Dschai Si Mäissn und der alte Klosterkeller Siegendorf

Wenn Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, aufgrund der ersten drei Lautkombinationen in der Betreffzeile jetzt glauben, der Rudl würde auf Steirisch in seine Tastatur hinein fluchen, dann täuschen Sie sich gewaltig. Nicht dass der Rudl nicht fluchen würde. Im Gegenteil. Aber bei obigem Ausdruck handelt es sich um die Art und Weise, wie Amerikaner den Namen des Winzers Jean-Claude Masson aus Apremont aussprechen.

Übrigens wohnt ganz in der Nähe von Monsieur Masson die Familie Giachino. Die werden dort [giakinó] ausgesprochen. Fragen Sie den Rudl nicht, was das für eine dialektale Variante ist. Aber so reden sie in Savoyen halt. Und im Zusammenhang mit Aussprachen und Spitznamen versucht es Herr Rudolf so zu halten, dass der oder die Benannte entscheidet, wie sie oder er genannt wird.

So oder so

Anlassgesteuertheit ist an und für sich nicht dem Rudl Seines. Andererseits hat er es schon gerne, wenn zum Jahreswechsel, meistens eh komatös müde, Schaumwein getrunken, nach dem Aschermittwoch ein Palmkatzlast aufgestellt oder im Advent Weihnachtsbockbier getrunken wird.

Vielleicht ist das Dialektik, oder einfach nur Inkonsequenz. Egal. Aber für den Faschingsdienstag hat der Rudl versucht, mit dem Weinprogramm dem Fasching Rechnung zu tragen, quasi einmal etwas ganz anderes. Dass am Donnerstag, dann schon in der Fastenzeit, dasselbe Weinprogramm an der Tafel stehen wird, relativiert den Grat an Anlassgesteuertheit eh wieder dialektisch oder wos.

Jean-Claude Masson

scheint die originelle Aussprache seines Namens nicht sonderlich zu stören. Eher ist er ein bissl stolz, dass die in den Vereinigten Staaten drüben gerade an seinen Jacquères aus Apremont so einen Narren gefressen haben. Monsieur Masson stößt sich mehr an schlechten Manieren als an Differenzen um die Aussprache. Es soll vorkommen sein, dass eine schwere, stinkende Tschäsn vor seinem Keller stehen geblieben, ein Mann ausgestiegen ist und die Kellertür von einem „Il faut du vin!“ (Ich brauche Wein, Anm.) begleitet geöffnet hat. In so einem Fall ersucht Jean-Claude den Gast höflich, aber bestimmt noch einmal hinauszugehen und sich dessen, was einem eine passable Kinderstube für so eine Situation nahegebracht hat, zu besinnen. Dem Rudl gefällt das sehr gut. Ihm geht die überhebliche Dreistigkeit, die heute sogar in Lehrpläne als Unterrichtsziel Eingang gefunden hat, so etwas von gegen den Strich, dass er Ihnen das gar nicht sagen kann. Aber wer Demut, dezente Zurückhaltung, Dankbarkeit, die Fähigkeit zum Understatement und eine nicht-interessensgeleitete Höflichkeit verachtet, der ist für den Rudl keine Persönlichkeit, sondern ein Würschtl, ganz wurscht was sie in die Lehrpläne für Persönlichkeitsbildung hineinschreiben.

Aber zurück zur Domaine Jean-Claude Masson et Fils.

Das Wort „atypique“ ist vom Rest der Überschrift auf der Homepage farblich abgehoben. Auf dem Gebiet eines Crus, der in den letzten Jahrzehnten nicht gerade ein Übermaß an großartigen Weinen hervorgebracht hat, liegt es nicht ganz fern, sich als „atypisch“ zu bezeichnen. Man muss aber nicht im Keller von Monsieur Masson sitzen, um zu erkennen, dass hier das Wort „atypisch“ wirklich angebracht ist.

Anders als viele andere Weingüte, die in Apremont mit großen Hinweisschildern auf sich aufmerksam zu machen versuchen, stellen weder die analoge Welt noch die digitale nennenswerte Hilfestellungen für das Auffinden der Domaine Masson zur Verfügung. In der Tat ist der Rudl vor Jahren auch schon einmal wieder von „Le Villard“ herunter gefahren, ohne die Domaine Masson ausfindig gemacht zu haben. Irgendwann hat er sich dann doch zu ihr durchgefragt. Seither ist er dreimal dort gewesen, hat dort ein paar Weine gekostet und sich das eine oder andere erklären lassen.

Die Arbeit im Weingarten wird bei den Massons seit mehr als fünfzig Jahren von zwei Prinzipien geleitet.

  • Ökologische Verantwortung ist hier kein „levier économique“, kein Marketinghebel.
  • Und die lokale wie mikrolokale Pflanzenwelt ist ein konstitutiver Faktor für das biologische Gleichgewicht im Weingarten und das aromatische am Gaumen.

Zehn verschiedene Apremonts auf etwa zehn Hektar Weingärten sind das Resultat dieser Besessenheit, feine Unterschiede zwischen den einzelnen Parzellen herauszuarbeiten. Wer die Steil- und Ausgesetztheit dieser Weingärten kennt, muss nicht explizieren, dass händisch gelesen wird.

Am meisten trifft das Wort „atypisch“ bei den Massons auf den Lesezeitpunkt zu, wobei der Rudl hinzufügen möchte: atypisch, aber wahrscheinlich rebsortenadäquat.

80 Prozent aller savoyardischen Jacquères werden im Jahr der Lese verkauft. Vom Ergebnis können Sie sich in jeder mittleren Skihütte zwischen Chamonix und Val d’Isère überzeugen. Bei Jean-Claude Masson wird nicht selten dann mit der Lese begonnen, wenn viele andere Weinbauern damit fertig sind. Was beim Grünen Veltliner in einem Mangel an Frische und zu viel Alkohol resultieren kann, bringt bei einer so spät reifenden Rebsorte wie Jaquère außerordentlich lagerfähige Weine.

Lisa

Die Hommage an die Tochter und deren Persönlichkeit nachempfunden. Lisa sei ziemlich energisch und geradlinig. Während der Sohn gerne lange schlafe und auch einmal das eine oder andere vergesse, strebe Lisa eine Laufbahn bei der Polizei an. So hat Jean-Claude Masson einmal seine Kinder charakterisiert.

Grapefruit und Orangen. Die „garde prolongée“, wie auf der Homepage zu lesen ist, hat der Rudl schon im Keller des Weinguts verifizieren dürfen. Zu Gerichten, die aus dem Wasser kommen, und etwas ausdrucksstärkeren savoyardischen Käsen.

La Déchirée

Von einem Weingarten ganz oben über Apremont, natürlich eingezäunt von Himbeer- und Brombeerhecken. Ein ziemliches Gegenstück zu Lisa, sehr spät gelesen, vielschichtig. Zu allem, das in Saucen schwimmt.

La Centenaire

Über ein Jahrhundert sind die Rebstöcke, auf denen die Trauben für diesen Wein wachsen, alt, entsprechend der Ertrag. Frische Mandeln, Kernobst.

Der älteste Wein von Monsieur Masson verkostete Wein aus diesem Weingarten ist ein 1945er gewesen. So weit hat der Rudl nicht zurück verkostet. Aber der Rudl hat keinen Grund, anzuzweifeln, dass es sich dabei um ein Monument gehandelt hat.

Klosterkeller Siegendorf

Zum Klosterkeller Siegendorf hat den Rudl Lenz Moser geführt. Ab 1993 hat der Rudl systematisch bei Weingütern nach Altweinen angefragt, mit vorfrankierten Postkarten, im Fall besonderer Bedeutung per Brief samt adressiertem und frankiertem Rückkuvert. Ein Hinweis in einem Weinbuch aus den Achtziger Jahren hat den Rudl damals auf die Vinothek von Lenz Moser aufmerksam gemacht. Das war nicht lange, nachdem Lenz Moser den Klosterkeller Siegendorf 1988 erworben hatte. Auf der offiziellen Raritäten-Liste hat sich ein Pinot Noir aus dem Jahr 1979 befunden. Den hat der Rudl bald einmal erstanden, nicht ohne nachzufragen, ob es noch andere Altweine gebe. Er wurde direkt an den Klosterkeller in Siegendorf verwiesen und hat dort dann ganz ordentlich eingekauft, zum Einheitspreis von hundert Schilling die Flasche. Die trockenen Weißweine waren aus den Sechziger Jahren und durch die Bank oxidiert. Die Roten waren sehr bis extraordinaire gut.

 

So oder so können Sie ziemlich sicher nur mehr beim Rudl das verkosten, was vor Merlot & Kollegen in den Weingärten des Klosterkellers Siegendorf gewachsen ist. Inwieweit das noch lebt, wird vermutlich spannend und von Flasche zu Flasche sehr verschieden sein. Ein direktes Risiko stellt es aber nicht da. Sie können selbstverständlich die Weine kosten, bevor Sie sich für oder auch gegen ein Glasl davon entscheiden. Der Rudl freut sich allein schon auf den Geruch, wie er übrigens immer mehr dazu tendiert, Rotweine lieber zu riechen, Weißweine aber zu trinken. Diesbezüglich hofft Caviste Rudolf nicht auf Nachahmung. Denn bis Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, so ein Glas Rotwein leer gerochen haben, würde doch deutlich mehr Zeit vergehen als beim Leertrinken, was sich natürlich nicht gerade belebend auf die Umsatzzahlen vom Rudl seinem Weinkaufsgeschäft auswirken würde.

 

Sandige, nach Südwesten ausgerichtete Böden und mildes pannonisches Klima, damit scheinen die Konstanten der Zeit seit der Lese der drei angebotenen Weine genannt zu sein. Im Fall des Klimas trifft auch das nur bedingt zu.

Herr Rudolf ist mit dem Vorwurf konfrontiert worden, dass er manches von dem, was er jahrgangstechnisch über die Sauvignons von Josef Umathum geschrieben hatte, eine Woche später über dieselben Jahrgänge Roten Veltliners von Josef Mantler wiederholt hat. Darum diese Woche ohne Wiederholung.

1977

Warmer März und Frost im April. Danach ziemlich ideales Weinwetter. Der Rudl hat viele Siebenundsiebziger getrunken. Fast alle waren ziemlich gut.

1976

 

Milder Winter, kühler Mai, dann Trockenstress. Unbeständiges Wetter vor der Lese und Botrytis.

 

1973

 

Ausgezeichneter Jahrgang vor allem für Prädikatsweine. Für damalige Verhältnisse überdurchschnittlich frühe Lese. Für damalige Verhältnisse.

 

1972

 

Problematischer Sommer, sehr späte Lese und früher Frost

 

1971

 

Frostschäden durch einen sehr kalten Winter. Dann ein viel zu trockener Sommer.

  • Apremont „Lisa“ 2017, Jean-Claude Masson et Fils, Apremont, AOP Vin de Savoie (3/5)
  • Apremont „La Déchirée“ 2017, Jean-Claude Masson et Fils, Apremont, AOP Vin de Savoie (4,50/7)
  • Apremont „La Centenaire“ 2016, Jean-Claude Masson et Fils, Apremont, AOP Vin de Savoie (6/9)
  • Blauburgunder 1972, Klosterkeller Siegendorf, Weinbaugebiet Rust Neusiedlersee (4/6)
  • Blaufränkisch 1976, Klosterkeller Siegendorf, Weinbaugebiet Rust Neusiedlersee (4/6)
  • Blaufränkisch „Turmstüberl“ 1971, Klosterkeller Siegendorf, Weinbaugebiet Rust Neusiedlersee (4/6)
  • Blaufränkisch Spätlese 1977, Klosterkeller Siegendorf, Weinbaugebiet Rust Neusiedlersee (4/6)
  • Blaufränkisch Spätlese 1973, Klosterkeller Siegendorf, Weinbaugebiet Rust Neusiedlersee (4/6)
  • Weißburgunder Ausstich 1977, Klosterkeller Siegendorf, Weinbaugebiet Rust Neusiedlersee (4/6) – süß und aus der großen Bocksbeutelflasche

(in Klammern die Preise für das Sechzehntel und das Achtel)

nicht nur diese Weine gibt es glasweise

am Faschingsdienstag, den 25. Februar und am Donnerstag, den 27. Februar

jeweils von 16 bis 21 Uhr

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22

Vorschau auf die Lehrveranstaltung der kommenden Woche:

Geburtstag von Josef Bauer, seineszeichens Nicht-Lieblingsschüler von Direktor Zweigelt, gegenderte Weine zum internationalen Frauentag, über wirkliches Teilen und Deklarieren: Gilles Berlioz, Sepp Muster und ein Wein von Hannes Schuster

Im Übrigen ist Rudolf Polifka der Meinung, dass man den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag erklären sollte!

Herr Rudolf grüßt nüchtern und närrisch zugleich, dialektisch halt, oder so.

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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien

Öffnungszeiten: Dienstag und Donnerstag, 16 bis 21 Uhr, an Schultagen

kostenlose und CO2-minimierte Zustellung innerhalb von Wien ab einem Bestellwert von 57