Der Rudl hat vor zwei Jahren um diese Zeit schon einmal darauf hingewiesen, dass englischer Fußball schon einmal weniger Prestige genossen hat als heute, wobei man der englische Fußballnationalmannschaft das redliche Bemühen, an das Desaster von 1988 anzuschließen, nicht absprechen kann. Zwischen 1988 und heute hat es einmal sechs oder sieben Jahre lang anders ausgeschaut. Aber das ist lange her.
Dunston Excelsior Working Men’s Club, droben beim Hadrian Wall
Angefangen hatte alles in Dunston, einem Vorort jener Stadt, die nach einer autochthonen Wachauer Rebsorte, dem Neuburger, benannt ist: Newcastle upon Tyne. Dort kommt am 27. Mai 1967 Paul John Gascoigne auf die Welt, als Sohn einer Fabriksarbeiterin und eines Ziegelschleppers. Nach einer Kindheit, für die das Wort „schwierig“ ein Euphemismus ist, unterschreibt Gascoigne an seinem sechzehnten Geburtstag einen Vertrag beim Newcastle United Football Club, um 120 Pfund in der Woche, um für etwas zwanzig Jahre ein anderes Leben zu führen und nach diesen zwanzig Jahren wieder ziemlich nahtlos an seine Kindheit anzuschließen.
Am 13. April 1985 wird er im St. James‘ Park gegen die Queens Park Rangers eingetauscht. Bald gilt er als die Hoffnung Englands. England sollte in seinen Hoffnungen weniger enttäuscht werden als Paul Gascoigne. Nach der Weltmeisterschaft 1990 in Italien ist Gascoigne populärer als Lady Diana. Wer ihn an einem guten Tag spielen gesehen hat, hat seither eine Ahnung von Transzendenz. Wer ihn vermarktet und vermittelt hat, einen Haufen Geld.
Fünfzig
Am kommenden Samstag wird Paul Gascoigne fünfzig Jahre alt. Das Wort „Geburtstagskind“ ist wahrscheinlich selten so angebracht wie in diesem Fall. Ihm und den inzwischen noch viel rarer gewordenen Kickern, für die Fußball ein Spiel ist und die das nicht durch eine affektierte Coolness zu kaschieren trachten, öffnet der Rudl diesen Mittwoch ein paar Neuburger, sowie einen und keinen Wein aus den beiden Jahren, in denen das Fußballgroßereignis im Zeichen eines Fußballkünstlers, aber bedauerlicherweise nicht Lebenskünstlers gestanden ist, Paul Gascoigne.
Neuburger vom Mantlerhof
Sepp Mantler gilt sowieso bei allen, die sich ein bissl mit Wein beschäftigt haben, als Tüftler. Dem Rudl seiner Meinung nach ist er noch viel mehr. Margit und Sepp Mantler sind mindestens Philosophen, Bauern und personifizierte Herzlichkeit zugleich. Der Neuburger vom Mantlerhof ist eine Hommage an Kristof Ferstel (1805 – 1888), einem Vorfahren von Margit Mantler. Der soll seinerzeit ein Rebbündel aus der Donau gefischt haben. Bei diesem Rebbündel soll es sich um eine Zufallskreuzung aus Rotem Veltliner und Sylvaner gehandelt haben. 1992 haben Margit und Josef Mantler eine heiße und trockene Terrasse mit Neuburgerreben, die Frau Mantler aus Oberarnsdorf in der Wachau mitgebracht hatte, bepflanzt (www.mantlerhof.com). Ziemlich sicher ist das einer der Gründe, warum der Neuburger vom Mantlerhof etwas Besonderes ist. Der Neuburger als solcher ist kapriziös. Auf irgendeinem Boden oder in irgendeiner Lage kann es schon sein, dass er ziemliche Brösel macht. Man kennt das von genialen Fußballspielern.
2008 – gemeinsam mit 2010 und 2013 ein Lieblingsjahrgang vom Rudl in den letzten zehn Jahren, mit „Eleganz statt Opulenz“ beschreibt Sepp Mantler den Jahrgang
2013 – nicht zu kühl und nicht zu heiß – Wenn es nach Rudolf Polifka geht, ein idealer Jahrgang. Ein Wein, den man noch immer nicht aufmachen muss. Caviste Polifka tut das dieses Mal trotzdem.
2015 – an und für sich aufgrund weitgehend ausbleibender Wetterkapriolen fast schon ein ungewöhnlicher Jahrgang
1990 Pinot Gris Vendange Tardive Josmeyer, Wintzenheim, Alsace
Lothar Matthäus hat in diesem Jahr als Kapitän mit der deutschen Fußballnationalmannschaft die Weltmeisterschaft gewonnen und er hat danach noch lange gespielt. So alt wie im Semifinale am 4. Juli 1990 im direkten Duell mit Paul Gascoigne hat er nicht einmal als Trainer des SK Rapid ausgeschaut. Paul Gascoigne war nach diesem Spiel in Großbritannien populärer als Lady Diana.
Der Hagel am 19. Juni 1990 hat die Lage Fecht verschont. Während des Semifinales in Turin war es regnerisch und kühl. Der Boden ist geprägt von Ton und Löss.
Fünf bis acht Stunden Kontakt mit Schalen und Kernen, an und für sich hat man vorgehabt, die indigenen Hefen durch Temperatursteuerung ans Gängelband zu nehmen, ihnen aber dann bald das Tempo selber überlassen.
Nur ganz dezente Filtration, kein Säureabbau, vierundfünfzig Gramm Restzucker.
Die Josmeyer Homepage schreibt über diesen Wein von Trüffeln, feiner Säure und hoher Klarheit, ohne jedweden Exzess.
Empfohlen werden dazu Desserts mit getrockneten Früchten und Maroni, die sich selber mitzubringen der Rudl Ihnen heftigst empfiehlt.
1996
Gelegentlich ist zu lesen, Deutschland hätte die Fußballeuropameisterschaft 1996 gewonnen. Mit dem Rudl seinen Aufzeichnungen deckt sich das nicht. Gascoignes Golden Goal nach Stangelpass von Shearer in der Verlängerung im Semifinale gegen Deutschland ebnet England den Weg zum Turniersieg. So hat es der Rudl in Erinnerung.
2001 Galea, i Clivi, DOP Colli Orientali, Friuli
Bis zu diesem Jahr hat Sir Paul warten müssen, um vom Rudl auf einen Orangensaft mit Eiswürfeln eingeladen zu werden. Zugetragen hat sich das Ganze im Rahmen eines Trainingslagers vom Everton FC im Hinterland des toskanischen Städtchens Lucca.
Außerdem hat Paul Gascoigne in diesem Jahr sein erstes und einziges Tor in einem Meisterschaftsspiel für Everton erzielt. Dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen gibt, hat der Rudl nicht behauptet.
Reinsortiger Friulano, den sie früher „Tocai Friulano“ geheißen haben. Siebzig Jahre alte Stöcke, Mergel und Sandstein. Vierundzwanzig biologische Monate auf der Feinhefe im großen Stahl.
2014 Galea, i Clivi, DOC Colli Orientali, Friuli
Wein aus dem Jahr, in dem Sir Paul immer noch nicht das Mindeste, das England und viele Vereine ihm schulden, nämlich irgendeine Tätigkeit, die seinem Leben Struktur und Verantwortung zurück gibt, angeboten worden ist. Im Fußball scheint man heute erfolglose, pseudointellektuelle Aufschneider und Ich-AGen zu favorisieren. Das merkt man auf den Plätzen.
Die folgenden Weine …
- Neuburger Hommage 2015, Mantlerhof, Gedersdorf, Kremstal (2,50/4)
- Neuburger Hommage 2013, Mantlerhof, Gedersdorf, Kremstal (3/5)
- Neuburger Hommage 2008, Mantlerhof, Gedersdorf, Kremstal (4/6)
- Pinot Gris Vendange Tardive 1990, Josmeyer, Wintzenheim, Alsace (16/24)
- Galea 2001, i Clivi, DOC Colli Orientali, Friuli (4,50/7)
- Galea 2014, i Clivi, DOP Colli Orientali, Friuli (3/5)
(in Klammern die Preise für das Sechzehntel und das Achtel)
…, aber nicht ausschließlich diese gibt es
am Mittwoch, den 24. Mai
von 16 bis 22 Uhr
Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Vorschau auf die Lehrveranstaltung vom 31. Mai und vom 2. Juni:
Erde-Vertikale von Maria und Sepp Muster: 2007, 2011, 2012, 2013, 2014
Im Übrigen ist Rudolf Polifka der Meinung, dass man den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag erklären sollte!
Herr Rudolf ersucht diese Woche um Nachsicht ob der saloppen, ungegenderten Grußformel. In Anbetracht des Geburtstagskindes iist aber keine andere möglich. Cheers, mates!