… undachtzig beginnt die Vertikale, die Herr Rudolf diese Woche glasweise ausschenken wird. Es wird sich dabei um den Grünen Veltliner Vogelsang des Weinguts Falk aus Bockfließ handeln. Dieses Weingut zeichnet sich durch einen ausgesprochen gepflegten Heurigen aus, vor einigen Jahrzehnten brachte man es noch in die Weinführer, worauf der Rudl nicht sehr viel gibt. Darum erspart er sich hier, darauf hinzuweisen, dass letzte Woche zum ersten Mal ein österreichischer Wein von Bertl Parker hundert Punkte erhalten hat. Es handelt sich dabei um den Riesling Vinothek 1995 von einem der ersten Lieblingsweingüter des Herrn Rudolf, dem Nikolaihof aus Mautern. Das könnte man erstaunlich finden. Der Rudl hat in den letzten Jahren nicht immer den Eindruck gehabt, dass diese Stilistik bei Parker so großen Anklang findet. Aber Geschmäcker ändern sich bekanntlich, manchmal. Und manchmal hängen Weinkritiker und Weinfreunde auch ihr Fähnlein ein bissl in den Wind.
Zurück zum Weingut Falk aus Bockfließ: In „Spitzenweingüter Östrerreichs“ von Mario Scheuermann aus dem Jahr 1991 wurde dem Weingut die gleiche Klassifizierung wie etwa Alphart, Schloss Gobelsburg, Hirtzberger, Knoll, Pitnauer oder Winkler-Hermaden zuteil. Damals wurde das Weingut als reines Weißweingut bezeichnet, das in Zukunft auch an die Auspflanzung von Cabernet Sauvignon denke. Wenn man das gemacht hat, ist er vermutlich in der Zwischenzeit schon wieder gerodet.
Auf alle Fälle schenkt Monsieur Polifka diese Woche folgende Jahrgänge des Grünen Veltliner Vogelsang von Falk aus und freut sich darauf schon wie ein kleines Kind, weil er sich Aufschlüsse über Wetter der einzelnen Jahrgänge und die Veränderungen in der Vinifizierung erwartet. Wer in den Weinen darüber hinaus Folgendes erschmeckt, kann um den Master of Wine einreichen und hat den Begriff „Terroir“ um ein paar nicht unbeträchtliche Facetten erweitert:
1983 beendet der seit ein paar Tagen gekrönte neue österreichische Fußballmeister die Meisterschaft in einer Sechzehner-Liga als Fünfter. Am 7. Mai besiegt der SC Alvorada Neusiedl am See eine Wiener Fußballmannschaft mit 2-1. Der UFC Purbach steigt aus der zweiten Division ab. Kein Verein der ersten beiden Sechzehner-Ligen wird aufgelöst. Für den 1. April plakatiert Günter Brödl ein Comback-Konzert von Ostbahn-Kurti in der Szene Wien, klebt dort dann „ausverkauft“ an die Tür, sperrt von innen zu und spielt über die Hausanlage die Platte „As it happens“ von Dr. Feelgood. In Bad Radkersburg kommt ein Schwager vom Herrn Rudolf auf die Welt. Letzterer überschreitet zum ersten Mal in seinem Leben die Demarkationslinie Enns. Eine Reise in das Burgenland wird für seine Zukunft nicht ganz ohne Folgen bleiben. Euphorisch hochgejubelter Weinjahrgang, heißer und trockener Sommer, oft hohe Alkoholwerte, aber wenig Säure. Vorletzte Ernte vor Publikwerden der Schönungsversuche mit Diethylenglykol.
1986 schafft der heute seit ein paar Tagen amtierende Meister durch einen zweiten Platz im Abstiegsplayoff den Klassenerhalt in der zweiten Division. Dem 1. Schwechater SC, dem FavAC und dem Villacher SV gelingt das nicht. Kein Verein der ersten beiden Ligen wird aufgelöst, nicht einmal Austria Salzburg, deren Vereinsführung beschlossen hat, sich dem SAK 1914 anzuschließen, was von diesem jedoch als nicht so gut Idee befunden wurde. Herr Rudolf unternimmt eine Studienreise nach Bergerac. In einem Jahr wird einer der größten und unterschätztesten Künstler des Landes, Otto Grünmandl, sein Programm „Politisch bin ich vielleicht ein Trottel, aber privat kenn ich mich aus“ vorstellen. Für viele politischen Akteure des Landes sollte dieses Kabarettprogramm auf Jahrzehnte hinaus zum politischen Programm werden, und ein fast synchroner Aufstieg von zwei Parteiobmännern, die einander angeblich nicht verputzen können, beginnt. Bedingt durch die extremen Fröste des Vorjahres und schlechtes Wetter während der Blüte wenig Wein, aufgrund des langen, warmen und trockenen Herbstes aber einer der besten Weinjahrgänge. Die Weine sind im Ausland nicht so gefragt, daher länger als gewöhnlich im Handel verfügbar.
