Gar nicht so selten hört man, dass ein Wein zu jung sei. Der Rudl hat manchmal den Eindruck, je lieber er einen Wein hat, desto eher kommt der ihm zu jung vor. Nicht immer, aber oft stimmt das auch. Und es ist auch gar nicht so erstaunlich. Ein seriöser Wein braucht Zeit. Die kann er im Fass am Weingut verbringen. Die kann er in der Flasche am Weingut verbringen. Die kann er in der Flasche im Keller vom Rudl verbringen. Und er kann sie in der Flasche beim Endverbraucher verbringen.
Der Rudl würde ja gerne alle Weine aufheben, bis sie die seines Erachtens ideale Reife haben. Aber das ist erstens eine ziemlich relative Angelegenheit, weil unterschiedliche Menschen ein und denselben Wein in unterschiedlichen Entwicklungsstadien gerade als ideal trinkreif erachten können. Und es setzt platz- und mariemäßig einen ziemlichen Aufwand voraus. Darum ist das mit der gerade idealen Trinkreife bedauerlicherweise nicht immer möglich. Caviste Rudolf ist jetzt aber einmal sehenden geistigen Auges sein Sortiment abgeschritten und hat ein paar Weine herausgesucht, die jetzt genau passen. Die hat er dann durch ein, zwei Weine, die nicht zu seinem Sortiment gehören, ergänzt. Das ist das Thema dieser Woche.
1959 Rivesaltes, Mas de la Garrigue, AOC Rivesaltes, Roussillon
Bei seinem ersten Besuch in Banyuls 1996 ist der Rudl irgendwo auf diesen Wein aufmerksam geworden. Seinerzeit noch viele Jahre vor einem Internetzugang am Urlaubsort hat er trotzdem nicht lange gebraucht, um herauszufinden, wo dieser Wein herkommt. Und dann ist es nicht mehr weit zu einem Zwölferkarton gewesen.
Grenache, gespritet, trockener, karger Boden.
Kaffee, Tabak und Kakao. Getrocknete Früchte, Nuss und Mandel, Unterholz, Leder, Zimt und dezent oxydativ. Einen Wein zu beschreiben ist ja keine ganz einfache Sache. Ob es eine sinnvolle Sache ist, bleibt ziemlich umstritten. Aber dass sich bei diesem Wein die Primäraromen über die Häuser gehaut haben, das stellt der Rudl fest, ohne sich damit weit aus dem Fenster zu lehnen.
Die Kombination Wein und Schokolade hat der Rudl nie so richtig nachvollzogen. In diesem Fall wäre das vielleicht eine Possibilität.
2004 Muscadet, Michel Brégeon, Les Guisseaux, Gorges, AOC Muscadet, Loire
89 Monate hat dieser Patron in unterirdischen verfliesten Tanks seine Feinhefe ausgebrütet. Dann hat ihn Monsieur Brégeon Anfang 2012 gefüllt. Der Rudl kennt keinen Wein, der sur lieer war als dieser.
André-Michel Brégeon
Auf die Gefahr hin, sich zu wiederholen, kommt der Rudl nicht darum herum, die Geschichte wieder einmal zu erzählen. Samstag viertel vor zwölf, nach zwei Wochen Dienstreise durch Frankreich und in einem plattelvollen, längst nicht mehr voll belastbaren Ford Focus: Kein idealer Zeitpunkt für einen Besuch bei einem Weinbauern, kein ideales Transportmittel für Wein und schon gar keine Ausgeglichenheit in der Stimmung der Madame auf dem Beifahrersitz. Trotzdem.
Scheu klopft Herr Rudolf an mehrere holzverschlagartige Türen. Hinter einer ertönt ein „Oui, entrez!“ und sitzt ein sehr gebückter Herr, der händisch und einzeln Etiketten auf seine Schaumweinflaschen klebt. Es folgt die ziemlich sicher kurioseste Verkostung, die der Rudl erlebt hat. Schaumwein, Gros Plant Nantais, Muscadet Sèvre et Maine sur lie, Muscadet Cru Gorges 2004, 64 Monate auf der Feinhefe, Muscadet 2002, 84 Monate sur lie und Cabernet Franc 2005. Erkläungen über die besonderen Beschaffenheiten der Böden, auf denen der Cru Gorges wächst, Küche, Keller und das Leben an sich geben den Weinen einen kongenialen Rahmen. Die hätte sich Monsieur Rudolf in einer derartigen Präzision nach allem, was er bis zu diesem Tag über Muscadet gelesen hat, nicht erwartet. Jean-François Raveneau, Ikone aus Chablis, soll es ähnlich gegangen sein. Am Rande einer Verkostung soll er Brégeon gefragt haben, warum seine Weine zweihundert Euro kosten und dessen Weine zwanzig. „Weil Du in Chablis bist und ich im Muscadet“, die Antwort von Brégeon.
2004 Breg Rosso, Joosko Gravner, IGT Venezia Giulia
100% Pignolo. Der Weine hätte auch zum Dreikampf zwischen Mondeuse, Tannat und Blaufränkisch gepasst. Über Josko Gravner muss man nicht so viel schreiben. Er redet ja auch nicht so viel.
2010 Hégoxuri, Domaine Arretxea, Irouléguy, Sud Ouest
Thérèse Riouspeyrous soll einmal ein Alter von etwa sieben Jahren als beginnende ideale Trinkreife ihres weißen Basken genannt haben, wobei das natürlich auch auf den Jahrgang ankommt. Wieder einmal hinein schauen.
2013 Rosé, Domaine Dupasquier, Aimavigne, AOP Vin de Savoie
Alltäglich ist es nicht, dass ein Dreizehner Rosé jetzt in Verkauf gebracht wird, so selten wie früher zum Glück aber auch nicht mehr. Mondeuse, Pinot Noir und Gamay.
2014 Gamay, Domaine Dupasquier, Aimavigne, AOP Vin de Savoie
Ein guter Rotwein kann auch vor einem guten Rosé trinkreif sein. Ein guter.
2015 Grüner Veltliner Vollmond, Leo Uibel, Ziersdorf, Weinviertel West
Sollte jetzt gut passen. Für die Geduldigen hat Leo Uibel fünf andere Veltliner.
2016 Sauvignon Blanc, Biohof Heideboden, Pamhagen, Neusiedlersee
Ein junger Wein, kein Jungwein.
Giac‘ Bulles, Domaine Giachino, Chapareillan, AOP Vin de Savoie
Pétillant Naturel aus Jacquère
Les Perles du Mont Blanc, Dominique Belluard, Ayse, AOP Vin des Savoie
Méthode Traditionelle, die zum Mont Blanc hinauf schaut.
… sowie ein hier nicht namentlich genannter Wein
Die folgenden Weine …
- Pirat (4/6)
- Les Perles du Mont Blanc, Dominique Belluard, Ayse, AOP Vin des Savoie (4/6)
- Giac‘ Bulles, Domaine Giachino, Chapareillan, AOP Vin de Savoie (3/5)
- 2016 Sauvignon Blanc, Biohof Heideboden, Pamhagen, Neusiedlersee (2/3)
- 2015 Grüner Veltliner Vollmond, Leo Uibel, Ziersdorf, Weinviertel West (2,50/4)
- 2014 Gamay, Domaine Dupasquier, Aimavigne, AOP Vin de Savoie (3/5)
- 2013 Rosé, Domaine Dupasquier, Aimavigne, AOP Vin de Savoie (2/3)
- 2010 Hégoxuri, Domaine Arretxea, Irouléguy, Sud Ouest (6/9)
- 2004 Breg Rosso. Gravner, IGP? Venezia Giul? (17/26)
- 2004 Muscadet, Michel Brégeon, Clisson, Gorges, AOC Muscadet, Loire (5/8)
- 1959 Rivesaltes, Mas de la Garrigue, AOC Rivesaltes, Roussillon (10/-)
(in Klammern zuerst der Preis für das Sechzehntel, dann der für das Achtel)
… aber nicht ausschließlich diese gibt es glasweise
am Mittwoch, den 26. April und am Freitag, den 28. April
jeweils von 16 bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Vorschau auf die nächste Woche
Der Rudl überlegt noch
Im Übrigen ist Rudolf Polifka der Meinung, dass man den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag erklären sollte!
Herr Rudolf grüßt diese Mal die Reifen noch eine Spur mehr als die Unreifen!