- Jetzt wirds ernst. Nach gefühlten sechshundertsechsundsechzig Flachetappen,
die alle wie ein Elferschießen zwischen England und Deutschland enden,
machen sich die Radler auf den Weg in die savoyardischen Alpen. Und jetzt
zählt es. Auch für Monsieur Rudolf ist das in mehrfacher Hinsicht aufregend:Die Radlerei ist dort meistens spektakulärer als in der Ebene. Der Rudl
schaut sehr gern zu, beim Radlfahren, aber auskennen tut er sich eher nicht
so gut. Und da gibt eine Bergetappe naturgemäß mehr her als eine von Taktik
geprägte Flachetappe, landschaftlich, aber auch spannungstechnisch.Darüber hinaus ist Bergmeister Rudolf ja ein Kind der Alpen. Die sind ihm
vertraut. Dass er ihnen nicht so wahnsinnig viele Tränen nachweint, tut da
nix zur Sache.Wirklich zuhause ist der Rudl in oenologischer Hinsicht in den
französischen Alpen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Sortiments seiner
Weinhandlung wächst dort. Und das sind – gemeinsam mit den Pyrenäenweinen
aus Irouléguy und Juranςon – auch die Weine, die er selber am allerliebsten
trinkt. Schon seinerzeit bei den Römern sind ja die Weine der Allobroger,
wie die Bewohner der Westalpen genannt wurden, ziemlich hoch im Kurs
gestanden, natürlich auch der Käse. Weil der Römer hat schon eine Ahnung
von einem savoir vivre.Das war schon so, als dieser Hannibal mit dreißig Elefanten über den Col du
Clapier gen Rom gezogen ist. 1979 haben Jacqueline Vial-King und Jack
Wheeler mit nur zwei Elefanten diesen Feldzug nachgestellt, in friedlicher
Mission, nur um zu zeigen, dass das geht. Quod erat demonstrandum, wie der
Lateiner sagt. Im Prinzip macht der Rudl ja nichts anderes, nur eben ohne
Elefanten und mit Wein.Wie jede Geschichte liest sich auch die von Savoyen ziemlich lustig, vor
allem wegen der komischen Namen. Letztendlich ist es ja das, was den Rudl
an der Auseinandersetzung mit der Historie fasziniert. Die Hilpérics,
Dagoberts, Gondebauds et cetera … Das könnte der Herr Rudolf stundenlang
studieren. Die Frage ist halt, ob sich das, was heute passiert, in
tausendfünfhundert Jahren genauso lustig liest. Aus heutiger Sicht eher
schwer vorstellbar, dass über Geschichten, in denen Wilhelms, Wolfgangs und
Michaels agieren, irgendwann einmal wer lacht, zumindest nicht wegen der
Namen. Oder noch zwanzig Jahre später: Bundeskanzler Noel Krautgartner und
Infrastrukturministerin Chantal Besenwiesler … Aber bitte, in
tausendfünfhundert Jahren ist dann wahrscheinlich auch der Humor ein
anderer.Der ultimative Höhepunkt in der Geschichte Savoyens dürfte im Jahr 888
erreicht gewesen sein, tausendeinhundert Jahre, bevor Holland den bis jetzt
einzigen Titel bei einer Welt- oder Europameisterschaft im Fußball gewonnen
hat. Da hat sich ein gewisser Burgunder Rodolphe, bairischer Abstammung, in
Savoyen zum König ausrufen lassen. Bemerkenswerterweise ist das die Zeit,
in der die Weinberge von Chautagne (Jacques Maillet) und Chablais (Samuel
Delalex) kultiviert werden. Wie das damals üblich war, ist darauf gleich
ein Rattenschwanz an gleichnamigen Herrschern, die sich jeweils nur durch
eine um eins höher Ordnungszahl von ihren Vorgängern unterschieden haben,
gefolgt. Rodolphe III. hat dann auf alle Fälle 1032 an Conrad II. übergeben.Savoyen sieht dann einige Amédés kommen und gehen. Vom achten, der auch den
Gegenpapst Felix V. gegeben hat, war hier schon die Rede. über Amédé IX.
heißt es, dass er sich mehr für Theologie und Einkehr interessiert hat als
für seine Staatsagenden. Für einige Repräsentanten des politischen
Establishments in österreich würde man sich so etwas wünschen. Die
Amtsgeschäfte hat dann seine Frau, Yolanda von Frankreich geführt. Und auch
das würde bei etlichen österreichischen Politikern heute eher nicht zu
einem Qualitätsverlust führen. Yolanda war intelligent und gut, sie liebte
die Menschen, die Bücher und die Musik. Wer würde da nicht an den Trainer
denken? Ihren Amtssitz hat sie von Chambéry nach Turin verlegt. Wenig
später gründen ein paar Männer rund um Franz von Sales in Annecy die
Académie florimontane. Die hält dann als Vorbild für die Academie francaise
her. Zum Motto wird ein Dictum des Humanisten Franz von Sales:„L’homme est la perfection de l’univers,
l’esprit est la perfection de l’homme,
l’amour est celle de l’esprit
et la charité est celle de l’amour. »Und auch das könnte sich der eine oder andere Geistesriese im National-
oder Gemeinderat zu Wien hinter die Löffel tätowieren lassen, wenn er
einmal gerade nicht auf einer Yacht, in einer Großraumdisco oder an einem
Stammtisch Kunden betreut.Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges formieren sich viele Savoyarden der
Resistance zum siebten, dreizehnten und siebenundzwanzigsten Bataillon der
„Chasseurs alpins“ und sind nicht unwesentlich an der Befreiung österreichs
beteiligt.Darüber hinaus wäre von savoyardischen Auswanderern nach Louisiana, Jean-
Jacques Rousseau, Victor-Amédé II., dem aufgrund einer Verwechslung
Sizilien anheim fällt, obwohl er in Wirklichkeit Sardinien geerbt hat, und
einer abwechslungsreichen Geschichte zwischen Italien und Frankreich zu
berichten. Aber nicht an dieser Stelle und nicht zu dieser Zeit. Denn
Monsieur Rodolphe möchte noch ein paar Wörter zu seinen Tour de France-
Weinen verlieren.Diesen Freitag fahren sie von Saint Etienne nach Chamrousse. Weit ist es
da nicht mehr nach Jongieux, wo vor etlichen Jahrzehnten die Weinreben von
Noel Dupasquier mit dem Krampen in den äußerst steilen Kimmeridge
Kalkfelsen – Sie erinnern sich an Dover und Chablis – gehauen worden sind,
denn Humusauflage gibt es dort so gut wie keine. „Vine on the rocks“ soll
ein amerikanischer Geologe das genannt haben. Die Weingärten schauen nach
Westen zur Rhône hinunter, die dort noch ein Bach ist. Der Wasserabzug ist
aufgrund der Steilheit und des Kalkes fast zu gut. Man kann diesen Abhang
des Mont du Chat, der auf der anderen Seite ziemlich markant über den Lac
du Bourget, den größten Binnensee Frankreichs, ragt, als Kerngebiet der
Rebsorte Altesse betrachten. Die Ernte beträgt 25 Hektoliter pro Hektar.
Rentabilität wird anders definiert. Der Cru Marestel, den es ab September
in der „Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils“ geben wird, galt ab dem
fünfzehnten Jahrhundert als Wein der Prinzen. In der Jugend schmeckt er
nach Honig, Mandeln, Haselnüssen, Bergamotten und Wiesenblumen.
Unvergleichlich wird er mit entsprechender Reife.Diese Woche kredenzt Monsieur Rodolphe
Jacquère 2010: 900 Hektar, das ist fast die Hälfte der Rebfläche
Savoyens, sind mit Jacquère bestockt. Die Weine sind fast immer leicht.
Etliche Winzer geben sich mit dem Jacquère als Fonduebegleiter zufrieden.
Noel Dupasquier nicht, Fred Giachino noch viel weniger
Chardonnay 2009 und
Roussette de Savoie 2009 (Roussette darf man zu Altesse sagen, wenn er
bestimmte Kriterien erfüllt und auf bestimmten Böden wächst)
… alle von der Domaine Dupasquier, von der es ab September dann noch
etliche Weine mehr geben wird, worauf sich der Rodl schon freut wie ein
Christkindl.Das alles, aber nicht ausschließlich, auch diese Woche wieder zu den Tour
de France Sonderöffnungszeitenam Dienstag, am Mittwoch, am Donnerstag und am Freitag
jeweils von 19(!) bis 22 Uhr
in der „Weinhandlung Rodolphe Polifka et Fils“, Reindorfgasse 22Im übrigen möchte Monsieur Rodolphe noch einmal explizit darauf hinweisen,
dass es nicht nur erlaubt, sondern erwünscht ist, wenn Sie sich selber eine
Jause mitbringen, halt ohne Getränke. Gerade so wie im Bräustübl zu
Salzburg-Mülln. Der Rodl kann aufgrund seiner unorthodoxen öffnungszeiten
nur mit einem zwar sehr feinen, aber umso kleineren Notprogramm an
Kulinarik aufwarten.Auf Yolanda, Franz und die Elefanten! Monsieur Rodolphe
Noch neununddreißigmal schlafen.