel besser aus. Von einem Planeten bis zu einem Plastiksack mit schwer zu definierbaren Substanzen in der Gartenabteilung eines Baumarktes, von wo es dann nicht mehr weit zum Dreck ist, kann da fast alles drinnen sein.
Die Erde in ihrer Präzision
Da lobt sich der Rudl das Alte Testament. Das ist wenigstens so gut, für die Erde als politische Verwaltungseinheit und für die Erde als landwirtschaftliches Produktionsmittel separate Begriffe zu verwenden, einen für das Weltbild der Erde als Scheibe, die gleich einem Schiffanakel auf dem Wasser dahin schaukelt und von dem im Himmel sitzenden Gott als Fußschammerl verwendet wird, und einen für das Land, auf dem seine Körndeln oder auch Weintrauben anbauen kann. Diese Erde hat Mensch, Tier und Pflanze hervor- und den Verfasser zum Schluss gebracht, dass man mit ihr entsprechend sorgsam und verantwortungsvoll umzugehen habe. Wer das tut, verrät einiges über sein Verhältnis zu Gott. Wer das nicht tut, auch. Rudolf Polifka hält das für ein Beurteilungskriterium, noch viel mehr aber für einen Auftrag, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sogar für den Auftrag, um den es geht.
In der folgenden Wetterrückschau bezieht sich der Rudl auf sich selber.
2007
Der Zweitausendsiebener gilt in Österreich als hervorragender Jahrgang, in der Steiermark als Jahrhundertjahrgang, weniger Gradation und mehr Säure als der Vorgängerjahrgang, passable Menge.
Mild und wenig Schnee im Winter, kurz ein bissl eine Reminiszenz an die Winterheit „als solches“ im März, von der sich die Weingärten aber mäßig beeindrucken lassen haben. Früher Austrieb, fast schon Rekordwärme im April, Mai und Juni prolongieren das fast schon kitschig wachstumsfördernde Wetter. Am Beginn der zweiten Julihälfte Rekordhitze. Dass es Anfang August 2013 noch heißer wird, hat der Sommer Zweitausendsieben nicht wissen können. Im August hat sich das Wetter dann wieder erfangen. September dann etwas kühler. Die mancherorts erhoffte verfrühte Lese, allerdings ohne die mancherorts erhoffte überhöhte Gradation. Der Grund, warum der Jahrgang gerade in der Steiermark besonders gut ausgefallen ist, könnte der Regen im September sein. Der hat in der Steiermark nämlich nicht stattgefunden.
So oder so, der Oktober war dann ziemlich ideal, untertags trocken und warm, morgendlich und nächtlich trocken und frisch. Nicht die allerungünstigsten Konditionen für eine konvenierende Aromatik, wenn es nach dem Rudl seinem Geschmack geht. Der vergleichsweise geringere Ertrag ist auf den überproportional hohen Anteil an Prädikatsweinen zurückzuführen.
2011
Trotz seiner überaus favorablen Nachrede zählt 2011 nicht zu den Lieblingsjahrgängen von Rudl. Einem Winter, den der Frühling kaum als Herausforderung ernst nehmen kann, folgt ein warmer März. Dem ein extrem warmer April. Ohne ein paar kalte Nächte Anfang Mai und einen dezenten Ausreißer im Juli könnte man den oben erwähnten Witterungsverlauf bis zur Lese fortschreiben. Gesunde, reife Trauben, aber trotzdem nicht dem Rudl sein Goût.
Man hat im Zusammenhang mit dem Weinjahrgang 2011 immer wieder von „gut abgepufferter“ Säure geschrieben. Was das genau bedeutet, dürfen Sie den Rudl nicht fragen. Seinen Verdacht möchte er ihnen trotzdem nicht vorenthalten: Könnte es sein, dass mit „gut abgepufferter Säure“ ein Mangel an Säure gemeint ist?
2012
Nach dem heißen Jahrgang 2011 hat es der 2012er nicht leicht. Abgesehen davon, dass es weniger Wein gibt, unterscheiden sich dem Rudl seine Geschmackseindrücke vom 2011er nicht dramatisch von denen vom 2012er.
