Eh nicht mehr und nicht weniger
Monsieur Rudolf will es wissen. Seines Wissens gibt es weder in Savoyen noch im Rest von Frankreich ein Veranstaltung, die den besten Wein Savoyens ermittelt.
Und vor einem Auftrag hat sich der Rudl noch nie gedrückt.
Raclette und Hundstrümmerl
Das Raclette pickt an ihrer Haut. So leitet die Ausgabe 128 vom Rudl seiner Lieblingsweinzeitschrift LeRouge&leBlanc im Frühling 2018 eine Titelgeschichte über junge savoyardische Winzerinnen und Winzer ein. Der Herr Kurt hat in seinen jungen Jahren für dieses Syndrom ganz gerne das weniger appetitliche Bild mit dem Hundstrümmerl im Profil eines Goiserers verwendet.
Savoyardischer Wein scheint den Ruf des viel zu jung getrunkenen Begleiters von Raclette und Fondue nicht und nicht loszuwerden. Eine Region, die drei Viertel ihrer Produktion zuhause, vor allem in den Skistationen verkauft, steht nicht gerade unter Hochdruck, sich qualitativ besonders ins Zeug zu legen.
Einen Narren gefressen
Herr Rudolf hat ein gewisses Faible für die Weinbauregion Savoie. Das könnte in seinen wöchentlichen Betrachtungen da oder dort zum Ausdruck gekommen sein. Systematisch hat er Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, bis jetzt allerdings nicht mit Daten über diese Weinbauregion überschüttet.
Eine Kür des besten Weins aus dieser Region setzt aber eine gewissenhafte Offenlegung der Informationen über Steine, Klimata, Rebsorten, Hektar sowie Hektoliter voraus. Angaben zum letzten Mosaikstein im Terroir, den Akteuren, hält Monsieur Rudolf diese Woche knapp. Davon erzählt er immer wieder.
Geographie
Die Weinbauregion Savoie erstreckt sich auf vier politische Departements. Savoie, Haute-Savoie, Isère und Ain. Es sind ungefähr zweitausendzweihundert Hektar, nicht einmal das Vierfache der Weinbaufläche von Wien.
Geschichte
Die versteinerten Traubenkerne, die man in Savoyen gefunden hat, stammen aus der Jungsteinzeit, sind an die dreizehneinhalbtausend Jahre alt. Zeugen von Vinifikation reichen in römische Zeiten zurück. Irgendwann im Laufe des ersten nachchristlichen Jahrhunderts haben diese Allobroger, das waren Kelten und damals die autochthone Bevölkerung am Westende der Alpen, eine Rebsorte selektioniert, die den klimatischen Besonderheiten dort gewachsen war, die vitis allobrogica. Plinius der Ältere hat den daraus gewonnen Weinen ein literarisches Denkmal gesetzt. Ampelographen und Historiker streiten darüber, ob es sich dabei um Mondeuse gehandelt hat.
Die Verdienste von Klöstern und Mönchen um Fortschritte im Weinbau schätzt Herr Rudolf nicht gering. Nur lesen sich diese Geschichten für ihn mehr oder weniger sehr ähnlich. Der Rudl lässt diesen Abschnitt hier aus, nicht ohne die Klöster an ihre richtungsweisenden Beiträge zur Kultivierung des Weinbaus zu erinnern. Vielleicht kann man diese Traditionen fortsetzen.
Vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert hat die Ausdehnung der Rebflächen dann ihren Höhepunkt erreicht. Waren bis dahin besonders begünstigte Hanglagen die Standorte der Weingärten, so wanderten die Reben immer mehr in die Ebenen hinunter. Das war ein gefundenes Fressen für Spätfröste, was wiederum die Erziehung der Reben auf eineinhalb bis zwei Meter in die Höhe und die Qualität in die entgegengesetzte Richtung befördert hat.
Vor allem am Südufer des Genfer Sees, wo heute remarkable Chasselas von Dominique Lucas wachsen, hat man die Weinreben gerne auf abgestorbene Kastanienbäume hinauf erzogen, mit einem Hektarertrag von achtzig bis hundertzwanzig Hektoliter am Hektar. Der Arzt Jules Guyot hat im neunzehnten Jahrhundert festgehalten, dass die Einwohner von Evian ihr berühmtes Wasser stehen lassen und lieber den an den Kastanienbäumen hinauf erzogenen Chasselas trinken.
Dominique Lucas ist von den seinerzeitigen Hektarerträgen weit entfernt. Die herumstehenden abgestorbenen Bäume sind jeweils von nach der Lese herumrennenden lebendigen Schafen abgelöst worden. Von anderen Unterschieden in der Arbeitsweise von Dominique Lucas zu konventionell arbeitenden Betrieben am Genfer See wird demnächst immer wieder etwas hier zu lesen und in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils zu kaufen und trinken sein.
Die Reblaus hat der Gigantomanie dann, wenn Sie so wollen, das Wilde herunter geräumt, in Savoyen, in Hoch-Savoyen und auch in vielen anderen Weinbaugebieten.
Steine
Geologisch ist Savoyen sehr kurz oder sehr, sehr detailliert abgehandelt. Caviste Rudolf entscheidet sich hier für Ersteres. Kalk in unterschiedlichen Varianten. Unbedingt erwähnenswert der hohe Eisenanteil im Kalkgeröll der Lage Le Feu von Dominique Belluard, der Schiefer in den Terrassen der Domaine des Ardoisières in Cevins und der Sandstein in der Chautagne, wo Jacques Maillet zuhause ist.
Abgesehen davon halt reiner Felsen (Dupasquier), Moränen, Geröll und Ufer von Flussbetten.
Klima
Es kann bis zu hundert Tage im Jahr Frost geben. Das erklärt die große Bedeutung von autochthonen Rebsorten, die der Kälte resistieren.
Es gibt auch Flecken mit mediterraner Vegetation, vor allem am Ostufer des Lac du Bourget und etwas weiter nördlich in der Chautagne.
Trockenheit ist selten ein Problem, Hagelschlag viel öfter.
Rebsorten
Dreiundzwanzig appellationskompatible Rebsorten, davon sieben die mehr oder weniger ausschließlich in Savoyen vorkommen:
Altesse (ein paar Stöcke stehen in Wien Hasenleiten, to be extended), Gringet, Jacquère (ein paar Stöcke stehen irgendwo in Amerika), Molette, Mondeuse Blanche, Mondeuse Noire und Persan.
Appellationen
Im Juni 2014 hat das Institut national de l’origine et de la qualité (INAO) die Appellation Crémant de Savoie genehmigt.
Daneben gibt es eine Rebsortenappellation für reinsortige Altesse von besonderen Standorten, AOP Roussette de Savoie. Die Appellation der Region heißt AOP Vin de Savoie. Daneben gibt es aus dem Rudl eher schwer nachvollziehbaren Gründen die Ortsappellation AOP Seyssel (Dreidepartementseck von Savoie, Haute-Savoie und Ain). Noch kurioser erscheint dem Rudl die Appellation Crépy am westlichen Südufer des Genfer Sees. Sie existiert seit 1948. Die mit Abstand interessantesten Weine, die Monsieur Rudolf dort getrunken hat, sind jene von Dominique Lucac, der seine Weine wie die Domaine des Ardoisières ohne Appellation als IGP Vin des Allobroges abfüllt.
Dominique Belluard. Terroir du Mont Blanc
1988 hat er den Betrieb übernommen. Seine Ausbildung dürfte eher nicht das, was man heute wenig treffsicher als „kompetenzorientiert“ bezeichnet, gewesen sein. Darum hat sich Dominique Belluard nicht gleich einmal das Maul darüber zerrissen, was er alles darauf hat, sondern sich demütig ein paar Fragen gestellt. Das gefällt Fils Rudolf ausgesprochen gut. Denn er ist ein Kind der Achtziger Jahre, damals als bio und öko noch zusammen gehört haben. Heute scheinen sich die Popularitätswerte der beiden Präfixe diametral entgegengesetzt zu entwickeln. Das eine zeigt, dass man sich auskennt und trinkt, was angesagt ist. Der andere riecht nach Spaßbremse, Verzicht und Kritik am postmodernen Dowhatyouwant.
Rudolf Polifka sieht sich selbstverständlich als uncooler Öko, Dominique Belluard möglicherweise auch.
Le Feu
Dabei ist Eisen vermutlich das Charakteristischste an den Weinen von Dominique Belluard, zumindest an seinem berühmtesten Wein. Der wächst in der Steillage Le Feu und die heißt so, weil dort der Eisenanteil im Boden so hoch ist, dass der ganz rot wird. Da trifft sich etwas. Zum Beispiel mit den Weinen von Michel Riouspeyrous aus Irouléguy, der von Belluards Weinen schwärmt wie der Rudl. Und wenn Herr Rudolf irgendwann endlich wieder einmal wenigstens einen kurzen Abstecher zu Monsieur Alfred vom Eisenberg schafft, dann wird es eh bald einmal mehr zum Thema Fe geben.
Gilles Berlioz. Domaine Partagé
Christine und Gilles Berlioz haben 1990 mit achtzig Ar begonnen und gleich einmal auf biologische Bewirtschaftung umgestellt. Bis heute haben sie die Fläche auf sechs Hektar ausgeweitet.
Gefragt nach dem Entscheidenden beim Weinmachen nennt Gilles Berlioz, sich immer wieder in Frage zu stellen und sich mit den richtigen Menschen zu umgeben. Der Rudl möchte dringend hinzufügen, dass ihm beides auch für andere Berufe und Lebensbereiche als passables Rezept erscheint.
Auswahl der Weine
In Vorbereitung dieser Ermittlung hat Caviste Rudolf etliche Weinbauern aus Savoyen gefragt, welchen Wein sie für den besten ihrer Region halten. Den Großteil der für so ein Unterfangen passablen Weine hat der Rudl selber ausgesucht. Bei allem Hang zum Understatement erachtet Herr Rudolf seine auf wochenlangen Studienreisen und in jahrelangen Fernstudien erworbenen Kenntnisse als solide Basis für das Treffen so einer Auswahl.
Premiere
Rudolf Polifka geht die Rankingerei und das ewige Kundtun seiner Meinung zu allem und jedem an und für sich ganz ordentlich auf den Zeiger. In vielen tagespolitischen Belangen hält er es sogar für demokratiegefährdend, weil oft mehr von Stimmungen als von selbständigen Überlegungen geleitet, ganz besonders dann, wenn es im virtuellen Bereich stattfindet.
Nichts liegt dem Rudl ferner, als irgendeine Savoies-next-top-Dodelei abzuführen. Aber die Weine Verschiedenheit der extraordinairen Weine Savoyens schreit förmlich nach einem Vergleich. Wunschresultat für den Rudl:
Zwölf Savoyarden ex aequo auf dem ersten Platz
Weil es der Rudl in diesem Fall wirklich wissen will und das Ergebnis bei nächster Gelegenheit auch vor Ort kundtun möchte, wird er sich erlauben, Ihnen einen Zettel auszuhändigen, auf dem Sie die gekosteten Weine nach der folgenden in Frankreich gebräuchlichen Leistungsbeurteilungsverordnung bewerten können. Freiwillig, eh kloa. Und hundert Percent analog, ohne Mentimeter, Maxi Meter und Co., auf einem Zettel und mit einem Kuli, anonym.
0 – 11: durchschnittlicher Wein, sei es aus Mangel an Konzentration, Reife oder Gleichgewicht
11,5 bis 13: korrekter Wein ohne besonders hervorstechende ungute Eigenschaft. Und da erlaubt sich Herr Rudolf anzumerken, dass demnach seines Geschmacks etliche Weine, die heute auf der Naturweinschiene daher kommen und aber wirklich gelungene Bioweine in Misskredit bringen, keine 11,5 bekommen.
13,5 bis 15: guter Wein. Spaßbremse Rudl wird sich dafür hüten, in diesem Zusammenhang die Wendung „der Spaß macht“ zu verwenden. Gediegene Vinifizierung, passable Korrelation zwischen Herkunft und Rebsorte. Ansprechender Jahrgang
15,5 bis 17: großer Wein. Genau genommen auch kein Terminus aus dem aktiven Weinsprachschatz vom Rudl. Ideales Zusammenspiel von Boden, Rebsorte, Vinifizierung, Jahrgang und Weinbaumeister
17,5 bis 19,5: außerordentliche Weinpersönlichkeit. Elegant. Differenziert. Kraft im qualitativen, nicht im quantitativen Sinn.