1993 verschustert der Meister in den letzten Runden einen großen Vorsprung und wird Zweiter in der ersten Division. LUV Graz steigt aus der zweiten Division ab. Daraufhin werden die Playoffs abgeschafft. Am Ende der Saison gründet sich die bestplatzierte Tiroler Mannschaft wieder einmal neu, was in Dornbach und Salzburg nicht unbeachtet bleiben sollte. Kulinarisch steht das Land im Zeichen der Erfindung der Kurti-Wurscht und der Entwicklung des Rezepts für die Kurti-Semmel. Die geringe Weinmenge 1993 wird gemeinhin auf Frostschäden im Februar zurückgeführt. Ein alternativer Erklärungsversuch, der die Gründung einer Wohngemeinschaft in der Salzburger Alpenstraße kausal ins Spiel bringt, konnte sich nie durchsetzen, aber geben tut es ihn – anders als die WG – noch.
1997 wird derselbe Verein Meister der österreichischen Fußballbundesliga wie 2014. Mit dem Fav AC und dem VFB Mödling ziehen sich in einer Saison zwei Mannschaft aus dem Erfolgskonzept zweite Bundesliga zurück. Darüber hinaus fusionieren die beiden Linzer Vereine LASK und FC Linz, was zum ziemlich einzigartigen Namen LASK Linz führt. Ein Film, in dem Lukas Resetarits einen Wirt und Heribert Sasse den Trainer geben, kommt in die Kinos. Dass er, der Cineast schlechthin, in dem Film nicht vorkommt, nagt bis heute am Rudl – wahrscheinlich seine größte Chance, es einmal auf die Leinwand zu schaffen. Bei bis zu minus dreißig Grad knapp vor Jahresbeginn lässt es sich ein Oenologe nicht ausreden, mit defekter KFZ-Heizung von Salzburg nach Wien über das nordöstliche Weinviertel zu fahren. Doch auch er vermochte die Frostschäden in den Weingärten nicht zu unterbinden. Jahrhunderthochwasser im Juli, Trockenschäden in einer sehr warmer Leseperiode und eine Woche bis minus sieben Grad Frost in der dritten Oktoberwoche sorgen für einen abwechslungsreichen Weinjahrgang.
2000 Am 10. Oktober und lange Zeit danach want da Himmel Rotz und Wossa ohne End. Der vor wenigen Tagen gekürte Fußballmeister beendet die Saison als Sechster. Meister wird, wie in den Folgejahren, ein Verein, den es bald schon nicht mehr geben sollte. Im Erfolgsprojekt zweite Liga, das damals gerade „Erste Division“ heißt, werden mit dem FC Niederösterreich Sankt Pölten und dem SK Vorwärts Steyr zwei Mannschaften aufgelöst, ein anderes Erfolgskonzept mit dem Titel „Österreich neu regieren“ bedauerlicherweise noch nicht. Über die anhaltende Auseinandersetzung mit den Erfolgen dieser Regierung war hier im Februar dieses Jahres unter dem Titel „Du bist nicht allein (gelassen)“ einiges zu lesen. Ein fast idealer Weinjahrgang, mit einem heißen Sommer und einer äußerst frühen Ernte, den man in Anbetracht des Neuregiertwerdens auch dringend nötig gehabt hat. Aber Alkohol ist bekanntlich keine Lösung.
2002 Erneut wird der aktuelle Meister, der mittlerweile ja nicht mehr aus Lehen, sondern aus Siezenheim kommt, Sechster, erneut wurde die Tabelle vom FC Tirol Innsbruck angeführt, der dann allerdings liquidiert wird, in der zweiten Liga diese Saison der SV Braunau. Eine Parteiversammlung im steirischen Knittelfeld führt zu Neuwahlen, in Folge derer der jetzt kleinere Regierungspartner in einem noch affenartigeren Tempo Regierungsmitglieder austauscht, alle nur nicht den Schönsten, Besten und Erfolgreichsten. Der darf erfolgreich weiter wirken, wenn auch parteifrei. Auf eine meteorologisch unauffällige erste Jahreshälfte folgt am 2. Juli vor allem im Kremstal starker Hagel. Und dann beginnt es zu regnen. Weine mit einem guten Gleichgewicht an Frische und Frucht.
2003 Dritter Platz, in der zweiten Liga wird kein einziger Verein aufgelöst. Vielleicht weil es zu heiß war. Eine halbe Million Menschen beteiligt sich im Mai an den größten Streiks seit fünfzig Jahren. Ein Parteichef und ein Fastnichtmehrschonwiederdaparteichef entdecken ihre gemeinsame Vorliebe für Spargel und Wein, der in diesem Jahr aufgrund hoher Temperaturen in fast ganz Europa alkoholreicher als sonst ist. Wenn er zu spät gelesen worden ist, kann man ihn heute fast nicht mehr trinken. Massiver Einsatz von synthetischen Korkersatzstoppeln, die nicht nur etlichen Korkenziehern zum Verhängnis werden, nicht so am Weingut Falk, wo Naturkork verwendet wird. Und mit Jahresende geht auch noch Kurt Ostbahn in den wohlverdienten Ruhestand.
2004 Siebter Platz, Meister wird mit dem GAK ein Verein, dem das nicht viel besser bekommen sollte als dem FC Tirol Innsbruck kurz vorher. In der zweiten Liga wird der BSV Juniors Villach, Nachfolgeverein des SV Bad Bleiberg aufgelöst. Ein sogenannter „Rechtsintellektueller“ übersiedelt nach einem fulminanten Wahlerfolg von 6,31 Prozent nach Brüssel. Wahrscheinlich sollte dort herausgefunden werden, was das genau sein soll, ein „Rechtsintellektueller“. Bis dato erfolglos. Das Wetter ist im Großen und Ganzen eher kühler. In manchen Gebieten reifen die Trauben nicht ganz aus, im pannonischen Klima des südlichen Weinviertels schon.
2007 Inzwischen wird der aktuelle Meister von Red Bull gesponsert und Meister. Die beiden Grazer Vereine beenden die Meisterschaft mit insgesamt 32 Punkten Abzug, aufgrund des Lizenzierungsverfahrens. Aus der Regionalliga Ost steigt der ASK Schwadorf in die zweite Liga auf. Dort bleibt er genau eine Saison, obwohl er weder auf- noch absteigt und nicht einmal zugesperrt wird. Inzwischen hat Österreich noch eine rechtspopulistsche Partei mehr. Die alte rechtspopulistische Partei ist ein Jahr zuvor von einem Wiener übernommen worden. Wenige politische Beobachter rechnen damit, dass es diese Gruppierung noch lange geben wird. Doch dann entdecken die Coverfotographen der investigativen Hochglanzmagazine den Wiener als Motiv. Bis August erinnert das Wetter an 2003, in manchen Gebieten mit massiven Hagelschäden. Ab September wird es dann feucht. Nicht alle trockenen Weine dürften frei von Botrytis sein.
2012 Auch damals gewinnt der gerade wieder frisch gekrönte Fußballmeister die Liga. Dem in der zweiten Liga spielenden Traditionsverein LASK Linz wird die Lizenz für die Bundesligen entzogen, den lustigen Namen darf er behalten. Rudolf Polifka tritt von seinem Ruhestand zurück und gründet ein Weingeschäft, Kurt Ostbahn nicht. Das Weinwetter ist in Österreich abwechslungsreich und bringt schlankere Weine hervor, in Savoyen klagt Jacques Maillet Anfang August über das meteorologisch schlimmste Jahr, das er als Winzer je erlebt hat. Erst eine Dienstreise Herrn Rudolfs durch Frankreich im August scheint das Wetter dort zur Raison zu bringen.
Diese zehn denkwürdigen, um nicht zu sagen, merkwürdigen Jahrgänge schenkt Rudolf Polifka diese Woche aus
am Mittwoch, den 7. Mai und am Freitag, den 9. Mai
von 16 bis 22 Uhr in der „Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils“,
Reindorfgasse 22,
wie gesagt „nicht ausschließlich“.
Herr Rudolf grüßt die Wetterfrösche und fast alle neuen Fußballmeister!