Wieder wenig Schnee. Das ist mittlerweile nicht mehr explizit erwähnenswert. Die Februarkälte aber schon. Der Rudl ist damals durch Fünf- und Sechshaus, Braunhirschen und Reindorf gestreift, auf der Suche nach einem Geschäftslokal. Für die Zeit ab März gilt dann aber wirklich fast alles, was Sie oben über 2011 gelesen oder auch nicht gelesen haben.
2013
Dem Rudl sein Lieblingsjahr war geprägt von Kontrasten. Jänner und Februar waren niederschlagsreich und kalt. Hundertneunzentimeter Schnee fallen in Bad Radkersburg nicht jeden Februar, eher schon in fast keinem, 2013 aber schon.
In Klöch schneit es zu Ostern. Irgendwann hat aber das sturste Wetter ein Einsehen. 2013 ist das Mitte April. Nur zeigt sich sehr bald, dass die Niederschläge nur eine Pause gemacht haben.
Ein Mai, an dem sich keiner ein Beispiel nehmen muss. Dafür dann eine Affenhitze Mitte Juni, und das obwohl in diesem Jahr überhaupt keine Fußballwelt- oder -europameisterschaft stattfindet. Eine der vielen Arbeitshypothesen vom Rudl besagt ja, dass die Junis in geraden Jahren so affenartig heiß sind, damit man beim Fußballschauen mehr Bier trinkt.
Juli und Augustanfang sind extrem heiß und trocken. Das weiß der Rudl auch noch. Da hat er versucht, das Portal der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils zu streichen. Ab Mitte August legt der Regen los und kompensiert viel. Die Säure erweist sich trotz hoher Reife als passabel resistent, sofern der Lesezeitpunkt nicht verschlafen wird. Es gibt Schlimmeres für die Lagerfähigkeit eines Weines als die Kombination aus Körper und Säure bei vielen Zweitausenddreizehnern.
2014
Das Ganze fängt nicht gerade zum Vor-Kälte-Bibbern an. Viel zu warmer Jänner, nicht nennenswert besserer Februar. Der März noch wärmer. Irgendwie möchte man meinen, das warme Wetter habe damit sein Pulver verschossen. Der April ist wenigstens noch warm, aber verregnet. Da sind die Reben vegetationstechnisch noch zwei bis drei Wochen vorn. Im Mai ist es dann nicht einmal mehr warm. Und dann versucht sowieso nur mehr jeder Monat, seinen Vorgänger in der Kategorie Sauwetter in den Schatten zu stellen. Die konventionellen Vierzehner dürften eine Spur gesünder sein als die konventionellen Weine aus anderen Jahren, weil der permanente Regen die sogenannten Pflanzenschutzmittel im Handumdrehen immer wieder abwäscht. Sisyphos hätte seine Freude beim Spritzen gehabt. Geradezu konvenieren tut die Regnerei den Junganlagen.
Die folgenden Weine
- Erde 2014, Maria und Sepp Muster, Schlossberg, Steirerland (6/9)
- Erde 2013, Maria und Sepp Muster, Schlossberg, Steirerland (6/9)
- Erde 2012, Maria und Sepp Muster, Schlossberg, Steirerland (6/9)
- Erde 2011, Maria und Sepp Muster, Schlossberg, Steirerland (6,50/10)
- Erde 2007, Maria und Sepp Muster, Schlossberg, Steirerland (7/11)
(in Klammern die Preise für das Sechzehntel und das Achtel)
aber selbstverständlich nicht ausschließlich diese Weine kredenzt der Rudl glasweise
am Mittwoch, den 31. Mai und am Freitag, den 2. Juni
jeweils von 16 bis 22 Uhr
Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Der Rudl freut sich, die Jiddische Hühnerleberpastete von der Dankbarkeit wieder offerieren zu können.
Im Übrigen ist Rudolf Polifka der Meinung, dass man den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag erklären sollte!
Vorschau auf die Lehrveranstaltungen vom 7. und 9. Juni:
aller Voraussicht nach Mondeuse von teilweise mehr als hundert Jahre alten, wurzelechten Rebstöcken
Der Rudl grüßt mit den Worten vom Kurtl: Passts guat auf!