20: Ein Wein, der singt wie der Herr Kurt beim Wirt und Winzer des Vertrauens vom Rudl. Ein Wein, der der Zeit ihre Grenzen aufzeigt.
Als Vorbereitung rekommandiert der Rudl André Combaz „Les Vins des Terroirs de Savoie“, erschienen 1992.
- Un Matin face au Lac 2017, Les Vignes de Paradis, Ballaison, Haute Savoie, IGP Vin des Allobroges (nominiert von Dominique Belluard) (5/8)
- Marignan 1515 2016, Les Vignes de Paradis, Haute Savoie, IGP Vin des Allobroges (nominiert von Dominique Belluard) (5/8)
- Apremont 2017, Domaine Giachino, Chapareillan, AOP Vin de Savoie (3/5)
- Apremont „La Centennaire“ 2016, Jean-Claude Masson et Fils, Apremont, AOP Vin de Savoie (nominiert von Rudolf Polifka) (6/9)
- Chignin Bergeron „Les Fripons“ 2016, Gilles Berlioz, Chignin, AOP Vin de Savoie (nominiert von Dominique Belluard) (6/9)
- Solar 2016, Domaine de l’Aitonnement, Aiton, IGP Vin (nominiert von Rudolf Polifka) (6/9)
- Schiste 2016, Domaine des Ardoisières, Cevins, IGP Vin des Allobroges (nominiert von Dominique Belluard und Rudolf Polifka) (7/11)
An dieser Stelle können Sie den Rudl fragen, ob der deutlich teurere Quartz (hundert Percent Altesse) vom selben Weingut nicht mit mehr Chancen in ein Rennen um den Titel des besten Weins aus Savoyen gehen würde. Vielleicht. Schiste Fünfzehn hat Herr Rudolf einmal gegen Quartz Fünfzehn antreten lassen und sich zwei Flaschen lang nicht entscheiden können. Einer aber auch nicht viel mehr als Arbeitshypothese zufolge kann sich der Rudl vorstellen, dass der Schiste in den ersten Jahren Vorteile hat, der Quartz dann aber spätestens mit zehn Jahren Reife noch besser schmeckt. Monsieur Rudolf hat zwar von beiden Weinen einen Achter im Keller, nur wäre so ein Vergleich nicht definitiv aussagekräftig, weil diese Weine vor zehn Jahren auch schon sehr gut, aber lange nicht so ausgezeichnet gemacht worden sind wie heute.
- Le Feu 2016, Dominique Belluard, Ayse, Haute Savoie, AOP Vin de Savoie Ayze (nominiert von Caviste Rudolf Polifka) (6,50/10)
- Marestel 2011, Domaine Dupasquier, Aimavigne, AOP Roussette de Savoie (nominiert von Dupasquier und Rudolf Polifka) (4/6)
- La Belle Romaine 2013, Château de Merande, Arbin, AOP Vin de Savoie (nominiert vom Weingut) (4/6)
- Mondeuse Confidentiel 2015, Les Fils de Charles Trosset, Arbin, AOP Vin de Savoie (nominiert vom Rudl) (4,50/7)
- Mondeuse 2015, Jacques Maillet, Motz, Serrières-en-Chautagne, AOP Vin de Savoie (6/9)
(in Klammern die Preise für das Sechzehntel und das Achtel)
… glasweise
am Mittwoch, den 9. und AUSNAHMSWEISE am DONNERSTAG, den 10. Jänner
von 16 bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Im Übrigen ist Rudolf Polifka der Meinung, dass man den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag erklären sollte!
Ein gutes neues Jahr!
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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien
Öffnungszeiten: Mittwoch und Freitag, 16 bis 22 Uhr, an Schultagen
kostenlose und CO2-minimierte Zustellung innerhalb von Wien ab einem Bestellwert von 57