Sauerstoff und Schanigärten
Jetzt beginnt sie wieder so richtig, die Schanigartensaison. Und es ist ja auch schön, wenn man irgendwo sitzt und auf das Meer, einen See oder eine imposante Gebirgskulisse schaut. Auch der Platz vor der Reindorfkirche gefällt dem Rudl. Da würde er natürlich gerne einen ganz kleinen Schanigarten aufstellen. Nur möchte man den Kirchenplatz als kommerzfreie Zone erhalten. Und davor hat Kaufmann Polifka höchsten Respekt, denn ganz einfach ist das sicher nicht. Gar so viel kommerzfreie Zone gibt es in der Stadt eh nicht.
Stickoxide und Schanigärten
Es dürfte auch Zeitgenossinnen und Zeitgenossen geben, die von der Angst vor der Decke vor die Gaststätten getrieben werden. Anders will es sich der Rudl nicht erklären, dass sogar zwischen den beiden Fahrtrichtungen am Wiener Gürtel Schanigärten wachsen. Oder vor dem neuen Hauptirgendwashof, wo man sicher über dreißig Fast Food Nudelgerichte vergleichen kann, aber vor einem veritablen Problem steht, wenn man Zug fahren möchte. Und auch dort sitzen Menschen. Sind das die Zeitgenossen, die es nie eilig haben, außer wenn sie sich anstellen sollten und die in öffentlichen Verkehrsmitteln immer gleich bei der Tür stehen bleiben und alles blockieren? Kann es sich dabei um archaische Reflexe aus nomadischen Vorzeiten handeln? Vielleicht liest diese Zeilen ja jemand, die oder der gerade ein Thema für eine (vor-)wissenschaftliche Arbeit sucht: Wie wäre es mit „Bewusste, vorbewusste und archetypische Motive der Platzwahl in Wiener Verkehrsmitteln und Lokalitäten“?
Der Rudl liebt auf alle Fälle den Sauerstoff, aber es kann auch Sauerstoff unter einem Dach sein, zumindest lieber als Stickoxide, wurscht wo. Genau genommen ist ja nicht einmal der Sauerstoff immer ein Guter.
Rost und so
Den brockt einem beispielsweise der Sauerstoff ein. Und den braucht der Rudl circa so dringend wie ein Papiersackerl, wenn es stark regnet. Nichts gegen sauer und als Strukturalist hat der Rudl sowieso nichts gegen Stoff, aber wenn es ums Eisen geht, kann sich der Sauerstoff vom Rudl aus über die Häuser hauen.
Sauerstoff und Wein
Nicht ganz so eindeutig stellt sich das Verhältnis zwischen Sauerstoff und Wein dar. Da gilt es vorsichtig und genau zu sein, nicht zu viel und nicht zu wenig. Die mittelalterliche Tugend der mâze ist da gefragt. Vom Weinbauer und vom Weintrinker. Wobei sich das Problem für Ersteren doch noch um das eine oder andere Eck schwieriger darstellt als für den Endverbraucher. Muss der Winzer die Fragen nach den richtigen Ausbauorten und -zeiten, dem Schwefel, dem Verschluss, um nur ein paar zu nennen, richtig entscheiden, so beschränkt sich der Handlungsspielraum des Weintrinkers darauf, wie lange vor dem Zusichnehmen er das Flascherl aufmacht und ob er den Inhalt gegebenenfalls temporär begrenzt einer Karaffe anvertraut. Diesbezüglich hat die Revue du Vin de France vor ein paar Jahren einen nicht ganz uninteressanten Versuch gemacht. Man hat von fünf renommierten Weißweinen des Jahrgangs 2010 jeden unter drei unterschiedlichen Sauerstoffeinflüssen verkostet:
1. Variante: aufmachen, vier Minuten Geduld vor dem Glas
2. Variante: aufmachen und vier Stunden Geduld vor der Karaffe
3. Variante: aufmachen und vier Tage Geduld vor der Flasche
Nur der trockene Vouvray von Clos Naudin war vier Minuten nach dem Öffnen in Höchstform. Schoenenbourg von Jean-Michel Deiss und Silex von Dagueneau waren nach vier Stunden ideal zu trinken, Chablis La Forest von Dauvissat und Châteauneuf-du-Pape der Domaine Les Cailloux haben vier Tage lang entschleunigt, bevor sie ihr Bestes gezeigt haben.
Gerade so ähnlich wird Monsieur Rudolf diese Woche ein und den gleichen Wein unter drei verschiedenen Sauerstoffeinflüssen offerieren.
Das kleine Schluckerl 2013, Jacques Maillet
Es wird sich dabei um Le P’tit Canon 2013 von Jacques Maillet handeln, einen Wein, der aus einem Engpass heraus geboren worden ist. 2011 hat Monsieur Jacques nicht ausreichend Ernte für seine Altesse gehabt. Darum hat er kurz entschlossen zu dem, was an Altesse da war, dieselbe Menge Jacquère geschüttet, fünfzig – fünfzig, quasi equidistant, damit es da keine Bröseln gibt zwischen den Traubensorten. Auch die Aufgabenverteilung war klar: Für barocke Opulenz und Eleganz sorgt die Altesse, für aufgeklärte Frische und Kristallinität die Jacquère. Wachsen tun die beiden Rebsorten im selben Weingarten, dem Cellier des Pauvres, einem Terroir aus Sandstein und Kalkgeröll, mit einem unvergleichlichen Ausblick über den Lac du Bourget. Ein Wein von bemerkenswerter Salzigkeit, mit Speisenbegleiterfahigkeiten von bis zu 360 Grad, von Jakobsmuscheln über ein Raclette bis zu geschmortem Geflügel in Morchelrahmsauce. Biodynamie im Garten und im Keller, spontanvergoren, unfiltriert. 35 bis 40 Hektoliter pro Hektar, bei alten Weinstöcken kaum anders möglich. KEIN Orangewine. Meister Jacques schwefelt minimal, wenn dann nur beim Füllen. Manchmal schwefelt er gar nicht. Und da könnte so eine Sauerstoffexpositionsstudie schon einiges hergeben.
Studienrat Rudolf wird also diese Woche
eine Flasche Le P’tit Canon 2013 von Jacques Maillet drei Tag vor einer allfälligen Konsumation öffnen, ein Achtel trinken und das Flascherl hierauf wieder zustoppeln, ohne Vacu Vin.
Den Inhalt einer zweiten Flasche wird er am Donnerstag um 16 Uhr in einer Karaffe der frischen Reindorfer Luft zuführen, sodass Sie diesen Wein dann, falls Sie, sagen wir um 19 Uhr beim Rudl vorbeischauen, nach drei Stunden Karaffage trinken können. Sollte dieses Flascherl am Donnerstag Abend leer sein, wird Herr Rudolf die Versuchsanordnung am Freitag analog wiederholen, was im Fall des drei Tage belüfteten Canons nicht möglich ist, es sei denn der Herr Rudolf löst bis Freitag dieses Problem mit der Lichtgeschwindigkeit. Aber verlassen würde er sich an Ihrer Stelle darauf nicht.
Den dritten Le P’tit Canon 2013 wird Rudolf Polifka öffnen, sobald er in dieser Woche zum ersten Mal bestellt wird. Und Sie können dann drei Minuten warten und ihn trinken, aber Sie müssen nicht. Diesbezüglich ist der Rudl da ja beinahe libertinär.
Wenn Sie möchten, können Sie sich diesen drei Weinderln, die, respektive der genau genommen ein Weinderl in drei Belüftungsvarianterln sind, respektive ist, synchron widmen. An den Gläsern wird das nicht scheitern.
Wein aus drei Flaschen mit unterschiedlich intensivem Sauerstoffkontakt, aber wie fast immer nicht ausschließlich das
am Donnerstag, den 7. Mai und am Freitag, den 8. Mai
von 16 bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Genießen Sie die frische Frühlingsluft, mit oder ohne Weinbegleitung! Herr Rudolf