Der Rudl freut sich, wieder einen Fuß auf Reindorfer Boden setzen zu können. Genaugenommen stimmt das nicht. Nicht dass der Rudl etwas gegen Reindorf hätte. Im Gegenteil. Aber es gibt für Caviste Rudolf leichter zu bewältigende Herausforderungen, als aus dem Urlaub nach Hause zurückzukommen. Und wenn er in Frankreich eine Landesgrenze in die falsche Richtung passieren muss, kostet ihn das noch viel mehr Überwindung. Nichtsdestotrotz freut sich der Rudl, mit Ihnen, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, das eine oder andere Ergebnis seiner Forschungsreise, sei es eines in verbaler Form, sei es eines in vergorener Form teilen zu dürfen. Und wenn der Rudl schreibt „teilen“, dann meint er damit nicht irgendeinen digitalen Daumen oder heute missverständlich als „Feedback“ bezeichneten Kanalinhalt, sondern höchstpercentige Analogie.
In Anbetracht der sommerbedingten Relationen zwischen Sonne und Erde sperrt der Rudl erst um 18 Uhr auf und lässt dafür bis 22 Uhr geöffnet. Wie es dann ab September ausschaut, kann der Rudl erst nach Bekanntgabe seines Stundenplanes als Lehrmeister kundgeben.
Studienreise, Teil 1
Jura – Loire – Champagne – Normandie – Muscadet
Monsieur Rudolf ist in das Jura gefahren, hat dieses Jahr dort heuer aber wirklich ausschließlich studiert, ohne mercantil tätig zu werden. Damit hat er bis Sancerre gewartet, wo er nach einem entsprechenden Wink des Herrn Grafen das Glück gehabt hat, bei einem grandiosen Weinmeister nicht nur kosten, sondern sogar zwölf Flaschen für sein Geschäft kaufen zu dürfen. Dieser Weinmeister bewirtschaftet einen Hektar in Pouilly und einen in Sancerre. Drei dürfen es in Zukunft werden, mehr aber ganz sicher nicht. Daneben ist dieser Weinbauer Kellermeister in einem renommierten Weingut der Appellation. Das allein wäre vermutlich genug, um nicht von Langeweile geplagt zu werden. Witterungsverhältnisse, die keine zwei Tage ohne Regenschauer vergehen lassen, wie in der couranten Vegetationsphase, tragen das ihre zur Beschäftigung der Winzer bei. Auf alle Fälle hat der Rudl ab sofort quasi als Premiere eine homöopathische Menge Pouilly Fumé und eine ebenso kleine Sancerre im Sortiment. Das freut ihn ganz gewaltig. Aber das ist eine andere Geschichte, die zu einem anderen Zeitpunkt erzählt und gegebenenfalls auch studiert werden wird.
Die Reise hat den Rudl dann in die Champagne und in die Normandie geführt, wobei er weder dort noch da als Caviste aktiv geworden ist. In der Normandie hält sich der Weinbau in Grenzen, was Monsieur Rudolf nicht gehindert hat, einen normandischen Ruländer zu trinken. Der Champagne kann man viel, aber keinen Mangel an Weingärten vorwerfen. Nur ist das mit dem Rudl und dem Schaumwein so eine Geschichte. Es wäre absurd, in Abrede zu stellen, dass es exzellente Schaumweine nach der Méthode traditionelle gibt. Nur werden einer oder einem diese in mindestens 99 (NEUNUNDNEUNZIG) von hundert Fällen, in denen Schaumwein kredenzt wird, nicht angeboten. Mittlerweile greift Monsieur Rudolf bei diesen „Anstoß-Gelegenheiten“ zur Mineralwasserflasche. Auszuschließen ist es nicht ganz, dass der Rudl von den diversen Jubiläen, Begrüßungen und Geburtstagen ein kleineres Trauma davongetragen hat. Egal. Sollte es Sie einmal nach Épernay verschlagen, dann kann Ihnen der Rudl eine Käsebar empfehlen. Dort bekommen Sie ausgesprochen unkompliziert einen der gefragtesten Champagner, von Étienne Calsac. Das hat den Rudl amüsiert. Denn dieses Champagners ist er bei den bestsortierten Cavisten nicht habhaft geworden.
Der Apfelschaumwein in der Normandie ist natürlich berühmt. Aber der Rudl wollte sich nicht verzetteln und ist dafür weiter in den Südosten von Nantes gefahren. Dort hat er nach zwölf Jahren eine fast nicht mehr zu erkennende Domaine Michel Brégeon wieder gefunden, als Gebäude nicht wiederzuerkennen. Als Weine haben die Muscadets von Fred Lailler, der das Weingut jetzt auch schon wieder über zwölf Jahre führt, gar nichts von ihrer Salzigkeit verloren. Und schauen Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologie, mit dem Begriff „Salzigkeit“ ist es auch so etwas. Der Rudl hat den Verdacht, dass es sich vor etwa fünf bis zehn Jahren herumgesprochen hat, dass der Terminus „mineralisch“ einer gewissen inflationären Verwendung ausgesetzt gewesen war. Aber ob es so viel bringt, in Weinbeschreibungen das Adjektiv „mineralisch“ einfach nur durch „salzig“ auszutauschen, kann man anzweifeln. Abgesehen davon haben die beiden Wörter für den Rudl verschiedene Bedeutungen. Im Fall eines überzeugenden Muscadets wie des Crus Gorges 2018 von der Domaine Brégeon verwendet aber auch Caviste Rudolf Polifka das Attribut „salzig“.
