Junker und Lederhosen im Kopf
Jetzt hebt sie wieder an, die Jungweinzeit. Und ganz offengestanden kann sich auch der selbsternannte Oenologierat Rudolf Polifka nicht ganz der Faszination dieser Wandlung von der Beere über die Gärgase und Gatsch zum Wein entziehen. Zu keinem anderen Zeitpunkt des Weinjahres kann man den Einfluss von Zeit auf den Wein oder zumindest auf das, was zum Wein werden soll, so deutlich miterleben: vor wenigen Tagen noch eine Traube am Stock, heute eine brodelnde Lacke und wenn kein ungeduldiger Patron am Werk ist, in ein paar Jahren ein ansprechender Wein. Wenn. Wobei der Rudl ja weniger die Ungeduld an sich als vielmehr das Dogma der Optimierung für den Jungweinunfug im Speziellen und den Weltuntergang im Allgemeinen verantwortlich macht. Es muss halt alles schnell gehen und vor allem viel sein. Das Wie?, eine Frage, über die sich Naturwissenschaften einmal Gedanken gemacht haben, scheint nicht mehr so interessant zu sein. Neben dem Wie viel?, Wie schnell? und Wie laut? der betriebswirtschaftlichen Dogmatik ist es für Geisteswissenschaften längst und Naturwissenschaften jetzt auch zunehmend eng geworden.
Auf alle Fälle schmeckt das, was man als „Jungwein“ bezeichnet, nach allem Möglichen, aber halt oft nicht sehr nach Wein.
Das ist für sich schon ziemlich unerfreulich. Im Widerstand zu den Lederhosen an den Haxen, aber vor allem zu den Lederhosen in den Köpfen ist der Rudl aufgewachsen. Das war für ihn identitätsstiftend.
Heute bieten pfiffige Fetzentandler aus Fernost dieses irrdümmliche Heimattum zu Ramschpreisen an, während alteingesessene Trachtenschneidereien der Reihe nach zusperren. Wenn dann zur Zeit der Wiener Wiesn der Simmeringer Junker in seiner urigen Kluft das Bild in der U3-Endstation noch grausliger macht, dann sieht der Rudl wenig Veranlassung, darin irgendetwas anderes als den Untergang des Abendlandes zu sehen. Und Monsieur Rudolf sieht kein ausreichendes Motiv, an einem Wein gutzuheißen, was er an einem Simmeringer auszusetzen hat.
Neo- oder Uraltfeudalismus?
Dazu kommen feudale Assoziationen, die der „Junker“ beim Rudl auslöst. Und mit dem Feudalismus hat Citoyen Rudolf Polifka seine Probleme, vor allem weil er nicht glaubt, dass dieser überwunden ist. Womöglich hat er nur seine religiöse Legitimation verloren. Immerhin!
Aber zu häufig begegnet der Rudl feudalistischen Strukturen. Ob auf Ämtern, in Betrieben, Fußballvereinen, Familien oder anderen Körperschaften, die Gutsherren- und Gutsherrinnenattitude scheint nach wie vor en vogue. Manchmal beschleicht Herrn Rudolf der Verdacht, dass sich der antifeudalistische Kampf der Lehensweiber und Lehensmänner darin erschöpft hat, doch lieber Lehensherrinnen und Lehensherren sein zu wollen, anstatt mit dem ganzen Feudalsystem an sich dorthin zu fahren, wo es hingehört, nämlich zum Teufel. Möglicherweise haben auch Verhaltensforschung und Evolutionsbiologie feudalistischen Lebensentwürfen wieder Aufschwung verliehen, „Alphatiere“ und so weiter …. Das biblisch-humanistische Ideal einer egalitären Gesellschaft wird nach Strich und Faden desavouiert. Um dies zu kaschieren haut man auf das hin, was dieses System zwar vor Jahrhunderten einmal gestützt, im Jahr 2021 aber längst kein gesellschaftlicher Machtfaktor mehr ist, sich möglicherweise sogar eher als einer der letzten ernstzunehmenden Kritiker feudalistischer Diskriminierungen erweist.
Die Mitzi aus Wulkaprodersdorf und der Hiasi aus dem Bregenzerwald haben das katholische Jopperl in den Kasten gehängt, sich eine hippe Urbanität zugelegt und verschreiben sich mit Haut und Haar den Dogmen und Benimmregeln von irgendwelchen angesagten Kommunikationsgurus, Designern oder anderen Kerzlschluckern des Zeitgeistes. Der Rudl bezweifelt, dass sich da mehr als die Fassade geändert hat.
Er kennt ein paar Menschen, die seit mindestens fünfunddreißig Jahren gegen klerikale und säkulare Dogmatisierungen kämpfen, nachweisbar. Und er fragt sich immer öfter, wo die heute in Bezug auf Religion so kritischen Geister vor fünfzehn, vor zwanzig und vor dreißig Jahren waren, als man tatsächlich noch berufliche Nachteile befürchten konnte, wenn man diesbezüglich seine Pappalatur zur weit aufgerissen hat und noch nicht finanziell abgesichert war.
„Se ham a poa offane Tian eingrennt“, hat der unvergessene Trainer einmal geschrieben.
Darum kredenzt Caviste Rudolf am Dienstag zu Ehren des Franz von Assisi keinen Junker, sondern ausschließlich Weine, die mindestens fünf Jahre reif sind.
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Gemischter Satz 2008, Josef Salomon, Falkenstein, Weinviertel (3/5)
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Jacquère 2016, Dupasquier, Aimavigne, AOP Vin de Savoie (3/5)
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Marignan 1515 2016, Les Vignes de Paradis, Ballaison, IGP Vin des Allobroges (5/8)
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Altesse 2014, Dupasquier, Aimavigne, AOP Vin de Savoie (3/5)
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Neuberger 2016, Weingut Dieter Dorner, Novi Vrh und Mureck, Steirerland (6/9)
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Irouléguy blanc 2013, Domaine Ilarria, AOC Irouléguy, Sud Ouest (5/8)
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Breg Rosso Anfora 2004, Joško Gravner, Oslavia, Italien (13/20)
reiner Pignolo im Holz vergoren, dann in Amphoren, alles ohne Temperaturkontrolle, fünf Jahre wieder Holz, fünf Jahre Flasche, sowieso unfiltriert und ungeschönt – Tannine jetzt gebändigt, Wein auch bei der diesjährigen Versteigerung zugunsten des Wiener Integrationshauses (online von 8. bis 12. November UND analog im Alten Wiener Rathaus am 11. November – nicht vergessen!) ersteigerbar.
… glasweise
am Dienstag, den 5. Oktober von 17(!) bis 21 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Cycling Caviste Rudolf Polifka freut sich über Reservierungen (er hat nur acht Verabreichungsplätze), stellt in Wien zustellgebührfrei Wein zu und bleibt der Meinung, dass der 27. Jänner, der Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz, endlich zu einem europäischen Feiertag zu erklären ist.
Rudolf Polifka grüßt Franz, den Trainer, alle, die „liaba geng vasperrte Tian“ rennan, sowie den Wirt und Winzer mit dem weltbesten Musikgeschmack!
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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien