Vier und vier Neuburger. Happy Birthday, Paul Gascoigne!

Vor ziemlich genau 30 Jahren ist viel passiert. Über das eine oder andere hat Diplomchroenologe Rudolf Polifka hier schon Abhandlungen verfasst, beziehungsweise hat er Weinwochenthemen unter ein entsprechendes Motto gestellt.

Als englischer Fußball alles andere als angesagt war
Der englische Fußball ist in der zweiten Hälfte der Achtziger Jahre in einem Niemandsland vor sich hin getümpelt. Im Europacup gesperrt. Nationalmannschaft 1988 bei der Europameisterschaft in Deutschland ein Fiasko. Die nationale Meisterschaft dominiert von einer sogenannten Kultmannschaft aus dem Nordwesten. Interessiert hat das alles viel weniger, als man auf der Insel geglaubt hat.

Droben beim Hadrian Wall
Im Nordosten Englands, in Newcastle upon Tyne, hatte schon am 13. April 1985 ein etwas pummeliger Teenager das Licht der obersten Spielklasse erblickt. Sir Paul John Gascoigne. Und wenige Jahre später war um den englischen Fußball ein Griss, dass man es nicht glauben konnte. Wie immer man zu der Entwicklungen des englischen Fußballs seit „Gazzamania“ steht, sie wären ohne diesen „little gem“, „daft as a brush“, wie Sir Bobby Robson ihn genannt hat, kaum denkbar. Ihre beiden Höhepunkte waren die wahrscheinlich beste Welt- und beste Europameisterschaft, die eine englische Nationalmannschaft nach 1966 gespielt hat. Was knapp davor, danach und dazwischen war, kann man vergessen und man hat es auch.

Rund um den Dunston Excelsior Working Men’s Club
Angefangen hatte alles in Dunston, einem Vorort jener Stadt, die nach einer autochthonen Wachauer Rebsorte benannt ist: Newcastle upon Tyne. Dort kommt am 27. Mai 1967 Paul John Gascoigne auf die Welt, als Sohn einer Fabriksarbeiterin und eines Ziegelschleppers. Nach einer Kindheit, für die das Wort „schwierig“ ein Euphemismus ist, unterschreibt Gascoigne an seinem sechzehnten Geburtstag einen Vertrag beim Newcastle United Football Club, um 120 Pfund in der Woche. Am 13. April 1985 wird er im St. James‘ Park gegen die Queens Park Rangers eingetauscht. Bald gilt er als die Hoffnung Englands. England sollte in seinen Hoffnungen weniger enttäuscht werden als Paul Gascoigne. Nach der Weltmeisterschaft in Italien ist Gascoigne populärer als Lady Diana. Wer ihn an einem guten Tag spielen gesehen hat, hat seither eine Ahnung von Transzendenz. Wer ihn vermarktet und vermittelt hat, besitzt jetzt einen Haufen Geld. Hoffentlich hat Paul Gascoigne selber wenigstens noch Ersteres.

8 Neuburger
Darum postponiert Monsieur Rudolf die längst überfällige Altesse-Vertikale der Giachino-Brüder noch einmal und schrauft diese Woche eine vier-bouteillige Neuburger-Vertikale von Sepp Mantler auf, ergänzt durch vier andere Vertreter dieser Rebsorte, sodass es dann genau 8 sind. Die Zahl, mit der Paul Gascoigne meistens Fußball gespielt hat, nur um eins mehr als die Zahl, mit der der tätowierteste Scharlatan Fußballfelder für seine ridiculen PR-Campagnen missbraucht hat.

4 Neuburger vom Mantlerhof
Sepp Mantler gilt sowieso bei allen, die sich ein bissl mit Wein beschäftigt haben, als Tüftler. Dem Rudl seiner Meinung nach ist er noch viel mehr. Margit und Sepp Mantler sind mindestens Philosophen, Bauern und personifizierte Herzlichkeit zugleich. Der Neuburger vom Mantlerhof ist eine Hommage an Kristof Ferstel (1805 – 1888), einem Vorfahren von Margit Mantler. Der soll seinerzeit ein Rebbündel aus der Donau gefischt haben. Bei diesem Rebbündel soll es sich um eine Zufallskreuzung aus Rotem Veltliner und Sylvaner gehandelt haben. 1992 haben Margit und Josef Mantler eine heiße und trockene Terrasse mit Neuburgerreben, die Frau Mantler aus Oberarnsdorf in der Wachau mitgebracht hatte, bepflanzt (www.mantlerhof.com). Ziemlich sicher ist das einer der Gründe, warum der Neuburger vom Mantlerhof etwas Besonderes ist. Der Neuburger als solcher ist kapriziös. Auf irgendeinem Boden oder in irgendeiner Lage kann es schon sein, dass er ziemliche Brösel macht. Man kennt das von genialen Fußballspielern.
2008 – gemeinsam mit 2010 und 2013 ein Lieblingsjahrgang vom Rudl in den letzten zehn Jahren

2011 – der erste Neuburger Jahrgang, den Caviste Rudolf vom Mantlerhof in Umlauf bringen dürfen hat

2012 – längere Maischestandzeit als sonst, „hors-norme“, wie der Franzose sagt

2013 – nicht zu kühl und nicht zu heiß – Wenn es nach Rudolf Polifka geht, ein idealer Jahrgang. Ein Wein, den man noch nicht aufmachen muss. Drum tut Monsieur Polifka das auch nicht und verkauft ihn nur flaschenweise.

2014 – Geschrieben wird ja fast jeden November von einem „Winzerjahrgang“. Für 2014 dürfte das, soweit der Rudl jetzt geforscht hat, sogar stimmen. Ohne Botrytisverzögerer und anderen Hexenzauber sind schlanke Weine mit wenig Alkohol und ohne penetrante Säure entstanden.

4 Neuburger nicht vom Mantlerhof

1977 Neuburger Ausstich, Klosterkeller Siegendorf – ein reifer, süßer Vertreter seiner Art aus dem Klosterkeller Siegendorf, als der noch nicht Lenz Moser gehört hat. Seinerzeit hat der Kellermeister sein Lieblingsfass gerne als Ausstich bezeichnet. Paul Gascoigne war damals zehn Jahre alt.

2008 Franz Wieselthaler, Ὼberlaa – Wiener Neuburger vom Ὼmega der Alpen

2010 Neuburger, Erich und Michael Andert, Pamhagen – demeter-zertifizierter Neuburger aus dem Seewinkel

2012 Neuburger, Nikolaihof, Mautern – auch demeter-zertifiziert, aber aus der Wachau. Ein ewiges Duell um den besten Neuburger im Land: Mantlerhof v Nikolaihof. Für den Rudl ist es ein Dreikampf. Da gehört auch der Neuburger von der Dankbarkeit dazu. Allzu oft gibt es den leider nicht. Viel davon sowieso nie.

Diese acht Neuburger, aber nicht ausschließlich diese 8 Neuburger gibt es

am Donnerstag, den 28. Mai und am Freitag, den 29. Mai
von 16 bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22

Nachrichten aus dem Flaschensortiment

Ab sofort sind die Rosa Pearls von Monsieur Leo Uibel wieder verfügbar, zumindest zwölf Buddöna.

Und auch Mangalitzatrockenwürstel von der Metzkerei Karlo in Pamhagen gibt es wieder.

Sir Rudolf grüßt Sir Gascoigne, den Dunston Excelsior Working Men’s Club und alle Geordies!

Francois Ravaillac v Sepp Muster – ein außergerichtlicher Trinkausgleich und Nachbetrachtungen zur RAW Fair 2012

Die RAW 2015

Wenn Sie sich beeilen oder das leidige Problem mit der Lichtgeschwindigkeit lösen, dann schaffen Sie es vielleicht noch zur RAW 2015 in London, der – soweit der Rudl weiß – renommiertesten Naturwein-Messe. Sie findet heuer am 17. und 18. Mai statt.

 

Sprungbretter und Chronologien

Sollte es sich nicht ganz ausgehen oder sollten Sie wie Rudolf Polifka ungern in einen Flieger einsteigen und sogar dann, wenn Sie dort waren, können Sie diese Woche in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils acht Weine von acht verschiedenen Winzern, die schon einmal an der RAW teilgenommen haben, trinken.

 

Vier Weine aus dem Inland, vier Weine aus dem Ausland, equidistant, wie so oft, wenn auch nicht ganz repräsentativ von einem globalen Standpunkt aus betrachtet.

 

2012 wäre der Rudl sehr gerne dort gewesen: Domaine de Souch, Josmeyer, Maria und Sepp Muster, Domaine Pignier, Nikolaihof, Casot de Mailloles, Domaine Traginer, Geyerhof, Clos Canarelli, Michel Grisard vlg. Prieuré Saint Christophe, Strohmeier, Čotar, … Da waren schon einige dabei, die sich jetzt im Rudl seinem Sortiment wieder finden. Monsieur Rudolf gefällt auf alle Fälle die Vorstellung, sein Weinkaufmannsladen sei quasi das Sprungbrett zur weltberühmten RAW. Und kommen Sie ihm jetzt bitte nicht mit Kleinlichkeiten wie Chronologie oder so.

 

Aus dem Sortiment vom Rudl werden diese Woche auf alle Fälle folgende Weine der Teilnehmer an der RAW 2012 geöffnet sein:

 

Domaine de Souch, Juranҫon sec, 2011

Juranҫon trocken auszubauen gilt für traditionalistische Béarnais noch immer als Häresie. Seit dem Jahrgang 2010 machen sogar Louis-Benjamin Dagueneau und Guy Pautrat einen solchen. Und der mythenumwobene Clos Joliette war sowieso schon immer so trocken oder süß, wie der Jahrgang es wollte, und hat sich um Appellationsbürokratie nicht viel geschert. Bei den zweitausend Flaschen, die es von diesem Wein pro Jahrgang gibt, war das auch nie besonders aufsehenerregend. Und wenn man die Zuteilung an Gérard Depardieu dann noch abzieht, bleiben sowieso nicht viele Flaschen, die in den Verkauf gelangen, über.

 

Bei der Taufe des späteren Königs Heinrichs IV. sollen dessen Lippen mit Jurançon benetzt und mit einer Knoblauchzehe eingerieben worden sein, um den Neugeborenen zu stärken, bevor der kleine Stoppel sich gewöhnlichen Dingen wie Muttermilch, Red Bull oder Amtsgeschäften widmen kann. Dieser Taufritus heißt „baptême béarnais“ und wurde später im französischen Königshaus beibehalten.

Der Juranςon und das ungezwungene Landleben mit den Bauernkindern aus den Pyrenäenvorbergen sollen es gewesen sein, die dem später zum König avancierten Herrn Heini die körperlichen und geistigen Kräfte gegeben haben, um die feindlichen Lager aus den Religionskriegen durch das Edikt von Nantes zu versöhnen. So stellen das zumindest heute die Winzer im Juranςon dar. Und wenn man einen guten Juranςon trinkt, hält man das auf alle Fälle für nachvollziehbar.

 

In späteren Jahren zog es den Heinrich in den Norden. Er kaufte sich einen Weingarten bei Prépatour in der Nähe von Vendôme. Man kennt das ja: Promi kauft Weingut. Heinrichs Rieden sind auf alle Fälle mit Sauvignon Blanc bestockt gewesen. Darum gelten die Appellationen an der Loire noch heute als jene Heinrichs IV. Und es ist gut möglich, dass bei größeren Empfängen dieser „Surin“ genannte Sauvignon gereicht worden ist.

 

Was Herr Heinrich aber am Abend alleine oder für seine Dame und sich selber aus dem königlichen Keller geholt hat, das ist eine andere Geschichte. Herr Rudolf glaubt Juranςon. Die Oenologie kennt das Phänomen des Sich-auf-einen-Weintypus-Eingetrunkenhabens. In Anbetracht des Taufritus, dem der junge König unterzogen worden war, sollten die Vorlieben ziemlich schnell klar gewesen sein. In diesem Punkt macht der gute Geschmack da keinen Unterschied zwischen gekrönten Häuptern und dem einfachen Volk.

 

Ein kleines Detail erscheint dabei noch bemerkenswert. Didier Dagueneau galt zurecht als König, Papst und Commandante des Sauvignons. Neben seinen Sauvignon-Reben in Pouilly-sur-Loire und Sancerre hat er aber auch einen Weingarten im Juranςon bewirtschaftet. Auf die Idee dazu hatte ihn Mme Hégoburu von der Domaine de Souch gebracht. Der Jurançon von Dagueneau heißt Les Jardins de Babylone. Drei Jahrgänge lang hat es einen zweiten Juranςon, den Ravaillac, gegeben.

Und ein Herr Ravaillac ist es gewesen, der den Anherren der Loire-Appellationen, vormaligen Schlichter in den Religionskriegen und Sauvignon-Winzerkönig Heinrich IV. am 14. Mai 1610 ermordet hat, „aus religiösem Fanatismus“ steht in den Geschichtsbüchern. Damals haben die noch keine Unschuldsvermutung gekannt. Der arme Teufel Ravaillac ist durch Pferde viergeteilt und seine Familie angewiesen worden, den Namen nie mehr zu verwenden. Ganz geklärt ist der Fall aber nie worden. Vielleicht hat es dem Monsieur Ravaillac ja einfach nur missfallen, dass sich der mit Juranςon getaufte Heinrich mit dem Sauvignon eingelassen hat. Wer weiß das schon?

Darum schlägt Rat Rudolf posthum einen außergerichtlichen Trinkausgleich vor: Man lasse doch die beiden Weine, Sauvignon Blanc und Juranςon gegeneinander antreten. Dann ist der Käse ein für alle Mal gegessen. Für die Böden des Juranςon sind die sogenannten „poudingues“ charakteristisch. Sie sind äußerst kalkhältig. Daneben weisen die Böden dort hohe Anteile an Sand, Kies, Ton und Mergel auf. Die Niederschlagsmengen sind verhältnismäßig hoch (über tausend Millimeter), die Sonnentage durchschnittlich (tausendneunhundert Stunden), die Landschaft daher sehr grün. Die Reben wachsen vorwiegend auf Hanglagen. In Anbetracht dieser terroirspezifischen Daten drängt sich ein Vergleich vom Rudl seinem Lieblings-Juranςon sec mit seinem Lieblings-Sauvignon aus der Südsteiermark ja förmlich auf.

 

Maria und Sepp Muster, Sauvignon vom Opok, 2011

Opok ist das charakteristische Kalkmergelgestein der Gegend um den Leutschacher Schlossberg. Der Wein ist spontan vergoren, minimal geschwefelt und zwei Jahre im großen Holzfass ausgebaut.

 

Domaine Pignier, Savagnin, 2010

Wie Vin Jaune, nur nicht so lange unter der Hefeflorschicht. Darum kein Vin Jaune. Oxydativ ist der Wein trotzdem, reinsortiger Savagnin auch. Nur müsste er als Vin Jaune noch bis 4. Febraur 2017 in seinem Fassl unter seiner Hefeflorschicht auf seine Percée du Vin Jaune warten.

 

Geyerhof, Grüner Veltliner Steinleithn Reserve, 2007

Der Rudl hat ja schon seinerzeit, als er noch in der Rentn war, gerne Weine verglichen, im privaten Rahmen, wie man sagt. Und da hat es sich begeben, dass man einander im Jahr 2008 oder 2009 ein paar Grüne Veltliner aus dem Siebenundneunziger Jahr kredenzte, blind und möglichst unbefangen, aber schon die bekannteren. Den meisten Anwesend hat dabei der Grüne Veltliner Steinleithn 1997 vom Geyerhof am besten geschmeckt.

 

Branko und Vasja Čotar, Vitovska, 2008

Autochthonizität steht heute hoch im Kurs, Autentizität nicht so hoch, zumindest nicht in der Schule. Wie immer man den Begriff „autochthon“ jetzt versteht, dem Vitovska wird man diesen Titel schwer nicht zuerkennen können.

 

Franz und Christine Strohmeier, Rosé-Sekt

Sekt aus der Blauen Wildbacher Traube

 

im Jahr darauf auf der RAW:

 

Karl Schnabel, Zweigelt, 2010

Wein vom einzigen rotweinlastigen Betrieb der Südsteiermark, zumindest zuviel dem Rudl bekannt ist

 

Domaine de l’Ecu, Expression d’Orthogneiss, 2008

geologiespezifischer, demeter-zertifizierter Muscadet

 

Diese acht Weine, aber nicht ausschließlich diese acht

 

am Donnerstag, den 21. Mai und am Freitag, den 22. Mai

von 16 bis 22 Uhr

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22

 

Sir Rudolf grüßt und krönt die ungekrönten Winzerkönige von London bis Lestoa!

 

Am Montag(!), den 15. Juni findet von 15 bis 20 Uhr nicht nur der Grätzelwalk zwischen Schwendermarkt und Ullmannstraße, sondern in den Hallen des Rudl eine Weinpräsentation der Weine des Herrenhof Lamprecht mit Gottfried Lamprecht statt.

 

15. Mai 1985: Le Feu – in Overall und mit 3D-Brün

Stimmen

In den Ohren vom jungen Rudl war sie damals eine der alleranstrengendsten Stimmen des Äthers, hysterisch-fröhlich und undezent-wichtigtuerisch. Heute gibt es wahrscheinlich noch viel anstrengendere Stimmen, aber das ist dem erwachsenen Rudl wurscht, weil der heute nicht mehr Ö3 hört. Vor dreißig Jahren war das anders. Da ist er am Sonntagabend vor dem Radioapparat gesessen und hat sich die Ö3-Hitparade angehört, sechsfünfsechssiebendreieins … Gibt es einen plausibleren Grund, nie mehr wieder Teenager sein zu wollen?

Idibus maiis 1985 a.D. & das Erwachsenwerden

Am 15. Mai 1985 ist da ein Lied in die Ö3-Hitparade eingestiegen, das – so pathetisch es klingt – die Leben von Rudolf Polifka und Bruce Springsteen verändern sollte: Feuer, Ostbahn-Kurti & die Chefpartie

Nur, ganz ehrlich und er tut sich schwer das zuzugeben: So richtig aufgefallen ist dem Rudl dieses Lied damals nicht gleich.

Das muss dann ein, zwei Wochen später gewesen sein: Der mit sechzehn Jahren immer noch nicht richtig pubertierende junge Herr Rudolf hat es wieder einmal beinahe geschafft, einen depressionsdräuenden Sonntag in einer Flauchgauer Tausendseelengemeinde ohne gravierende Schäden herunterzubiegen. Er sitzt vor dem Schwarz-Weiß-Bild des TV-Empfangsgeräts: Die großen Zehn.

A waunsinnige Brün

Da betritt einer die Bühne mit einem Overall, der dem des Moderators bedrohlich ähnlich schaut, und mit einer Brille, die damals Abonnenten der veröffentlichten Schmalspurigkeit vorbehalten ist. Der Typ mit dem Overall und der 3-D-Brille sagt irgendetwas von „dera waunsinnign Brün“, vermittels derer er jetzt „zum easchtn Moi“ in seinem Leben alles dreidimensional sehe, mit einer Stimme, die in ziemlich jeder Hinsicht das Gegenteil der Ansagerstimme ist.

Meilensteine

War es sofort oder war es nach dem Lied, das diese Musikkapelle dann zum Besten geben sollte? In diesen magischen Momenten hat der angehende Monsieur Rudolf gespürt: Jetzt kannst Du mit dem Erwachsenwerden anfangen. Mit dieser Musik kann dir nicht viel passieren. Er sollte sich nicht getäuscht haben.

Der Herr, der damals nicht nur das Leben vom Rudl ein für alle Mal in geregelte Eisenbahnen geleitet hat, genießt heute seinen wohlverdienten Ruhestand am Wiener Schafberg. Aber das Feuer brennt.

