Domaine Les Petits Riens
Nachdem Ihnen, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, der Rudl vor zwei Wochen Professor Giulio Moriondo und seinen Zugang zu Wein vorgestellt hat, erfahren Sie in den folgenden Zeilen etwas über ein anderes kleines Weingut aus dem Aosta-Tal. Es nennt sich „Les Petits Riens“, was in etwa „die kleinen Nichtse“ bedeutet. Hintergrund dieses Namens ist die Überzeugung, dass Großes, Schönes und Gutes entsteht, wenn ganz viele kleine Nichtse sich bemühen und etwas beitragen.
Der Weinmarkt leidet an Long-Covid
Vor etwa zwei Wochen hat Ihnen, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, der Rudl ein paar Beobachtungen am Weinmarkt angekündigt. Wenn Sie den Rudl fragen, leidet der österreichische Weinmarkt an Long-Covid. Caviste Rudolf hat das ja schon einmal thematisiert. Es drängt sich ihm schon ein bissl der Verdacht auf, dass das versandkostenfreie Verschicken von Wein einer der Hauptgründe dafür ist, dass etliche Weinpreise in Österreich stärker gestiegen sind als anderswo. In Luft lösen sich die Transportkosten ja nicht auf. Allerdings könnten die Online-Shops der Winzerinnen und Winzer etwas verhindern, das man momentan in Frankreich beobachten kann und das dem Rudl auch nicht viel besser schmeckt als die Ausbeutung von Arbeitskräften durch schwindlige Zustelldienste.
Bei französischen Weinmeisterinnen und Weinmeistern scheinen Online-Shops weit weniger beliebt zu sein als in Österreich. Von den Weingütern, mit denen Caviste Rudolf arbeitet, betreibt kein einziges einen. Allerdings fällt dem Rudl seit einem Zeitl schon auf, dass immer mehr französische Weine, die der Rudl vor wenigen Jahren noch gekauft hat, quasi vom allgemein zugänglichen Weinmarkt verschwinden. Vor fünf bis zehn Jahren hat es genügt, in ein besser sortiertes Geschäft hineinzumarschieren und eine mehr oder weniger geschmalzene Summe Geld hinzulegen. Der Rudl hat sich darüber nie beschwert und es hat ihn so gut wie nie gereut, weil es ihm das wert war. Heute ist das bei weit weniger bekannten Namen nicht mehr möglich. Da müssen Sie gar nicht nach Vatan, Dauvissat oder Houillon-Overnoy fragen. Viele Weine, die Herr Rudolf schätzt, sind im Handel nicht mehr oder so gut wie nicht mehr erhältlich. Ein Kollege aus Aix-les-Bains hat das dem Rudl gegenüber als bewusste Entscheidung zur Abkehr von den großen Namen dargestellt. Herr Rudolf hat einen anderen Verdacht. Früher hat eine Hand voll Kritiker entschieden, was ein Wein wert ist. Das war bekannt und daran hat man sich orientieren können, indem man das jeweilige Verdikt geglaubt oder darauf gepfiffen hat. Heute hat sich Weinkritik diversifiziert, demokratisiert, vor allem aber digitalisiert. Wein ist weniger Genussmittel als Statussymbol. Und ein Statussymbol ist halt per definitionem vor allem etwas, das viele oder fast alle anderen nicht haben. Und so vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendein Wein, von dem es fast nichts gibt, zum Kultwein erhoben wird. Sehr oft von digital Natives, deren Kompetenz im Umgang mit Instagram, Twitter und Tiktok außer Streit steht, über deren oenologische und degustatorische Kompetenzen jedoch weit weniger bekannt ist. Es geht darum, der oder die Schnellste und Lauteste im Netz zu sein. Bald darauf ist der betreffende Kultwein aus allen Regalen verschwunden und nur mehr auf digitalen Versteigerungsplattformen zu beziehen. Dabei geht es um Weine, die ursprünglich ab Hof, aber auch im Fachhandel um dreißig bis sechzig Euro zu kaufen waren.
Der Rudl hat zugegebenermaßen ein Faible für Weinbaumeisterinnen und Weinbaumeister mit überschaubaren Weingärten. Das hat bei ihm aber keine elitären Gründe, sondern ist eher eine Frage der Nachhaltigkeit und der Sympathie. Man mag das als ein bissl weltfremd, vom Rudl aus auch als dogmatisch erachten. Aber je besser eine Weinbäuerin oder ein Weinbauer die eigenen Rebstöcke kennt und je öfter er, respektive sie bei diesen persönlich vorbei schaut, desto sympathischer ist dem Rudl das. Dass das arbeitsintensiv ist und so ein Wein nicht um Zweieurofünfzig zu produzieren ist, wird hoffentlich niemanden wundern. Dass solche Rebstöcke gesünder sind, weniger Chemie im Spiel ist und der Wein viel besser schmeckt, auch nicht. Das ist dem Rudl sein oenologischer Standpunkt, den man teilen kann, aber nicht muss.
Und auch beim Rudl kommt es vor, dass ein von ihm hochgeschätzter Wein mehrere Jahre lang im Sortiment wartet, sich fast niemand dafür interessiert. Und dann bekommt Herr Rudolf in kurzer Zeit mehrere Anfragen pro Tag, ob er den entsprechenden Wein irgendwohin schicken kann.
Das ist auch ein Grund für die Vorbehalte des Rudls gegenüber jedweder Art von Empfehlung. Caviste Rudolf erzählt Ihnen, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, gerne von Weinen, die er mag. Noch lieber schreibt er darüber. Wenn Sie und der Wein offen sind, lässt der Rudl Sie gerne auch kosten. Aber empfehlen tut er Ihnen nichts. Er schreibt keinen Blog, hält Kanäle für eine sinnvolle Erfindung für den Abtransport von Fäkalien und Influenza für einen Grund, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Er freut sich, Ihnen schreiben zu können, was er oenologisch erlebt, gelesen und getrunken hat. Wenn Ihnen das gefällt, ersucht Sie der Rudl inständig, trotzdem keine Komplimente in irgendwelchen digitalen Kanälen zu hinterlassen. Wenn es Ihnen nicht gefällt, geht die Welt auch nicht unter. Das hysterische und wortreiche Warnen vor einem Wein, der einem nicht schmeckt oder der diesen, beziehungsweise jenen Fehler aufweist, hält der Rudl für mindestens genauso verzichtbar wie Empfehlungen und eigentlich für eine Form völlig überflüssigen Missionierens. Gerade so würde sich der Rudl als Schulmeister auch nie erlauben, Schülerinnen und Schüler dazu zu drängen, an etwas zu glauben oder nicht zu glauben, weil er diese Art von missionarischem Eifer in Wirklichkeit für blasphemisch hält.
Für den Rudl gibt es im Prinzip vier Kategorien von Wein. Weine, die sogar mit Sodawasser vermischt unangenehm auffallen. Weine, die weder in die eine noch in die andere Richtung Emotionen auslösen. Gute Weine. Und ausgezeichnete Weine, um in diesem Zusammenhang das Adjektiv „groß“ zu vermeiden. Caviste Rudolf bietet in seinem Sortiment keinen Wein an, der ihm nicht selber schmeckt. Insofern kann er jeden seiner Weine empfehlen. Ob er auch Ihnen schmeckt, finden Sie ohne begleitendes Geschwätz über „Engmaschigkeit“, „Länge“ oder „Mineralität“ selber heraus.
Les Petits Riens, Aosta
Vom Weinprofessor Giulio Moriondo fährt der Rudl kaum drei Kilometer weiter in Richtung Savoyen. Der Boden ist hier etwas weniger geschiefert als in Quart bei Signore Moriondo, enthält dafür mehr Gneis. Wir befinden uns am nord-westlichen Rand der schönen Stadt Aosta.
Dort haben Stefania und Fabien vor etwa zehn Jahren die Domaine „Les Petits Riens“ gegründet, ein zwei steile Hektar kleines Weingut mit zwölf Rebsorten, autochthonen und internationalen. Die Weingärten liegen zwischen sechshundert und achthundert Metern Seehöhe, Ausrichtung Süden, gut durchlüftet. Ein Unkrautvernichtungsmittel haben diese Weingärten nie gesehen.
Die Dimensionen des Weingutes ermöglichen eine lückenlose Begleitung aller Weine vom Austreiben der Rebstöcke bis zur Flaschenreife.
Petit Bout de Lune
Neunzig Percent internationaler Chardonnay, zehn Percent autochthone Erbaluce. Vierzig Stahl, sechzig im Sechshundertliterholzfass. Wenn man „abschaltet“, bevor man den Wein trinkt, ist das kein Schaden. Das hat der Rudl gelesen, nachdem er das erste Flascherl von diesem Wein in der Trattoria di Campagna in Aosta bestellt hat. Zum Glück hatte er trotzdem abgeschalten. Bereut hat er das nicht. Forelle in Wildkräutern könnte man dazu essen. Schwammerl mit Polenta aber auch.
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Petit Bout de Lune 2018, Domaine des Petits Riens, Aosta, Italien (6,50/10)
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J‘écume des jours 2021, Les Déplaude de Tartaras, Tartaras, IGP Collines Rhodaniennes (5/8)
85 % Marsanne, 15 % Viognier
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Gastine 2021, Domaine les Cortis, Andert-et-Condon, Ain, Vin de France (4,50/7)
Gamay, Mondeuse, Chardonnay, Altesse, Corbeau, Pinot noir, Chasselas kurze Maischestandzeit, zehn Monate gebrauchtes Holz und Stahltank – ein Rotwein für die aktuellen Temperaturen
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Welschriesling 2021, Dankbarkeit, Podersdorf, Neusiedler See (2,50/4) – Einer der wenigen Welschrieslinge, die das Potential dieser Rebsorte zeigen. Dazu in nächster Zeit mehr. Ein Wein, den man empfehlen kann, muss nicht teuer sein.
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Königlicher Wein MMXIX, Josef Umathum, Glimmerschiefer und Quarz (4,50/7) – Josef Umathum hat den Hárslevelü wieder in das Burgenland zurück gebracht. Die Behörden haben ihm das nicht leicht gemacht. Er hat der Verlockung, deshalb daraus einen „Kultwein“ zu machen, widerstanden. Dafür ist der Rudl dankbar und Professor Moriondo war es auch.
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Neuburger Hommage 2021, Mantlerhof, Brunn im Felde, Kremstal (4/6) – Kristof Ferstl, ein Vorfahre von Margit Mantler hat mit dem Neuburger in der Wachau so etwas Ähnliches gemacht wie Josef Umathum mit dem Hárslevelü im Burgenland. Manchen schmecken die letzten Jahrgänge dieses Weins nicht so gut. Dem Rudl schmecken sie ausgezeichnet. Insofern kann er diesen guten Gewissens empfehlen. Ob er Ihnen schmeckt, können Sie diese Woche in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils herausfinden.
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Monsieur Gringet 2020, Dominique Belluard / Domaine du Gringet, Ayse, AOP Vin de Savoie (9/14) – nicht ganz, aber fast der Nachfolger von Le Feu und eine Hommage an Dominique Belluard
Donnerstag, 24. August von 17 bis 21 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Der 27. Jänner, der Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz, muss zu einem gesamteuropäischen Feiertag erklärt werden. Wer das Richtige feiert und weiß, was er dabei tut, ist nicht nur kein Würstel, sondern wird sich auch leichter tun, den Angriffen der Heimatparteien auf Demokratie, Menschenrechte und Aufklärung etwas Wirksames entgegenzusetzen.
Leise und zurückhaltend grüßt Herr Rudolf!
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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien