Michel Grisard
Wir schreiben April 1997. Der Biodynamiedoyen Savoyens und Weggefährte von Nicolas Joly, Michel Grisard, will es immer noch wissen. Andere planen in diesem Alter ihre Pension. Monsieur Grisard bewirtschaftet damals ein biodynamisches Weingut in Freterive. Das hat er vorher schon gemacht, in einer Zeit, in der Biodynamie noch als Lifestyle, sondern als extraterrestrisch und vernunftwidrig abgetan worden ist. Sein Weingut hat er vom konventionell geführten Betrieb seines Bruders abgetrennt. Ein Sektierer, wie er im Buch steht und wie ihn der Rudl ganz besonders schätzt. In den Neunziger Jahren gehören die Weine von Michel Grisard schon zu den gefragteren in Sayoyens, wobei savoyardische Weine zur Zeit Plinius‘ des Älteren in Rom gefragt waren, jetzt sind sie es in Paris. In der nicht ganz kurzen Zeit dazwischen, unter anderem in den Achtziger Jahren, als Michel Grisard seinen Betrieb biodynamisch umgestellt hat, war Wein aus Savoyen auch in Frankreich ungefähr so populär gewesen, wie er es jetzt in Österreich ist. Dass sich das geändert hat und savoyardische Weine nicht mehr nur mit identitätsschwachem Gschloder oder Glühweinbasis assoziiert werden, hat mit den Petavins, einer Gruppe von biologisch und biodynamisch arbeitenden Winzern, zu tun. Dass es die Petavins gibt, hat wiederum viel mit Michel Grisard zu tun. Der hat um sich und seine Weine nie ein großes Theater veranstaltet und seine Energien auch dafür verwendet, junge Winzer für seine Ideen zu begeistern. Jacques Maillet ist einer von diesen und jetzt selber schon in der Rentn, die Giachinos andere. Sie haben mit dem Jahrgang 2015 die Weingärten von Michel Grisard übernommen. Dominique Belluard wäre ein dritter.
Eine Domaineifizierung von Verbindlichkeit
Michel Grisard ist ein Typ, dem so ein extraordinärer Status aber weder genügt, noch wichtig ist. Das kann ein Grund sein, warum er in den Neunziger Jahren auf die Idee kommt, einen damals etwa fünfzig Jahre der Verwaldung überlassenen Weinberg in Cevins zu rekultivieren. Jetzt unterscheidet sich das Tal der Isère, was das Klima für den Weinbau berifft, sowieso schon zumindest in zweier- oder dreierlei Hinsicht von denen der Rhône, der Loire oder gar des Rheins. Bei Cevins kommt dazu, dass es relativ weit am Oberlauf des Baches liegt, fast ein bissl „aus dem Schuss“ möchte man sagen.
Darüber hinaus verdient der Weinberg von Cevins die Bezeichnung „Berg“. Als Berg ist er dort nicht unbedingt ein Sonderling, als Weinberg aber ganz bestimmt. In diesem Tal, auf diesem Gefälle rekultiviert man einen Weinberg vermutlich nur dann, wenn man eine sehr konkrete Vorstellung vom Potenzial so eines Terroirs und zumindest ausreichend Energie hat.
Ersteres hat Michel Grisard, Zweiteres auch mehr als die meisten anderen in seinem Alter. Trotzdem hätte das ziemlich sicher nicht gereicht. Darum sucht er sich 2003 einen jungen Compagnon, Brice Omont aus der Champagne. Bereits 2002 hat Grisard den ersten nennenswerten Jahrgang aus den Trauben von Cevins gekeltert. In Zeitl arbeiten Brice Omont und Michel Grisard dann gemeinsam, 2008 übernehmen sie zusätzlich Weingärten in Saint Pierre de Soucy, etwas weiter flussabwärts. 2010 ist für Michel Grisard die Mission erledigt. Er übergibt an „den Jungen“ und zieht sich wieder auf seine zwei Hektar mit Mondeuse und Altesse in Freterive zurück.
Seither kann man die Kommentare zu den Weinen der Domaine des Ardoisières Schülerinnen und Schülern mit Grammatikdefiziten als Übungstexte zum Komparativ und zum Superlativ vorlegen. Mit dem Jahrgang 2017 wird ein drittes Terroir das Triumjardinat ergänzen.
Argile Blanc, Coteau de Saint Pierre de Soucy
Exposition und Boden
Der Weingarten ist nach Westen ausgerichtet. Der Boden ist geprägt von Mergel aus dem Jura und Schiefer, reich an Kalk und Ton.
Rebsorten
In Jahren, in denen die Schafe von nebenan keines Lochs im Zaun gewahr werden und infolgedessen nicht über die Chardonnaytrauben herfallen können, besteht der Wein aus vierzig Percent Jacquère, vierzig Chardonnay und zwanzig Mondeuse Blanche.
Vinifizierung und Ausbau
Biodynamie versteht sich bei einem von Michel Grisard initiierten Projekt von selber, spontane Vergärung detto, so gesehen fast ein Wunder, dass man den Weinen der Domaine des Ardoisières noch nicht das Naturweintaferl umgehängt hat.
Argile Blanc wird acht Monate zu einem Drittel in gebrauchten Barriques und zu zwei Drittel im Stahltank ausgebaut. Ziemlich sicher ist das der Grund, warum ihn der Rudl etwa bis zum Jahrgang 2010 dem teureren Schiste und dem noch teureren, aber sowieso kaum derglengbaren Quartz vorgezogen hat. Bei diesen beiden war ihm das Holz zu neu. Spätestens mit dem Jahrgang 2012 hat sich das geändert. Entweder haben die immer noch nicht als Methusalemreben zu bezeichnenden Stöcke inzwischen ausreichend tiefreichende Wurzeln, um dem Holz genug Energie entgegenzusetzen oder es sind immer noch dieselben Barriques, nur inzwischen halt entsprechend gebrauchter. Vielleicht ist beides der Fall. Als lebendig und elegant, kristallin und vibrierend wie der Riff einer elektrischen Gitarre werden sie immer wieder beschrieben. Aufgrund der besessenen Arbeitsweise von Brice Omont und früher von Michel Grisard, für die das Adjektiv „kompromisslos“ ein Understatement darstellt, liest man immer wieder, dass diese Weine eher schon mittelfristig als langfristig den Olymp der gefragtesten Flascherl des Landes derkraxelt haben werden, wobei das dem Rudl weder notwendig noch wünschenswert erscheint.
2015
In einer Reihe von Jahrgängen, die sich nicht durch ein Übermaß an Empathie für Weinbäuerinnen und Weinbauern auszeichnen, fällt 2015 aus dem Rahmen. Ziemlich ideale Witterung, gesunde, Trauben, passable Menge.
2014
Davon gibt es weniger, was Caviste Rudolf zuerst dem Wetter in die Schuhe geschoben hätte. Aber in Saint Pierre de Soucy waren es die Schafe. Zum Glück war zu dem Zeitpunkt, als die den Zaun überwunden haben, nur der Chardonnay reif. Jetzt sind aber die Weine der Domaine des Ardoisières sowieso viel stärker vom Boden als von den Rebsorten geprägt. Darum kann es sein, dass man die etwas veränderten Rebsortenproportionen gar nicht so deutlich schmeckt. Zu wenig gibt es halt.
2013
Der kalte und niederschlagsreiche Winter hat den savoyardischen Rebsorten keine grauen Federn wachsen lassen. Auf den sind sie eingestellt. Auf einen furchtbarer Frühling wie 2013 nicht. Ein heißer Sommer bedeutet auch in Savoyen ein erhöhtes Hagelrisiko. Die Trauben, die im September das Handtuch immer noch nicht geworfen hatten, haben bei der Lese nicht durch Pünktlichkeit geglänzt, erwiesen sich in qualitativer Hinsicht aber als äußerst kompetent, ausgeglichen und gesund.
2009
In diesem Jahr ist der Rudl zum ersten Mal bei Brice Omont am Weingut gewesen, was kaum Spuren in den Weinen dieses Jahrgangs hinterlassen haben dürfte. Beim ersten Besuch vom Rudl war der Sitz des Weingutes noch in Cevins, direkt am Fuß des Felsnockens, auf dem ein Großteil der Weine der Domaine des Ardoisières wächst und der dem Weingut den Namen gegeben hat. „Ardoisières“ sind Schieferplatten. Weil sich Monsieur Brice verspätet hat, ist der Rudl damals zu den Schieferterrassen hinauf gekraxelt. Das war an sich imposant. Wenn man sich oben dann vergewissern kann, dass das tatsächlich der einzige Weingarten in der Umgebung ist, schmälert das die Beeindruckung nicht gerade. Im Jahr darauf hat Brice Omont den Sitz des Weingutes nach Freterive verlegt. Das liegt ungefähr auf halbem Weg zwischen seinen beiden Weingärten.
Den eeißen Zweitausendneunern aus Savoyen sagt man nicht die allergrößten Fähigkeiten auf der Langstrecke nach. Zu heiß der Sommer, zu wenig Säure die Weinderl. Auf einen mittelkalten Winter mit ausgesprägtem Weitblick, was die hohen Niederschläge betrifft, folgen ein sehr sonniger Frühling und ein heißer Sommer. Der Argile Blanc 2009 soll nach Auskunft des Dirigenten der Domaine des Ardoisières gerade sehr gut dastehen. Der Rudl hat ihn schon länger nicht mehr getrunken, wird die Einschätzung von Monsieur Brice aber anhand seiner letzten Flasche zu verifizieren trachten.
- Argile Blanc 2015, Domaine des Ardoisières, IGP Vin des Allobroges (4,50/7)
- Argile Blanc 2014, Domaine des Ardoisières, IGP Vin des Allobroges (4,50/7)
- Argile Blanc 2013, Domaine des Ardoisières, IGP Vin des Allobroges (4,50/7)
- Argile Blanc 2009, Domaine des Ardoisières, IGP Vin des Allobroges (5/8)
(in Klammern die Preise für das Sechzehntel und das Achtel)
…, aber selbstverständlich nicht ausschließlich diese Weine gibt es glasweise
am Mittwoch, den 3. Mai von 16 bis 22 Uhr
und am Freitag, den 5. Mai von 18(!) bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Verzichtbares und Ganzbestimmtnichtverzichtbares. Ankündigung eins
Es gibt schon das eine oder andere, auf das der Rudl in Wien verzichten könnte, auf die Flexibilität zum Beispiel. Möglicherweise hat die ja mit dem Wind zu tun. Der bewirkt, dass ein Manterl oder ein Fahnderl und auch ein Beuterl schön flattert, wenn man es nach ihm hängt. Letzteres scheinen manche mit einer atemberaubenden Wendigkeit und Geschwindigkeit zu vermögen. Da fallen die biblischen Samenkörndel dann weder auf den Weg, noch auf Stein und auch nicht auf Erdreich, nicht einmal in die Dornen, sondern bleiben im wehenden Mantel hängen, bevor sie die Nähe zum Terroir auch nur gespürt haben. Ein solides Fundament stellt sich der Rudl anders vor. Aber wenn, vor allem in urbanen Kreisen, lange und intensiv genug Wertfreiheit propagiert, der Rudolf Polifka ist fast geneigt zu schreiben „gepredigt“ wird, dann braucht man sich vermutlich nicht zu wundern, dass irgendwann irgendwer in dieses Vakuum der Wertfreiheit hineinplatzt. In der Regel tun das geschäftstüchtige Konzerne und primitive Hetzer, das dann dafür aber nicht nur in urbanen Kreisen. Mit Unverbindlichkeit und Lifestyle wird man den hetzenden und trommelnden Wichten kaum das Wasser abgraben, vor allem nicht in der Schule. Den Rudl hat, wie schon das eine oder andere Mal erwähnt, Wertfreiheit noch nie interessiert, allein schon weil es sich auf der Basis von veritabler Wertfreiheit nicht gut streiten und disputieren lässt. Auf der Basis angemaßter Wertfreiheit wiederum mehr oder weniger nur fundamentalistisch. Darum wird man entgegen einer in Wien immer wieder artikulierten Prognose eben schon einen Richter brauchen, nicht zuletzt deshalb, weil das goldigste und wertneutralste Herz auch ziemlich hart sein kann. Dann hört sich der Spaß auf und mit dem Spaß ganz oft auch Humanismus, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Nachdem Ihnen, gemeigte Oenologin, gewogener Oenologe, der Rudl jetzt des ziemlich Langen und Breiten eröffnet hat, worauf er unter anderem verzichten kann, ist es ihm jetzt ein Gebot der Ausgewogenheit, kundzutun, worauf er in Wien und Umgebung durchaus nicht verzichten möchte: den Heurigen „als solches“.
Der Heurige
Diese Konzept hat es dem Rudl angetan, in einem Ausmaß, dass er vielleicht nicht gleich lieber, aber zumindest doch faszinierter einen nicht so guten Wein beim Heurigen als einen formidablen zuhause trinkt. Und wenn es dann, wie bei Leo Uibel, der Dankbarkeit, an den Augustwochenenden beim Kloster am Spitz in Purbach und drei mal drei Tage im Jahr bei Friedrich Kuczera in Gumpoldskirchen möglich ist, einen guten Wein beim Heurigen zu trinken, dann kommt das am Gaumen vom Rudl schon einem veritablen gastronomischen Ideal nahe.
Der Heurige des Rentnerkollegen Friedrich Kuczera hat kommendes Wochenende, Freitag, den 5. Mai bis Sonntag, den 7. Mai ab 15 Uhr ausg’steckt, dann bis Anfang September nicht mehr. Da sind Planung und Verbindlichkeit von Vorteil. Sonst geht sich das womöglich gar nicht aus.
Der langen Schreibe kurze Begründung
Das ist der Grund, warum am Freitag, den 5. Mai die Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils erst ab 18 Uhr geöffnet hat. Vorher hockt zu Rudl im Heurigen von Friedrich Kuczera, isst Karst-Teller und trinkt Zierfandler. Dann düst er mit der nach dem Spitznamen des Zierfandlers benannten Bahn nach Wien und sperrt um spätestens 18 Uhr sein Geschäft auf.
Vorschau auf die Lehrveranstaltung vom 10. und 12. Mai. Ankündigung zwei
Fremdes, wie es fremder kaum mehr geht, zumindest in oenolinguistischer Hinsicht. Irouléguy Blanc 2009 bis 2014, Arretxea und Ilarria.
In diesem Fall hat das Thema relativ ungewöhnlicher Weise sogar einen Sinn, no ja, zumindest ein ausreichendes Motiv. Am 6. Mai wird die zweite Ausgabe einer der wenigen erfreulichen Zeitschriften über Essen und Trinken erschienen sein. Diese nennt sich All you can eat. Nachdem sich die erste Ausgabe des Magazins dem Thema Fett gewidmet hat, wird die zweite Ausgabe mit dem Titel Fremd ziemlich sicher noch deutlicher nachvollziehbar machen, dass es so eine Zeitschrift bis jetzt nicht gegeben hat und das Ende dieses Mangels überaus erfreulich ist. All you can eat N° 2, Fremd – zu beziehen im gut sortierten Fachhandel und im Abonnement.
Im Übrigen ist Rudolf Polifka der Meinung, dass man den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag erklären sollte!
Herr Rudolf grüßt Sie verbindlichst!