Studienreise, Teil 2
Bergerac, Irouléguy, Corbières, Savoyen
Obwohl der neue Jahrgang von Laroque d’Antan in Cahors noch immer auf den Rudl wartet, ist dieser von Bergerac nicht in Richtung Südosten, sondern nach Südwesten gefahren, nach Tursan. Denn dort gibt es eine Rebsorte mit einer besonders langen Vegetationsphase: Baroque. Abgesehen davon ist die Appellation für Genossenschaften bekannt. Aber dann ist der Caviste Rudolf doch auf einen für ihn interessanten Betrieb gestoßen.
Les Pentes de Barène
Vor mehr als zwanzig Jahren war dort nichts, fast nichts. Ein Stall, Prairie und vor allem eine ausgeprägte Hangneigung in Richtung Süden zu den Pyrenäen hin. Kein Keller, kein Weingarten, kein Nix. Dann dürfte Gaëlle und Daniel Vergnes der Ort Pimbo noch mehr gefallen haben als dem Rudl. Darum haben sie beschlossen, dort ein Weingut zu gründen, eines in einer Dimension, die man als Familie zwölf Monate im Jahr händisch bewältigen kann. Daraus resultiert das heute kleinste Weingut der Appellation, eineinhalb Hektar klein. Aus dem Stall haben sie einen Keller gemacht. Mit der Gstättn ist das nicht so einfach gewesen. Die Hangneigung bis zu sechzig Percent war zu ausgeprägt. Darum haben sie 2003 begonnen, ihren zukünftigen Weinberg zu terrassieren. Heute ist das nicht nur die einzige Terrassenlage der Appellation, sondern des gesamtes Weinbaugebietes Les Landes. Ausrichtung nach Süden, als Auflage Ton und Kalkgeröll, Unterboden: Kalk. Das kommt der dort ursprünglich ansässigen Rebsorte Baroque entgegen. Dazu Gros Manseng, Petit Manseng und Sauvignon. Keine chemischen Herbicide. Höchstes Augenmerk auf Biodiversität als einziger hauptberuflichen Mitarbeiterin der Familie. Sie prodizieren lediglich einen Weißwein sowie einen Süßwein.
Über das Baskenland, die Corbières, Savoyen und Trient ist der Rudl dann retour gefahren. Über das Baskenland und Savoyen hat er schon viel erzählt. Darum widmet er sich in weiterer Folge ausführlich der Appellation Corbières, um diese dann mit ihrer westpyrenäischen Entsprechung Irouléguy zu vergleichen.
Corbières
Diese zehntausend Hektar große Appellation gehört nicht zu den renommiertesten Frankreichs. Spritzmittel, Alkohol, kolossale Erträge und Weinbauernproteste sind vermutlich die ersteren Assoziationen mit dieser Gegend im Südwesten von Narbonne.
Der Rudl hat diese Gegend seit 1996 als landschaftlich ausgesprochen schön in Erinnerung. Damals hat er bei einem Schotten in Albas Wein gekauft. Pensées sauvages, Jahrgang 1994. Leider findet der Rudl diesen Wein im ganzen Internet nirgends mehr. Das Weingut gibt es nicht mehr. Der ehemalige Betreiber Nick Bradford ist in der Rente angeblich nach Schottland zurück gegangen. Die das Weingut übernommen haben, machen angeblich auch keinen Wein mehr. Die Landschaft ist immer noch so verlassen wie vor dreißig Jahren. Felszacken, Garrigue und die eine oder andere Klamm. Schlangen.
Corbières, geographisch, historisch und oeno-soziologisch
Erlauben Sie dem Rudl einen kurzen Abstecher in die Vergangenheit. Mehr als 245 Millionen Jahre ist es jetzt schon wieder her, dass die Corbières nur vom hercynischen Massiv besetzt waren. Dann war die Gegend bis vor 65 Millionen Jahre vom Meer bedeckt. Aus dieser Zeit stammen nicht nur die markanten Felszacken, sondern auch die Kalkaromen in den Weinen der meisten Terroirs. Vor 65 bis 1,65 Millionen Jahren stehen dann die Pyrenäen auf, indem sich der zerbrochene Sockel nach oben schiebt. Erosion zerbröselt und verteilt den ehemaligen Granitsockel dann. Das sind heute die Haute-Corbières im Süden der Appellation. Dort stehen viele der verstreuten Weingärten von Maxime Magnon. Von ihm wird später die Schreibe sein. Die Landschaften sind in den Corbières nicht weniger vielfältig als die Steine. Und mit den Rebsorten fängt der Rudl gleich gar nicht an. Nur vielleicht so viel, dass in den siebziger Jahren die Corbières wie fast ganz Südfrankreich nicht wie vor 265 Millionen Jahren vom Urmeer, sondern von der Rebsorte Syrah geflutet worden sind. Ein paar jüngere Weinbäuerinnen und Weinbauern, die entweder ganz von woanders in die Corbières gekommen sind oder zumindest eine Zeitlang weg waren, haben dann darauf aufmerksam gemacht, dass auf so uralten Grenache- oder Carignan-Stöcken vielleicht weniger und kleinere, aber dafür viel geschmackvollere Beeren wachsen.
Die Corbières sind aber auch soziologisch eine bemerkenswerte Appellation. Zuerst einmal das übliche Auf-und-Ab in Sachen Weinbau, wobei wie eh fast allerweil die Aufs zuerst den Römern und später den Mönchen, die Abs eher den Barbaren aus dem Norden und dem Osten zuzuschreiben waren. Interessanter wird es dann Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit der Erlaubnis zum Verschneiden mit algerischen Weinen und zum Aufzuckern. Die resultierende soziale Krise führt 1907 zu Revolten mit sieben Toten und einem Gesetz zum Schutz natürlicher Weine aus französischen Weintrauben vor aufgezuckerten oder teilimportierten Weinen. In den siebziger Jahren wiederholt sich die Geschichte, nur dass am 4. März 1976 bei Protesten nur ein Weinbauer und ein Polizist erschossen worden sind. Alle dürften es noch nicht verstanden haben, dass mit Mochma-liawa-vü, wie Herr K. dazu sagt, Probleme nicht gelöst, sondern erzeugt werden. Aber viele gibt es, die Geschichte gelernt haben, wie ein anderer Herr K. einem Reporter einmal geraten hat. Einige von ihnen hat der Rudl in den Corbières kennengelernt. Dafür ist er dankbar.
Maxime Magnon zum Beispiel
Ob Maxime Magnon die Aufforderung von Bruno Kreisky seinerzeit gehört hat, weiß der Rudl nicht. Sehr wahrscheinlich ist es nicht. Dass dann gleich Weine von Maxime Magnon ihren Weg in das Sortiment seines Weingeschäfts finden, quasi als äußerst würdige ostpyrenäische Entsprechung der westpyrenäischen Weine von Arretxea, das begeistert den Rudl schwer.
Der Winzer selber ist an Unkompliziertheit und Zuversicht er kaum zu überbieten. Vielleicht liegt das auch daran, dass er sich von vornherein erfolgreich potentiellen Beschwerlichkeiten wie Webshop oder Ab-Hof-Verkauf verweigert. Darum bleiben ein bissl mehr Zeit und Nerven, auf diverse Wetterwidrigkeiten im richtigen Moment richtig zu reagieren. So gut es halt geht und so natürlich es geht. Ein – völlig gerechtfertigtes – Lamento über Klimakrise und andere Widrigkeit hört man von Maxime Magnon nicht. Man muss halt das Beste aus den Möglichkeiten machen, ohne freilich die Verantwortung für zukünftiges Leben und Weinmachen auf dem Planeten zu missachten. Maxime Magnon ist stolz darauf, sein Handwerk bei Marcel Lapierre im Beaujolais gelernt zu haben. Lapierre wiederum war Schüler von Professor Chauvet. Wenn Sie so wollen, hat Maxime Magnon über ein Eck bei Monsieur Chauvet gelernt. Dieser hatte in den fünfziger Jahren für seine Rotweine die „Macération semi-carbonique“, das saubere und präzise Vinifizieren ohne Schwefel-, Hefe- und CO2-Zusatz, studiert und erforscht. Wenn es möglich ist, bleiben die Weine von Maxime Magnon ungeschwefelt, wie Campagnès 2021 oder die Cuvée Rose, die kein Rosé, sondern der extraordinaire Rote aus Grenache noir ist. Wenn es aber wie im Affenhitzejahrgang 2022 mit einer sauberen Gärung nichts wird, dann lieber das eine oder andere ganz genau dosierte Gramm Schwefel als den leisesten unsauberen Ton. Aromatische Vielschichtigkeit, Eleganz und Harmonie sind die Resultate.
- La Begou 2022, Maxime Magnon, AOC Corbières, Languedoc (7/11)
- Roug’é-Clair 2023, Domaine Ledogar, Ferrals-les-Corbières, Vin de France (4,50/7)
- Campagnès 2021, Maxime Magnon, AOC Corbières, Languedoc (7/11)
- Les Pentes de Barène, Pimbo, AOC Tursan, Sud Ouest (4/6)
- Irouléguy Rosé 2022, Domaine Ilarria, AOC Irouléguy, Sud Ouest (4/6)
- Irouléguy rouge Tradition 2021, Domaine Arretxea, AOC Irouléguy, Sud Ouest (4,50/7)
Dienstag, den 6. August von 18 bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils
Reindorfgasse 22
Im Übrigen ist der Rudl der Meinung, dass der 27. Jänner, der Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Konzentrationslager Auschwitz, zu einem gesamteuropäischen Feiertag erklärt werden muss.
Monsieur Rudolf grüßt und begrüßt das Fernweh!
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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien