Kreide at its best – Jacques Maillet und die Giachino Brüder

Besuche

 

Herr Rudolf ist in einem Alter, in dem er das eine oder andere vergisst, bevor er es vergessen sollte. An seine Dienstreisen hat er merkwürdigerweise ziemlich präzise Erinnerungen, fast an alle. An die meisten besonders gute. Trotzdem kann er sich an die eine oder andere noch besser erinnern als an die anderen schönen. An den ersten Besuch bei Jacques Maillet zum Beispiel. Die Zufahrt alleine ist ein Erlebnis gewesen. Nach Venaise Dessus hinauf, hoch oben in der Chautagne, findet nur, wer das wirklich will. Dafür vergisst er es dann nicht mehr.

Lage

Die Chautagne ist die gedachte Verlängerung des Lac du Bourget, des größten ausschließlich französischen Sees nach Norden. Die westlich ausgerichteten Hanglagen sind ziemlich sicher der klimatisch privilegierteste Teil der Weinbauregion Savoyen. Die Olivenbäume in Brison-les-Oliviers deuten darauf hin.

Steine

Die kalkhältigen Sandsteinböden in der Chautagne bröseln an der Oberfläche förmlich. Will man sie tiefer bearbeiten, erweisen sie sich als pickelhart wie Felsen. Das hat Weinbaumeister Jacques nicht daran gehindert, die besten Mondeuse Reben aus seinem etwas tiefer gelegenen Weingarten zu selektionieren. Einige von denen sind über hundert Jahre alt und „francs de pied“, wurzelecht. Die Reblaus kann sich auf dem Sandstein nämlich brausen. Die klein- und lockerbeerigen Stöcke hat er massal selektioniert und etwas weiter oben am Steilhang neu ausgepflanzt.

Kreide

Und weil Rudolf Polifka jetzt noch einmal prolongiert bis zum 4. Dezember immer wieder die Kreide in das Zentrum seiner Ausführungen setzen muss, möchte er Sie, gewogene Oenologin, geneigter Oenologe, in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es in Frankreich gar nicht so viele Kreideweinbergböden gibt, wie man vielleicht annehmen möchte. Da sind natürlich die Champagne und die Touraine mit der renommierten Appellation Vouvray, Cognac, Bandol … Aber die massivsten Gebirge aus der Kreidezeit sind die Bauges, an deren westlichstem Abhang sich das Weingut von Jacques Maillet befindet und wo die Kühe für den berühmten Tome des Bauges grasen, und die Chartreuse, an deren nördlichem Ende die Giachinos leben. Etwas weiter südwestlich wachsen dann die Kräuter für den berühmten Magenbitter.

Weingarten und Weinkeller

Der Rudl hat heuer zum ersten Mal einen Blick in den Weingarten von Jacques Maillet geworfen, nach einer Fahrt im Dienstauto von Monsieur Jacques, bei der dem Rudl um ein Haar das Mittagessen, sowie jede Lust auf Weingartenbesichtigung und Wein abhanden gekommen wären. So oder so, nach überstandener Fahrt wird aus einem ansonsten überaus fidelen und gesprächigen Zeitgenossen ein gerührter Mann mit fast kindlich strahlenden Augen und er erklärt: „C’est la seule chose qui m’intéresse, la vigne … Je ne m’intéresse pas à la cave, je ne m’intéresse pas aux tracteurs. La seule chose qui m’intéresse c’est la vigne.“ (Was mich interessiert ist der Weingarten, kein Traktor, kein Keller, nur der Weingarten.)

Gänzlich desinteressiert dürfte er dem Keller auch wieder nicht gegenüber stehen. Sonst hätte er in den letzten Jahren keinen gebaut, um seine Weine zuhause keltern zu können. Davor ist er zum Vinifizieren quasi als Untermieter zu den Giachinos nach Chapareillan gefahren. Ein Blick auf die Trauben in seinem neuen Weingarten mit den selektionierten Mondeuse Reben lässt erahnen, warum Jacques Maillet so glücklich ist. Auch in Savoyen gilt 2016 in wettermäßiger Hinsicht als ziemliche Zumutung für die Weinbauern. Die Spätfröste sind dort in den Bergen paradoxerweise gar nicht so ein Problem gewesen wie etwa in Burgund. Aber Frühjahr und Sommerbeginn waren in Savoyen derart nass und kalt, dass ein großer Teil der Trauben verfault und in Folge schwarz eingetrocknet ist, auch jener von den Biowinzern. Schön schaut das nicht aus. „Tu n’en verras rien ici!“ (Davon wirst Du hier nichts sehen.), sagt Jacques Maillet und schaut dabei, als ob er das selber nicht ganz glauben könnte. Aber es ist so. Die Trauben an den neu selektionierten Mondeuse Reben sind so lockerbeerig und klein, dass kaum eine an der anderen anzustoßen scheint. Da kann der Wind überall dazwischen hinein, schlechte Karten für oïdium et mildiou, die Mehltaue.

Dass seine Weingärten so viel gesünder sind als die anderer Winzer führt Jacques Maillet auch auf den Umstand zurück, dass er keine „voisins chimiques“ (keine chemischen Nachbarn) hat. Der neu selektionierte Weingarten ist heuer zum ersten Mal im Vollertrag. Das ist einerseits gut, weil ein klimatisch alles andere als begünstigter Jahrgang wie dieser schön die Unterschiede zwischen massetragenden und klein-lockerbeerigen Klonen zeigt. Irgendein Weinbaumeister, vielleicht war es Brice Omont von der Domaine des Ardoisières, hat darauf hingewiesen, dass das Alter eines Rebstocks gar nicht so entscheidend sei, auf alle Fälle nie so entscheidend wie der richtige Klon einer Rebe.

Es ist nie zu spät für eine glückliche Jugend“, sagt der Kurtl.

Und Jacques Maillet dürfte so ähnlich denken. Jetzt, wo nicht nur sein Lebenswerk, der massal selektionierte Mondeuse Weingarten, im Vollertrag und der eigene Keller fertig sind, sondern auch seine Weine einen Grad an Präzision und eigenständigem Charakter erreicht haben, geht er in die Pensi, mit 31. Dezember 2016. So, dass er den Jahrgang 2016 nicht mehr selber abfüllen kann. Bevor seine Knie ganz hin sind, wird er sie operieren lassen. Er will noch Radl fahren und in die Berge gehen.

Kreide im Wein und Kreide im Kopf

Rudolf Polifka ist sich ja sicher, dass es irgendeine bis jetzt unerforschte Verbindung zwischen Nahrungsmittelinput und oral-verbalem Output gibt. Dabei ersucht Sie der Rudl, das nicht zynisch oder arrogant misszuverstehen. Tragischerweise ist ein Großteil der Menschheit gezwungen, irgendetwas zu essen, um nicht zu verhungen. Und viele haben nicht einmal diese Möglichkeit. Und gegen diesen himmelschreiendsten aller Skandale müssen wir kämpfen, jede und jeder in ihrem, respektive seinem Rahmen.

Aber es gibt auch gar nicht so wenige, die ihr Geld chronisch für die falschen Sachen ausgeben. Ungefähr nach dem Motto: Lieber ein Tattoo mehr und dafür ein Industrieschnitzerl anstatt eines biologischen, das zwei Euro teurer wäre. Lieber ein Brotoid aus Sägescharten als auf das neueste Jausnbrettl als mobiles Endgerät zu verzichten. Und lieber kiloweise den Einheiztschoglad im Sonderangebot, von dem dann eh die Hälfte ranzig wird, als fünfzig Cent mehr für einen Tschoglad aus fairem Handel. Man hat schließlich nichts zu verschenken. Das haben nur die Kinder in den Edelmetallminen, wo die Rohstoffe für unsere Kommunikationsmittel abgebaut werden. Dafür haben wir umso mehr wegzuschmeißen. Aber was nimmt man nicht alles in Kauf, um ein „Schnäppchen“ zu machen? Und was schnappt dabei eigentlich zu? Und wer wird aller geschnappt?

Aber zurück zur Ausgangsarbeitshypothese: Der Rudl geht mit an Sicherhehit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass es eine Verbindung gibt zwischen dem, was und vielleicht auch wie Menschen essen und dem, was in ihren Köpfen und Herzen vorgeht, beziehungsweise in weiterer Folge artikuliert wird. Insofern möchte er gerne auch das Jesus zugeschriebene Zitat, wonach nicht entscheidend sei, was in den Menschen hinein-, sondern was aus diesem herauskomme, in Zweifel ziehen. Herr Rudolf vermutet da ganz stark einen Zusammenhang. Und damit meint er nicht unbedingt, dass wer teuer isst, automatisch zum Blitzgneißer werde. Wäre das so, könnte man ziemlich beruhigt der Stichwahl zum Bundespräsidenten der Republik Österreich entgegen sehen. Im worst case einfach ein paar Tage Kreide detox und den Rest erledigen die Köche in der Hofburg oder auf allfälligen Staatsbesuchen.

Aber erstens kann man etwas Gutes essen und nichts davon mitkriegen, weil man nicht nur kostenintensive Bock aus Repräsentationsgründen tragen, sondern auch Silex mit denselben Motiven trinken kann. Und dann wäre es natürlich auch blöd anzunehmen, dass etwas gut schmeckt, nur weil es teuer ist.

Aber dass man von Energydrinks, Geschmacksverstärken, Dosenbier und dem kulinarischen Angebot auf der sogenannten Wiener Wiesn zumindest nicht gscheiter wird, das wird man, meint der Rudl, schon als ziemlich gesichert annehmen können.

David und Frédéric Giachino

In einer Weise verhält es sich mit dem Weingut Giachino gerade so wie mit dem von Jacques Maillet. Herr Rudolf schätzt die Weine der Giachino Brüder überaus, was jetzt nicht so erstaunlich ist, zumal diese beiden Weingüter nicht nur im Vertrieb und im Büro, sondern auch im Keller zusammenarbeiten. Bis zum Jahrgang 2012 waren dem Rudl die Weißen von Giachino vielleicht sogar noch eine Spur lieber als die von Jacques Maillet, weil noch schlanker und noch präziser.

In einer anderen Weise sind dem Rudl seine Erfahrungen mit dem Weingut der Frères Giachino diametral entgegengesetzt zu denen mit Jacques Maillet. Verkostet er bei jedem Besuch auf dem Anwesen von Herrn Jacques dessen gesamtes Sortiment, so kennt Herr Polifka das Weingut der Giachinos eigentlich überhaupt nicht. Er kennt dessen Weine, er hat dort immer wieder Wein bestellt und abgeholt. Aber er hat im Keller einen einzigen Wein verkostet, die überaus gelungene, dezent maischevergorene Jacquère Marius & Simone 2011. Der Rudl hat dort auch weder Weingarten noch Keller genauer angeschaut.

Beides mag Caviste Rudolf. Einerseits ist es fast immer interessant, einem begnadeten Weinbauern zuzuhören. Andererseits hat der Rudl dabei immer ein bissl ein schlechtes Gewissen, denn die guten Weine werden ja nicht deswegen so gut, weil der Winzer viel darüber redet. Etwas frei nach Sepp Herberger möchte der Rudl fast sagen: „Die Wahrheit ist eh im Flascherl.“

und diese Woche beim Rudl im Glasl:

  • Jacquère 2013, Sur le terroir du Cellier des Pauvres, Jacques Maillet, Serrières en Chautagne, Savoie (3/5)
  • Roussette de Savoie. Altesse 2013, Sur le terroir du Cellier des Pauvres, Jacques Maillet, Serrières en Chautagne, Savoie (4,50 /7)
  • Mondeuse 2013, Sur le terroir du Cellier des Pauvres, Jacques Maillet, Serrières en Chautagne, Savoie (5/8)
  • Monfarina. Jacquère 2011, David et Frédéric Giachino, Chapareillan, Savoie (2,50/4)
  • Roussette de Savoie. Altesse 2011, David et Frédéric Giachino, Chapareillan, Savoie (4/6)
  • Mondeuse 2011, David et Frédéric Giachino, Chapareillan, Savoie (4/6)

Und eine Novität darf Ihnen Herr Rudolf auch glasweise offerieren. Zum ersten Mal überhaupt ist er in der Lage, einen Chignin Bergeron als Bestandteil seines Sortiments zu bezeichnen. Chignin Bergeron ist die savoyardische Bezeichnung für die an der südlichen Rhône verbreitete Roussanne. Er repäsentiert lediglich drei Prozent der Weine Savoyens. Dem Rudl seine Lieblingsrebsorte ist Roussanne nicht. Dafür ist sie ihm ein bissl zu südlich. Ein paar Flascherl Chignin Bergeron „Le Grand Blanc“ 2014 vom Château de Merande hat er trotzdem im Sortiment und eine davon diese Woche offen.

  • Chignin Bergeron „Le Grand Blanc“. Roussanne 2013, Château de Merande, Arbin, Savoie (4/6)

Unter anderem diese sieben Weine kredenzt Herr Rudolf diese Woche

am Donnerstag, den 15. und am Freitag, den 16. September

von 16 bis 22 Uhr

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22

Das Bräustübl Bier hat dem Reindorfgassenfest nicht zu resistieren vermocht. Es ist momentan nicht verfügbar. Nach dem Ruperti Kirtag (24. September) dann schon wieder.

Herr Rudolf grüßt mit tiefer, kreidefreier Stimme!