Und darum hat Monsieur Rudolf auf diesen Tag gewartet, um das vinifizierte Feuer offiziell zu entfachen:

Domaine Dominique Belluard, Le Feu, 2012

Die Rebsorte Gringet (vlg. Traminer oder Savagnin) ist in Savoyen dem Tal der Arve vorbehalten, sofern sie auf einen Appellationsstatus aus ist. Von diesem Tal schaut man direkt auf den Mont Blanc hinauf.

Eis eins

Anfang der Neunziger Jahre hat man dort in Bonneville durchschnittlich hundertfünfzehn Frosttage pro Jahr registriert. Sehr viel weniger werden es immer noch nicht sein. Gringet reift spät und hält der Kälte länger dagegen als viele andere Rebsorten. Die ganz großen Erträge sind da nicht drinnen, aber fünfzehn Hektar savoyenweit lassen das sowieso nicht vermuten. Die Weingärten strecken sich streng nach Süden und Süd-Osten, fallen mit mehr als vierzig Prozent ab. Sie stehen auf Konglomerat, Sandstein und rotem Ton.

Eis zwei

Auf einer kleinen Parzelle zwischen Ayse und Marignier dominiert der rote Ton dermaßen, dass man sie „sur le Feu“ nennt. Und dort kann es im Sommer ziemlich heiß werden. Fast so heiß wie auf der Gehsteigkante drüben bei der Grillgasse, wo die Alpen enden. Sie erinnern sich vielleicht … Sur le Feu ist aus Ablagerungen von eiszeitlichen Kaskaden gebildet worden. Die waren seinerzeit nicht nur eis-, sondern auch eisenhältig. Ein direkter Investigat muss man nicht sein, um jetzt zu ahnen, dass Le Feu genau dort wächst.

Ausbau und dergleichen

Der Wein gärt mit den eigenen Hefen aus dem Weingarten, wird minimal geschwefelt (weniger als dreißig Milligramm pro Liter) und besticht durch florale und exotische Noten, Zitrusfrüchte, Weingartenpfirsich, Anklänge an Menthol. So steht es auf der Homepage der Domaine Belluard. Dass man ihn gerne zu Hecht, Jakobsmuscheln und Langustinen trinkt, steht auch dort. Aber einer wie der Rudl, der wenig Fleisch und gar keine Tiere aus dem Wasser isst, dem schmeckt dieser Wein auch.

Engpässe

Darum hat es ihn auch drei Jahre so gewurmt, dass er nie einen bekommen oder aufgetrieben hat, bis er dann einmal wenigstens in einem Gasthaus ein Flascherl erstanden hat. Beim Winzer ist er bis heute erfolglos. Aber es gibt da den Herrn Jacques Maillet. Der vertreibt Weine von den Pétavins. Und weil er der Meinung ist, dass die Pétavins, eine Vereinigung von biodynamisch und biologisch arbeitenden Weinbauern aus Savoyen, .. weil also diese Pétavins ausgesprochen gute Weine machen, aber Dominique Belluard ohne Zertifizierung noch ein bissl bessere, verkauft er auch ein paar Flaschen von dem seinen Weinen. Weindepot braucht der Herr Jacques angesichts der kleinen Mengen, die es von diesen Weinen gibt, keines. Aber weil der Rudl den Weinen von Monsieur Maillet jetzt doch schon längere Zeit verbunden ist, ist er über diesen zu einer Zuteilung von vierundzwanzig Flaschen Le Feu gekommen. Die gelangen jetzt offiziell in den Umlauf.

Nicht ausschließlich diesen Wein, aber auch nicht weiß Gott wie viele andere gibt es

am Freitag, den 15. Mai

von 16 bis 22 Uhr

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22

Am Donnerstag, den 14. Mai ist die Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils geschlossen.

Caviste Rudolf grüßt die Damen und Herren Romeo, Julia, Samson sowie Delilah und wünscht Feuer in den Herzen und Hirnen!

O – drei Flaschen, drei Tage, drei Stunden und drei Minuten

Sauerstoff und Schanigärten

Jetzt beginnt sie wieder so richtig, die Schanigartensaison. Und es ist ja auch schön, wenn man irgendwo sitzt und auf das Meer, einen See oder eine imposante Gebirgskulisse schaut. Auch der Platz vor der Reindorfkirche gefällt dem Rudl. Da würde er natürlich gerne einen ganz kleinen Schanigarten aufstellen. Nur möchte man den Kirchenplatz als kommerzfreie Zone erhalten. Und davor hat Kaufmann Polifka höchsten Respekt, denn ganz einfach ist das sicher nicht. Gar so viel kommerzfreie Zone gibt es in der Stadt eh nicht.

Stickoxide und Schanigärten

Es dürfte auch Zeitgenossinnen und Zeitgenossen geben, die von der Angst vor der Decke vor die Gaststätten getrieben werden. Anders will es sich der Rudl nicht erklären, dass sogar zwischen den beiden Fahrtrichtungen am Wiener Gürtel Schanigärten wachsen. Oder vor dem neuen Hauptirgendwashof, wo man sicher über dreißig Fast Food Nudelgerichte vergleichen kann, aber vor einem veritablen Problem steht, wenn man Zug fahren möchte. Und auch dort sitzen Menschen. Sind das die Zeitgenossen, die es nie eilig haben, außer wenn sie sich anstellen sollten und die in öffentlichen Verkehrsmitteln immer gleich bei der Tür stehen bleiben und alles blockieren? Kann es sich dabei um archaische Reflexe aus nomadischen Vorzeiten handeln? Vielleicht liest diese Zeilen ja jemand, die oder der gerade ein Thema für eine (vor-)wissenschaftliche Arbeit sucht: Wie wäre es mit „Bewusste, vorbewusste und archetypische Motive der Platzwahl in Wiener Verkehrsmitteln und Lokalitäten“?
Der Rudl liebt auf alle Fälle den Sauerstoff, aber es kann auch Sauerstoff unter einem Dach sein, zumindest lieber als Stickoxide, wurscht wo. Genau genommen ist ja nicht einmal der Sauerstoff immer ein Guter.

Rost und so

Den brockt einem beispielsweise der Sauerstoff ein. Und den braucht der Rudl circa so dringend wie ein Papiersackerl, wenn es stark regnet. Nichts gegen sauer und als Strukturalist hat der Rudl sowieso nichts gegen Stoff, aber wenn es ums Eisen geht, kann sich der Sauerstoff vom Rudl aus über die Häuser hauen.

Sauerstoff und Wein

Nicht ganz so eindeutig stellt sich das Verhältnis zwischen Sauerstoff und Wein dar. Da gilt es vorsichtig und genau zu sein, nicht zu viel und nicht zu wenig. Die mittelalterliche Tugend der mâze ist da gefragt. Vom Weinbauer und vom Weintrinker. Wobei sich das Problem für Ersteren doch noch um das eine oder andere Eck schwieriger darstellt als für den Endverbraucher. Muss der Winzer die Fragen nach den richtigen Ausbauorten und -zeiten, dem Schwefel, dem Verschluss, um nur ein paar zu nennen, richtig entscheiden, so beschränkt sich der Handlungsspielraum des Weintrinkers darauf, wie lange vor dem Zusichnehmen er das Flascherl aufmacht und ob er den Inhalt gegebenenfalls temporär begrenzt einer Karaffe anvertraut. Diesbezüglich hat die Revue du Vin de France vor ein paar Jahren einen nicht ganz uninteressanten Versuch gemacht. Man hat von fünf renommierten Weißweinen des Jahrgangs 2010 jeden unter drei unterschiedlichen Sauerstoffeinflüssen verkostet:

1. Variante: aufmachen, vier Minuten Geduld vor dem Glas

2. Variante: aufmachen und vier Stunden Geduld vor der Karaffe

3. Variante: aufmachen und vier Tage Geduld vor der Flasche

Nur der trockene Vouvray von Clos Naudin war vier Minuten nach dem Öffnen in Höchstform. Schoenenbourg von Jean-Michel Deiss und Silex von Dagueneau waren nach vier Stunden ideal zu trinken, Chablis La Forest von Dauvissat und Châteauneuf-du-Pape der Domaine Les Cailloux haben vier Tage lang entschleunigt, bevor sie ihr Bestes gezeigt haben.

Gerade so ähnlich wird Monsieur Rudolf diese Woche ein und den gleichen Wein unter drei verschiedenen Sauerstoffeinflüssen offerieren.

Das kleine Schluckerl 2013, Jacques Maillet

Es wird sich dabei um Le P’tit Canon 2013 von Jacques Maillet handeln, einen Wein, der aus einem Engpass heraus geboren worden ist. 2011 hat Monsieur Jacques nicht ausreichend Ernte für seine Altesse gehabt. Darum hat er kurz entschlossen zu dem, was an Altesse da war, dieselbe Menge Jacquère geschüttet, fünfzig – fünfzig, quasi equidistant, damit es da keine Bröseln gibt zwischen den Traubensorten. Auch die Aufgabenverteilung war klar: Für barocke Opulenz und Eleganz sorgt die Altesse, für aufgeklärte Frische und Kristallinität die Jacquère. Wachsen tun die beiden Rebsorten im selben Weingarten, dem Cellier des Pauvres, einem Terroir aus Sandstein und Kalkgeröll, mit einem unvergleichlichen Ausblick über den Lac du Bourget. Ein Wein von bemerkenswerter Salzigkeit, mit Speisenbegleiterfahigkeiten von bis zu 360 Grad, von Jakobsmuscheln über ein Raclette bis zu geschmortem Geflügel in Morchelrahmsauce. Biodynamie im Garten und im Keller, spontanvergoren, unfiltriert. 35 bis 40 Hektoliter pro Hektar, bei alten Weinstöcken kaum anders möglich. KEIN Orangewine. Meister Jacques schwefelt minimal, wenn dann nur beim Füllen. Manchmal schwefelt er gar nicht. Und da könnte so eine Sauerstoffexpositionsstudie schon einiges hergeben.

Studienrat Rudolf wird also diese Woche

eine Flasche Le P’tit Canon 2013 von Jacques Maillet drei Tag vor einer allfälligen Konsumation öffnen, ein Achtel trinken und das Flascherl hierauf wieder zustoppeln, ohne Vacu Vin.

Den Inhalt einer zweiten Flasche wird er am Donnerstag um 16 Uhr in einer Karaffe der frischen Reindorfer Luft zuführen, sodass Sie diesen Wein dann, falls Sie, sagen wir um 19 Uhr beim Rudl vorbeischauen, nach drei Stunden Karaffage trinken können. Sollte dieses Flascherl am Donnerstag Abend leer sein, wird Herr Rudolf die Versuchsanordnung am Freitag analog wiederholen, was im Fall des drei Tage belüfteten Canons nicht möglich ist, es sei denn der Herr Rudolf löst bis Freitag dieses Problem mit der Lichtgeschwindigkeit. Aber verlassen würde er sich an Ihrer Stelle darauf nicht.

Den dritten Le P’tit Canon 2013 wird Rudolf Polifka öffnen, sobald er in dieser Woche zum ersten Mal bestellt wird. Und Sie können dann drei Minuten warten und ihn trinken, aber Sie müssen nicht. Diesbezüglich ist der Rudl da ja beinahe libertinär.

Wenn Sie möchten, können Sie sich diesen drei Weinderln, die, respektive der genau genommen ein Weinderl in drei Belüftungsvarianterln sind, respektive ist, synchron widmen. An den Gläsern wird das nicht scheitern.

Wein aus drei Flaschen mit unterschiedlich intensivem Sauerstoffkontakt, aber wie fast immer nicht ausschließlich das

am Donnerstag, den 7. Mai und am Freitag, den 8. Mai
von 16 bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22

Genießen Sie die frische Frühlingsluft, mit oder ohne Weinbegleitung! Herr Rudolf