Herrn Rudls Gespür für Stein
Caviste Rudolf Polifka befindet sich auf einer dreietappigen oenologisch-geologischen Zeitreise vom Erdaltertum über das Erdmittelalter in die Erdneuzeit. Angestrebter Sinn des Unterfangens: Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, sollten die Möglichkeit haben, einen allfälligen roten Faden, der Weine unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters und unterschiedlichen Stils miteinander verbindet, erschmecken zu können, wenn Sie das wollen … und wenn es so einen gibt. Haben Sie keine derartigen Ambitionen, ist das selbstverständlich mindestens genauso in Ordnung. Niemand soll sich gedrängt fühlen, in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils über Wein fachsimpeln zu müssen. So g‘scheit ist es eh nicht immer, was über Wein gesprochen wird. Und gar nicht so selten korreliert der Grad an Inkompetenz mit zunehmender Lautstärke des vorgetragenen Sermons. Warum soll das beim Wein anders sein? Seinerzeit hat es das Alte Testament schon gewusst, dass Gott nicht im Lauten, im Sturm und im Getöse ist, auch nicht im „Sch-a-rillen“, wie der Trainer im Blutrausch so schön sagt, sondern in einem „sanften Sausen“ ist (1 Kön 18,12). Im Gezwitscher, Geschnatter und Geshitstorme der angeblich sozialen Medien hat Gott nicht viel zu sagen. Und so sehen die auch aus.
Steine
Den Rudl faszinieren, wie geschrieben, Steine. Diese Begeisterung ist ihm mehr oder weniger in die Wiege gelegt worden. Umso mehr wundert er sich, dass sie ihn immer noch begleitet. Jedoch wäre Caviste Rudolf kein solcher, gälte sein Steininteresse nicht in erster Linie Steinen, auf denen Wein wächst. Das ist für ihn etwas vom Faszinierendsten, das Wein einem schenkt. Dafür ist er dankbar.
Nächste Station: Mittelalter, Erdmittelalter, wenn Sie es genau wissen wollen.
Kalk. Persönlicher Zugang
Weit davon ist der Rudl entfernt, dass er alles, was unter dem Terminus „alte Schule“ oder etwas versöhnlicher anglifiziert „old school“ firmiert, als erstrebenswert erachtet. Eher im Gegenteil hat sich der Rudl für den Beruf des Schulmeisters entschieden, weil er den Beweis erbringen wollte, dass die alte Schule der Achtzigerjahre eben gerade nicht der pädagogischen Weisheit allerletzter Schluss gewesen ist. Und bei aller gebotenen Selbstkritik, findet der Rudl, dass es ihm das eine oder andere Mal gelingt, diesen Beweis zu erbringen. Nur beschleicht ihn manchmal der Verdacht, dass das Aufbrechen des pädagogisch-erzieherischen Betons von früher heute seinerseits zu Ideologie und Beton erstarrt ist. Musste der Rudl etwa Ende der Neunzigerjahre noch kämpfen, um Feedback in seinen Klassen durchführen zu dürfen, werden seine Nerven heute mit ständig neuen „Qualitätssicherungstools“ gesägt, alles auf digital betonierten Plattformen, streng borniert und datenschutztechnisch maximal misstraulich. Da könnte man sich fast nach der Schule von Kalk und Schiefertafel sehnen. Weniger pädagogischer Beton scheint es heute nicht zu sein, vielleicht war er früher rechts angerührt und ist das heute in die andere Richtung. Lebendig ist er nicht, der Beton der Qualitätssicherer, Bildungsexpertinnen und -experten.
Ein Grund zu einem Zurück in die Pädagogik der Achtzigerjahre ist das nicht, aber ein Plädoyer für mehr tatsächliche Eigenverantwortung und weniger Duckmäusertum.
Wenn wir grad bei Tieren sind …
Da sind es vor allem die Dinausaurier, die mit dem Kalk des Erdmittelalters in Verbindung gebracht werden, beziehungsweise deren Aussterben am Ende der Kreidezeit. Aber das ist jetzt auch schon wieder sechsundsechzig Millionen Jahre her. Damals hat das Erdmittelalter geendet, am 1.1. 65 997 977 vor Chr. oder so muss das gewesen sein. Die Viecher in den Meeren müssen diesen Jahreswechsel verschlafen haben. Sie haben es sich auch danach nicht nehmen lassen, Hügeln, Berge und Gebirge aufzuschichten. Das Leithagebirge zum Beispiel. Aber da ist man dann schon in der Erdneuzeit, ohne Tyrannosaurus Rex, Triceratops und Ankylosaurus Letzterer war übrigens ziemlich groß, hat aber ein Hirn etwa im Ausmaß einer Walnuss gehabt. Damit wäre der Rudl jetzt wieder bei der neoliberalistischen Bildungspolitik.
So oder so, Caviste Rudolf respektiert die Zäsur des 1.1. 65 997 977 vor Chr. und kredenzt am kommenden Dienstag ausschließlich Weine von Terroirs, die das Erdmittelalter geprägt hat. Trias (vor 230 – 195 Millionen Jahren), Jura (vor 195 – 137 Millionen Jahren), Kreide (vor 137 – 66 Millionen Jahren). Kalk vom Baskenland bis in den Weingarten des Herrn Fritz in Gumpoldskirchen. „So schaut‘s aus“, sagt er und schaut obe.
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Zierfandler 2021, Friedrich Kuczera, Gumpoldskirchen, Südbahn (2,50/4) – Kreide
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Ceux d‘après 2021, Côteaux des Girondales, Villaz, Haute-Savoie, Vin de France (4,50/7) – Altesse und Chardonnay von einem einzigartigen Terroir, auf dem ganz, ganz lang keine Reben gewachsen sind und dessen gesammelte Kräfte dieser Wein von Monsieur Françis aufgesaugt hat.
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Altesse 2017, Domaine Dupasquier, Aimavigne, AOP Roussette de Savoie (3/5) – Jura
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Big Bang 2020, Domaine de l‘Aitonnement, Aiton, IGP Vin des Allobroges (6/9) – Jura. Jacquère und Altesse. In den Vierzigerjahren ist das noch ein Paradeterroir für ganz alte Mondeusereben gewesen. Dann hat diese ausgesetzten, steilen Weingärten niemand mehr bewirtschaften wollen und die Landflucht den Rest erledigt, bis Maxime Dancoine 2016 ein paar Weingärten zurückgewonnen hat. Der Rudl freut sich schon, wenn dann Mondeuse Grise, Blanc de Maurienne oder Joubertin Noir im Ertrag sein werden. Maxime weiß, was er tut.
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Irouléguy Blanc 2018, Domaine Ilarria, AOP Irouléguy, Sud Ouest (5/8) – Jura
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Néphèle 2020, Laroque d‘Antan, Laroque des Arcs bei Cahors, Sud Ouest (8/12) – Jura
Sauvignon Gris, Sauvignon Blanc, Mauzac Vert, Mauzac Rose und Verdanelle – der neue Jahrgang der berühmten Bodenforscherfamilie Bourguignon zum ersten Mal glasweise beim Rudl
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Gamay 2018, Domaine Dupasquier, Aimavigne, AOP Vin de Savoie (3/5) – Jura
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Weißburgunder 1971, Fehlmann, Falkenstein, Veltlinerland – Weinviertler Klippenzone des Urmeers, Kalkinsel Falkenstein
Dienstag, 2. Mai von 17 bis 21 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Der 27. Jänner, der Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz, muss zu einem gesamteuropäischen Feiertag erklärt werden. Wer das Richtige feiert und weiß, was er dabei tut, ist nicht nur kein Würstel, sondern wird sich auch leichter tun, den Angriffen der Heimatparteien auf Demokratie, Menschenrechte und Aufklärung etwas Wirksames entgegenzusetzen.
Leise, aber nicht kreidefressend grüßt Herr Rudolf!
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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien