Jacquère. Ersatzreligion vernichtet Rebsorte, Dienstag, 29. November, 17 bis 21 Uhr

Damit Sie den Rudl nicht falsch verstehen … ein Rätsel

Er hat nichts gegen Marktwirtschaft. Gegen Marktwirtschaft als Instrument hat der Rudl nichts; wäre etwas seltsam, andernfalls ein Geschäft zu betreiben. Aber gegen totalitäre Ideologien und Ersatzreligionen hat der Rudl so ziemlich alles, was man auf dieser Welt gegen etwas haben kann.

Und wozu es führt, wenn der Kapitalismus als Ersatzreligion und totalitäre Ideologie nach etwas greift, das kann man momentan ganz eindrucksvoll in Katar studieren: Vor dreitausend Jahren hat das Judentum die Menschheit von der unbarmherzigen Logik des Menschenopfers erlöst. Was eine gnadenlose Ideologie und Ersatzreligion fordert, wenn sie ihre dreckigen Krallen nach einem Spiel(!) ausfährt und aber auch wirklich nichts von ihrer besessenen Kommerzialisierung verschont, das besteht aus dreizehn Buchstaben und endet auf ein r.

Jacquère

Ein zweites Mal hofft Monsieur Rudolf, nicht falsch verstanden zu werden. Was man mit Jacquère oder Gamay aufgeführt hat und aufführt, darf man in keinster Weise mit den Tragödien der Wanderarbeiter in Katar vergleichen. Eine gemeinsame Ursache ist dennoch nicht von der Hand zu weisen: Geschäftemacherei auf Teufel komm ‘raus

Im Fall von Jacquère war es zuerst die Explosion der Skistationen in den französischen Alpen und dann waren es die Olympischen Winterspiele von Albertville 1992. Beide sind ein Kapitel für sich … und für die Architektur der Beweis, dass man nicht viel Platz benötigt, um Unmengen an Beton zu verbauen. Das hat man getan und in den dazugehörigen Gaststätten hat man das architektonische Rezept des Warum-GUT-wenn-auch-VIEL-geht? gleich auf die Speisen- und Getränkekarten übertragen. Dabei ist eine der vielleicht interessantesten Rebsorten der Welt dermaßen versaut worden, dass diese eine ganze, zugegebenermaßen nicht besonders große Weinbauregion mit sich in den Dreck gezogen hat. Wenn Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, heute beim Skifahren einen Apremont oder einen Abymes trinken, dann gibt es im Prinzip drei Möglichkeiten:

  • Sie schlucken jenes Produkt der Pharmaindustrie, das angeblich den Magen aufräumt, und nehmen sich fest vor, so etwas nie wieder zu trinken.
  • Sie stopfen dem Wein Unmengen an Fondue, Raclette oder Tartiflette nach, um auf einen anderen Geschmack zu kommen.
  • Oder Sie freuen sich, weil Sie Glück gehabt haben, eine Jacquère von den Giachinos, von Jean-Claude Masson oder von einer Handvoll anderer Weinbauern zu trinken. Nicht zuletzt die Giachinos und Masson waren es, die es sich quasi zur Lebensaufgabe gemacht haben, Jacquère zu retten und wieder als das zugänglich zu machen, was diese Rebsorte eigentlich wäre: eine rebsortifizierte Resistenz gegen Klimakrise, Oidium und Peronospora, vor allem aber ein großartiger Transporteur von Feuersteinaromen aus dem Boden in das Glas.
  • Jacquère „Jonona“ 2021, Côteaux des Girdonales, Villaz, Haute-Savoie, Vin de France (4,50/7)

9 % Alkohol und trotzdem ein Wein 

  • Apremont 2020, Giachino, Chapareillan, AOP Vin de Savoie (4/6)

Der Ort am Fuß des imposanten Mont Granier kann ja nichts dafür. Darum verwenden die Giachinos auch die Cru-Bezeichnung. Jean-Claude Masson hat überhaupt neun Spielarten des Apremonts im Register. Einzig seine Altesse kann kein Apremont sein. Aber bei einer willkürlich zusammengestellten Apremont-Blindverkostung würde Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, die Apremonts von Masson und Giachino ziemlich sicher als Piraten klassifizieren.

  • Jacquère 2018, Dupasquier, Aimavigne, AOP Vin de Savoie (3/5)
  • Genesis 2020, Domaine de l‘Aitonnement, Aiton, IGP Vin des Allobroges (6,50/10)

von ziemlich hoch oben am Eingang zum Tal der Maurienne, Schieferböden einer einst renommierten Lage

  • Chignin „1903“, Anne und Pascal Quenard, Chignin, AOP Vin de Savoie

Beinahe sagenumwoben ist die Rivalität zwischen den beiden einander gegenüberliegenden Ortschaften Apremont und Chignin. Und nicht immer hat sie sich produktiv auf die Qualität der Weine ausgewirkt.

Das Gros der Jacquère-Rebstöcke in diesem Weingarten ist fast hundertzwanzig Jahre alt. Das ist bei dieser Rebsorte, ähnlich wie bei Grenache Noir, gar nicht so eine Seltenheit, weshalb etwa Jean-Claude Masson Jacquère als eine der beeindruckendsten Pflanzen dieser Welt erachtet.

  • Le P‘tit Canon 2015, Jacques Maillet, Serrières-en-Chautagne, AOC Vin de Savoie (4,50/7)

… eine der allerletzen Flaschen von Jacques Maillet

  • Argile Blanc 2019, Domaine des Ardoisières, Saint Pierre de Soucy, IGP Vin des Allobroges (5/8)

49 % Jacqu?er, 40 % Chardonnay, 20 % Mondeuse Blanche

  • In Extremis 2013, Château de Merande, Arbin, Vin de France (5/8)

Vendange Tardive von Jacquère, das haben, zumindest soweit der Rudl weiß, noch nicht einmal die Giachinos mit dieser Rebsorte probiert.

… und ein paar Rote vom Eisen gibt es auch noch

glasweise am

am Dienstag, den 29. November

von 17 bis 21 Uhr

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22

 

Der 27. Jänner, der Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz, naht. Wann wir er endlich zu einem gesamteuropäischen Feiertag erklärt?

 

Shalom wünscht Herr Rudolf!

 

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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien

Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils
Reindorfgasse 22
1150 Wien
Tel.: 0043 (0)699 1923 3008
www.wein-polifka.at

Ostbahn lebt.

Eisen und Wein: auvergne, Pyrenäen, Karst und Eisenberg, am Dienstag, den 22. November

Eisen und Wein: Auvergne, Pyrenäen, Karst und Eisenberg, am Dienstag, 22. November von 17 bis 21 Uhr

Fer Servadou

hat den Rudl schon fasziniert, bevor er die dazugehörende Rebsorte sensorisch kennengelernt hat, rein vom Namen her. Anders als Caviste Rudolf ursprünglich vermutet hat, deutet diese Bezeichnung nicht auf eine Vorliebe für einen hohen Eisengehalt im Boden hin. Die lateinische Bezeichnung für Eisen im Vornamen bezieht sich auf die Härte des Rebholzes. Servadou möchte eine lange Haltbarkeit der Trauben zum Ausdruck bringen. In den beiden Appellationen, die auch Gegenstand der folgenden Überlegungen sind, hat Fer Servadou den Spitznamen „Mansoi“.

Fer Servadou ist der Urrebe ziemlich nahe und wahrscheinlich deshalb gegen sehr viel, was dem Rebstock zusetzen kann, resistent, nur gegen Zikaden, Traubenwickler und Spätfrost nicht. Im Ertrag liegt ihm das Übertreiben fern. Die Trauben sind mittelgroß, die Beeren länglich, schwarz und dickschalig.

An den Boden stellt Fer Servadou auch keine überzogenen Anforderungen. Mager und steinig hat er es gern.

Die Weine sind dunkel, geschmacklich tragen sie nicht dick auf, im Alkohol detto nicht. Ein paar Jahre Flaschenreife sind in der Regel kein Nachteil.

Wenn Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, jetzt von den Qualitäten dieser Rebsorte noch nicht überzeugt sind, dann könnten Sie theoretisch in das Département Aveyron fahren, dort die zwanzig Hektar kleine, aber atemberaubend schöne Appellation mit der vielversprechenden Bezeichnung Vins d‘Entraygues-et-du-Fel und dem Blick auf den Lot hinunter besuchen, die Serpentinen zur Auberge du Fel hinauffahrenabsteigen und dort absteigen. Den Ausblick vergessen Sie nicht so schnell und der Koch muss sich neben dem Ausblick nicht verstecken. Es handelt sich bei dieser Appellation zur südlichsten der Auvergne, weinbauadministrativ gehört sie aber zum Südwesten.

Die alte Rebsorte Gros Cabernet muss man nicht kennen. Sie ist der Papa des Carménère ist. Gros Cabernet seinerseits ist der Bub von Fer Servadou und dem baskischen Txakoli.

Verdienste in der Geschichte haben nicht immer Wertschätzung in der Gegenwart zur Folge. Darum hat Fer Sarvadou gegen Ende des vorigen Jahrtausends mit knapp über tausend Hektar einen Tiefpunkt an Anbaufläche erreicht. Heute steigt diese wieder leicht.

Die Appellation Entraygues-et-du-Fel ist vom Massif Central, dem Mittelmeer und auch ein bissl vom Atlantik geprägt. Die Weingärten befinden sich auf südlich ausgerichteten, ziemlich steilen Hanglagen zwischen 250 und 500 Meter, sind terrassiert und im Vergleich etwa zur Wachau äußerst zerstreut, alles Erbe der Abtei de Conques. Steil, mager und massiv geschiefert. Gesteinsprobe ist vorhanden. Den dazugehörigen Cantal können Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, sich gerne in die Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils mitbringen und als Begleiter dem Wein an die Seite stellen.

Eisen im Boden

Im engeren Sinn ist Eisen im Zusammenhang mit Wein freilich in geologischer Hinsicht bedeutend. Allerdings gibt es bis dato keine schlüssigen Forschungsergebnisse, wie beziehungsweise inwiefern ein eisenhältiger Boden Wein geschmacklich beeinflusst. Eisen an sich ist im Wasser nicht löslich. Es geht also chemische Prozesse, die im Boden stattfinden und dort das Eisen zum Reagieren mit anderen Substanzen, etwa mit Säuren, bringen. Dem ist die Biologie noch nicht ganz auf die Spur gekommen.

Eisen im Sortiment

Auf alle Fälle freut sich Caviste Rudolf, dass sein quantitativ sehr überschaubares Sortiment gleich mit drei Gebieten, in denen es stark eisenhältige Böden gibt, aufwarten kann: Irouléguy, Karst und Eisenberg, oder Arretxea, Čotar, Weber.

  • Entraygues et du Fel Rouge 2020, Domaine Mousset, AOP Entraygues et du Fel, Sud Ouest (3/5)
  • La Pauca 2019, Domaine Mousset, AOP Entraygues et du Fel, Sud Ouest (5/8)
  • Vieilles Vignes 2016, Domane du Cros (4,50/7) AOP Marcillac

    reinsortiger Fer Servadou und zusätzlich auf rotem Sandstein gewachsen – mehr Eisen geht im Wein nicht; achtzehn Monate im großen Holz ausgebaut

  • Blaufränkisch Weinberg 2018, Helga und Alfred Weber, Deutsch-Schützen, Eisenberg (3/5)
  • Blaufränkisch Königsberg 2013, Uwe Schiefer, Südburgenland
  • Terra Rossa 2006, Branko und Vasja Čotar, Komen, Kras, Slowenien (6,50/10)
  • Haitza 2017, Domaine Arretxea, AOP Irouléguy, Sud Ouest (6/9)

am Dienstag, den 22. November von 17 bis 21 Uhr

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22.

Heftig den Kopf schüttelt Rudolf Polifka, sich wundernd, warum der 27. Jänner, der Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz, noch immer nicht zum gesamteuropäischen Feiertag erklärt worden ist.

Der Rudl grüßt Zentralmassiv, Pyrenäen, Karst und Eisenberg, aber auch alle anderen Menschen in den Bergen und am Flachland!

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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien

Gamay und Welschriesling: Montag, 14. November von 17 bis 21 Uhr

Nochamal

Mit dem Versuch, ein kleines Weingeschäft abseits lauten Marketinggetöses, sinnfreier Angeberphrasen und entwürdigender Rabattschlachten zu betreiben, hat man sich schon vor dem März 2020 keine Goldgrube geschaufelt. Dann sind Sperrstunden, -tage, -wochen und -monate gekommen, mit ihnen jede Menge Webshops von Winzerinnen und Winzern, von denen manche behaupten, kostenfrei Wein zu versenden. Für solche Weine ist ein Geschäft wie das vom Rudl wie ein Schuhlöffel für einen Badeschlapfen. Und in Wien ein Weingeschäft ausschließlich mit Weinen aus Savoyen und Irouléguy zu führen, da gibt es auch zwei oder drei einfachere Sachen. Andernfalls würden das wohl mehrere machen.

Krise

1978 hat Lukas Resetarits in seinem zweiten Kabarett-Programm eine Krise gefordert. Das stimmt nicht ganz, eigentlich nur als Titel. Er hatte erkannt, dass Krisen – veritable oder inszenierte – manchmal jenen politischen Kräften gelegen kommen, die mit demokratischen Grundprinzipien nicht per Du sind. Und dass man Krisen auch machen oder herbeireden kann, das ist auch keine ganz neue Erkenntnis.

Es gibt in Österreich Menschen, die arm sind. Sie leiden unter den steigenden Energiekosten. Bevor jemand friert, muss der Staat, wenn er sich nicht blamieren will, helfen. Aber wenn jemand meint, es sei unter ihrer oder seiner Würde, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, dann ist das zumindest in der Stadt, nicht selten aber auch am Land seine respektive ihre Entscheidung. Der Rudl ist auf dem Land aufgewachsen. „Land“ ist ein Euphemismus für die Abgelegenheit dieser Ortschaft. Und aufgrund desaströser öffentlicher Verkehrsmittel dort hat er im siebenundachtziger Jahr ein Konzert vom Herrn Kurt, der seinerzeit noch der Kurti war, im Volksheim in Salzburg versäumt. Blede G‘schicht, aber nicht die Verantwortung des Staates, der nicht die Aufgabe hat, Schadstoffausstoß und Energieverschwendung zu subventionieren.

Nicht alle, die jetzt jammern, schreien und Hysterien verbreiten, leiden an einer Krise.

Einerseits scheint nicht alles, was jetzt an Krisen-Lamento artikuliert wird, volkswirtschaftlich haltbar zu sein. Wo ist eigentlich die Psychologie, wenn es darum geht, den verantwortungslos geschürten Anteil der Krise als solchen erkennbar zu machen?

Andererseits scheint dem Rudl nicht das gesamte Ausmaß der Teuerung kausal mit dem verbrecherischen Angriff auf die Ukraine in Verbindung zu stehen. Ein gar nicht so kleiner Teil scheint relativ plausibel und schlicht als Krisengewinnlerinnen- und Krisengewinnlertum erklärbar zu sein.

Und zum Dritten führt der Rudl die gegenwärtige Situation auch ganz stark darauf zurück, dass Industrienahrungsmittel und Energieverschwendung in den letzten dreißig oder vierzig Jahre zu billig, in Anbetracht ihrer destruktiven Folgen viel zu billig waren, als darauf, dass sie jetzt nicht mehr ganz so billig sind wie noch vor fünf Jahren. „Über die Verhältnisse gelebt“ ist ein etwas altmodisch anmutender Terminus. Der Rudl ist der Meinung, dass er die gegenwärtige Lage ganz gut trifft, wobei zu ergänzen wäre, dass vor allem der reiche Nordwesten auf Kosten vieler Menschen im Süden und im Osten über die Verhältnisse gelebt hat. Zu fragen wäre darüber hinaus, ob das, was in den letzten Jahrzehnten um einen Nasenrammel zu erstehen und bei Missfallen auch gleich wieder kostenfrei zu retournieren war, wirklich zu einem guten Leben, das diesen Namen auch verdient, gehört. Dass mit dem Konsumkult genauso wie mit Fundamentalismus und Nationalismus in der Regel jene abgespeist werden, die sonst nichts haben, möchte Citoyen Rudolf nur nebenbei angemerkt haben. Und dass ausgerechnet jene politischen Kräfte, die vor etwa hundert Jahren Mündigkeit und Freiheit über den Weg der Bildung erreichen wollten, jetzt besonders laut nach staatlicher Unterstützung von stupidem Konsumkult und Energieverschwendung schreien, ernüchtert den Rudl.

Öffnungszeiten

Wenn die Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils jetzt nicht mehr so oft und so lange geöffnet ist wie früher, dann hat das jedenfalls nichts mit einer Energiekrise zu tun. Eine solche existiert vor allem insofern, als der längst als notwendig bekannte Ausstieg aus fossilen Energieträgern, wenn überhaupt mindestens dreißig Jahre zu spät kommt. Es hat natürlich auch nichts mit Personalengpässen, Pensionierungswellen oder Krankenständen zu tun. Und auch nichts mit dem verlogenen Verbrecher im Kreml.

Der Rudl ist im Südburgenland an einem Gasthaus vorbei gegangen. Vor diesem Gasthaus stand eine Tafel mit der Aufschrift: „Aufgrund der hohen Energiepreise leider geschlossen“. In den letzten drei Jahren ist der Rudl auch an diesem Gasthaus vorbei gegangen. Da war es auch immer geschlossen.

Beaujolais Primeur – vinifizierte Ungeduld?

Nächsten Donnerstag ist es wieder so weit: Nach dem dritten Mittwoch im November wird jener Beaujolais, der es mit dem Vergären gar nicht mehr erwarten können hat … oder mit dem Chemiekasten dazu gebracht worden ist, in Verkauf gebracht. Jahrgang 2022.

An sich ist es eine mindestens bis in das neunzehnte Jahrhundert zurückzuverfolgende Tradition des „vin de primeur“, wenn Weinbäuerinnen und Weinbauern das Ende der Lese feiern, indem sie mit dem neuen Wein oder mit dem, was am Weg dazu ist, anstoßen. Im Fall des Beaujolais kamen dann Wirte aus Lyon auf die Idee, sich den frischen Beaujolais in Holzfässern auf der Saône herunter flößen zu lassen. 1937 wurde Beaujolais dann in den Rang einer Appellation d‘Origine Contrôlée erhoben. Damit wurde der Verkauf ab 15. Dezember zugelassen. Die Ungeduld wuchs und 1951 wurde der Verkaufsstart um ein Monat vorverlegt. Englische Importeure lieferten sich gegenseitig regelrechte Lastautorennen, wer zuerst und am meisten Beaujolais Primeur daher zerren konnte. 1985, zwei Jahre bevor sich in der Steiermark die ersten Winzer zusammen taten, um einen Jungwein zu etablieren, setzte man der Start des Verkaufs ab Keller mit 00 01 Uhr am dritten Donnerstag im November festgesetzt. Dann hat der Neoliberalismus Fahrt aufgenommen und die Welt wurde weit vor dem dritten Novemberdonnerstag mit Beaujolais Nouveau geflutet, eh mit einem Karterl versehen, bitteschön halt so lieb und nett zu sein, diesen nicht vor dem dritten Donnerstag an den Endverbraucher abzugeben.

Steirischer Junker, Primus Pannonikus, Junger Wiener, … Dann hat es geschäftstüchtige Weinbauern gegeben, die nicht bis November, wenn der Junker in Verkehr gebracht wird, warten wollten. Die haben schon Wochen vorher einen „Jungen Steirer“ ausgeschenkt. Der Jungweinkult hat viele Namen und noch mehr Gesichter. Gegen wenige davon hätte Monsieur Rudolf etwas einzuwenden, wären sie nicht derartig aggressiv von der Dogmatik des Marketings gezeichnet, diese ihrerseits von der Ungeduld, welche wiederum vom Wachstum, das wiederum vom Chemiekasten und der von einem grausligen Gesschmack.

Einer ganzen Rebsorte hat das stark zugesetzt. Fragen Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, heute mittelweinaffine Zeitgenossinnen oder Zeitgenossen nach Gamay, werden Ihnen die meisten ziemlich schnell einmal mit Beaujolais Primeur daher kommen. Und nicht alle davon werden damit erfreuliche geschmackliche Assoziationen in Verbindung bringen. Gerecht ist das nicht, denn der Gamay kann nichts dafür. Das zeigen gute Morgons und die anderen neun Crus sehr eindrucksvoll, vor allem nach zwanzig oder dreißig Jahren. Darüber hinaus sollte man nie vergessen, dass das, was man heute als Naturweinbewegung kennt, im Beaujolais ihren Ausgang genommen hat. Dazu etwas später mehr.

Wenn man die Dimensionen auch sicher nicht vergleichen kann, so ist das Schicksal des Welschrieslings vergleichbar. Früher eine Rebsorte, die manche Winzer als letzte gelesen haben, heute gar nicht so selten zentraler Bestandteil irgendwelcher Jung- und Jüngstweine, weingewordener Granny Smith.

So sind Gamay und Welschriesling nicht, wobei der Rudl über den Welschriesling schon deutlich mehr geschrieben hat als über Gamay, darum …

Gamay

ist eine natürlich Kreuzung aus Pinot Noir und Heunisch. What else? Man könnte Gamay als Kind des Gemischten Satzes betrachten. Über Jahrhunderte sind Pinot Noir und Heunisch in der Champagne und in Burgund im Gemischten Satz nebeneinander gestanden, irgendwann vermutlich sehr eng nebeneinander und dann war auf einmal Gamay da.

Angebaut wird dieser auf gut 30.000 Hektar Rebfläche vor allem in Frankreich, deutlich mehr als die Hälfte davon steht im Beaujolais. Vorkommen tut er auch in der Schweiz und im Aosta-Tal, ziemlich sicher auch in der sogenannten neuen Welt. Zu den Weinen, die in China nachgebaut werden, zählen Weine aus der Rebsorte Gamay eher selten, wobei das wieder nicht bedeutet, dass Gamay nicht berühmt werden kann. Der unbestrittene Ahnherr des Naturweins und der Vinifizierung ohne Schwefelzusatz, der Lyoner Professor für Chemie, Jules Chauvet, war ein Gamay-Winzer aus La Chapelle im Beaujolais, reinsortig.

In Burgund haben zuerst Benediktiner und Zisterzienser sehr viel mit Gamay herumgetüftelt und sondiert, wo er die besten Resultate erbringt. Von einem Dorf an der Côte d‘Or hat die Rebsorte auch ihren Namen. Trotzdem hat Philipp der Kühne dann im 14. Jahrhundert die Konkurrenz, die von Gamay gegenüber dem heiklen Pinot Noir ausgegangen ist, erkannt und Gamay als ungesunde und „unehrenhafte“ Traube aus den Weingärten dieser Gegend verbannt. Dieser wiederum hat sich davon nicht sonderlich beirren lassen und ist in die südlicher gelegenen Granit-Terroirs des Beaujolais ausgewichen, was sich nicht als das allerschlechteste Pflaster für diese Rebsorte erweisen sollte.

  • Gamay 2018, Dupasquier, Aimavigne, AOP Vin de Savoie (3/5)

    Kalk aus dem Kimmeridge & die alte Schule der Vinifizierung

  • Morgon „Vieilles Vignes“ 2020, Jean-Paul und Charly Thévenet, AOP Beaujolais (6/9)

    Etwas mehr als einen Hektar Morgon bewirtschaftet der alte Thévenet mit seinem Sohn. Der befindet sich im Norden des Weinbaugebiets und zeichnet sich durch Granit aus.

    Jean-Paul Thévenet wiederum war einer der Hawara von Marcel Lapierre. Die „Bande“, wie sich sich selber nannte, rührte in den Achtziger Jahren ordentlich um. In Zusammenarbeit dem dem erwähnten Chemiker Jules Chauvet zeigte sie der Welt erstens, dass es auch ohne Schwefelzusatz geht und zweitens, dass weder Uhu noch Essig dann das Resultat sein muss. Bis zu Pierre Overnoy in das Jura hat sich das herumgesprochen.

  • Vieilles Vignes Tigerno 2019, Clos Luern, IGP Puy-de-Dome, Auvergne (6/9)

    1200 Flascherl gibt es von diesem Wein der Micro-Domaine aus der Auvergne. Präziser und terroirspezifischer Wein unter Einsatz moderner technischer Mittel, aber unfiltriert und ohne Schwefel oder Schönungsmittel aus dem Chemiekasten. Hundert Jahre alte Reben von Gamay d‘Auvergne – Weinbäuerinnen und Weinbauern aus der Auvergne freuen sich nicht besonders, wenn man diese Spielart mit dem Gamay aus dem Beaujolais verwechselt. Vulkanboden, acht Monate in 160 Liter-Tonamphoren ausgebaut – ein Wein, von dem der Rudl nicht alle Achteln, die das Flascherl enthält, ausschenken wird.

  • Argile Rouge 2018, Domaine des Ardoisières, Saint Pierre de Soucy, IGP Vin des Allobroges (6/9)

    65 % Gamay, 24 % Mondeuse Noire und 10 % Persan auf Schiefer-Mergel-Boden – Diesen Wein hat der Rudl jetzt schon ein Zeitl nicht mehr kredenzt. Er könnte schön langsam ziemlich gut sein.

  • Welschriesling Am Spitz 2018, Rudolf Klein, Hölle, Neusiedlersee (3/5)

  • Welschriesling vom Opok 2017, Maria und Sepp Muster, Schlossberg (4/6)

  • Welschriesling vom Opok 2020, Sternat-Lenz, Remschnigg, Südsteiermark (4/6)

  • Adaxl Welsch 2019, Alfred und Helga Weber, Deutsch-Schützen (4,50/7)

und von drei orangen Weinen der letzten Woche (Erde, Gräfin, Marius & Simon) ist am Montag zumindest um 17 Uhr auch noch etwas da.

Montag, 14. November von 17 bis 21 Uhr

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22.

Am Rudl seiner Meinung, dass der 27. Jänner, der Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz, endlich zu einem europäischen Feiertag erklärt werden muss, hat sich selbstverständlich nichts geändert.

Ungeduldig grüßt der Rudl grüßt, die Geduldigen und auch die Ungeduldigen!

Dienstag, 8. November von 17 bis 21 Uhr: Orange …

ist eine schöne Stadt. Woher sie ihren Namen hat? … könnte man etwas frei nach Karl Valentin reimen. Der Rest der genialen Ode auf die Hauptstadt Frankreichs passt dann nicht dazu. Aber der Herr Kurt hat sie in einem Meisterwerk der Filmgeschichte rezitiert.

Orange, im Département Vaucluse, geht auf die römische Stadt Arausio zurück. Ein paar linguistischen Phänomenen wie der partiellen, regressiven (auch antizipatorischen) Fernassimilation ist eine zunehmende Homophonie zur beliebten Zitrusfrucht zu verdanken. Diese ist in Orange zwar nicht heimisch, hat es aber in dreifacher Ausführung in das Stadtwappen geschafft. Soviel zu Namen.

Die Stadt selbst ist dem Rudl nicht sympathisch. Seit 1996 wird sie von einem Bürgermeister des Front National regiert und von dieser Partei deswegen gerne als Modell hingestellt. Oenologisch ist es definitiv nicht dem Rudl Terrain, aber das ist eine andere Geschichte, die man der Stadt wahrscheinlich nicht vorwerfen kann, nicht einmal der Rudl. Auf alle Fälle muss Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, Caviste Rudolf Polifka leider enttäuschen, wenn Sie jetzt Châteauneuf-du-Pape, Ventoux, Rasteau, Gigondas, Cairanne oder Séguret erwarten.

Der Rudl schätzt Assoziationen überaus. Darum kommt er von der Stadt über die Frucht auf die Weinfarbe.

Als sicher kann jedenfalls angenommen werden, dass Orangen nichts für die unsympathischen Seiten der Stadt Orange können. Die Saison der Orangen hebt übrigens jetzt dann bald an. Das weiß der Rudl schon länger. Aber so richtig gesickert ist ihm diese Erkenntnis erst, seit ihn der Herr Anton dankenswerterweise auf das großartige Geschäft von Nino Crupi in der Kleinen Margaretenstraße aufmerksam gemacht hat. Dort gibt es nämlich die sizilianischen Orangen dann, wenn und solange sie reif sind. Davor und danach können Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, im Supermarkt Ihres missbrauchten Vertrauens Orangen kaufen und genauso schmecken die dann auch, sicher pur nach allem Möglichen, aber ganz sicher nicht nach der Natur.

Das Reife der Orangen am Ätna nimmt der Rudl traditionellerweise zum Anlass – sofern nicht gerade Sperrstund‘ is – maischevergorene, sogenannte Orangeweine zu kredenzen.

  • Marius & Simone 2020, Domaine Giachino, Chapareillan, Vin de France (4,50/7)

    Leicht im Alkohol, trotzdem nicht unreif geerntet und absolut sauber. Wenn die Giachinos so etwas wie ein oenologisches Credo haben, dann haben sie zwei: Völliger Verzicht auf den synthetischen Chemiekasten und ein kompromissloses Reinheitsgebot die Abwesenheit von Fehltönen im Wein betreffend. Die Problematik des Chemiekastens kennt Frédéric Giachinos Bruder David von seiner früheren Tätigkeit als Angestellter in einem Oenologie-Labor recht gut. Eine besondere Hochblüte erlebte die Oenologie aus dem Reagenzglas in Savoyen zur und vor der Zeit der Olympischen Winterspiele von Albertville im Jahr 1992. Seither ist der savoyardische Weinbau in der Krise, so die Diagnose von Fréd. Ein paar Jahre länger ist es her, dass der unermüdlich von der Qualität der autochthonen Rebsorten überzeugte Pionier Michel Grisard ganz andere Wege gegangen ist. Und wie für das Gros der heute fast schon unheimlich wachsenden Bioweinszene in Savoyen ist Michel Grisard auch für die Giachinos ein Modell geblieben. Die Wertschätzung zwischen diesen beiden Weinbauern ist übrigens wechselseitig. Darum war der emeritierte Michel Grisard froh, als Clément Giachino, der Sohn von Fréd, 2015 seine steilen Weingärten in Arbin, Cruet und Fréterive übernommen hat.

    Eine fast kristalline Sauberkeit und Präzision in ihren Weinen ist den Giachinos vielleicht gerade auch deshalb ein solches Anliegen, weil sie das destruktive Potential des oenologischen Zauberkastens so gut kennen und wissen, dass dieser Ursache des Problems und nicht Teil seiner Lösung ist.

  • Kåarriegel Weiß 2015, Sankt Andrä/Höch, Sausal, Schiefer (4,50/7)

    Welschriesling klassisch und Grauburgunder auf der Maische vergoren, von Reben eines anderen Weinbaupioniers, Franz Hirschmugl

  • Vitovska 2018, Branko und Vasja Čotar, Komen, Kras, Slowenien (6/9)

    Ein Lehrveranstaltungsthema über maischevergorene Weine aus Weißweintrauben ohne ein entsprechendes Exemplar vom Karst wäre wie eine Boulevard-Titelseite ohne „So …-Schlagzeile“.

  • Organic Anarchy 2013, Aci Urbajs, Rifnik, Šentjur, Slowenien (6/9)
  • Gräfin 2017, Maria und Sepp Muster, Schlossberg, Opok (6/9)
  • Erde 2017, Maria und Sepp Muster, Schlossberg, Opok (7/11)

    Möglicherweise die beiden ersten Orange-Weine, die der Rudl in seinem Sortiment gehabt und schon längere Zeit nicht mehr „au verre“ kredenzt hat.

  • Sauvignon 2006, Branko und Vasija Čotar, Komen, Kras, Slowenien (6,50/10)

    Viele Flaschen werden Sie vom Sauvignon von Branko Čotar momentan nicht kaufen können, weil der Weinmeister den entsprechenden Weingarten ausgehackt hat. Andererseits hat der Rudl vernommen, dass Monsieur Branko einen neuen gepflanzt hat. Vielversprechende Aussichten.

Bis es soweit ist, kredenzt Caviste Rudolf die oben erwähnten Weine glasweise

am Dienstag, den 8. November von 17 bis 21 Uhr

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22.

Außerdem können Sie zugunsten des Integrationshauses Weine ersteigern und im analogen Fall auch glasweise trinken oder gleich beides zusammen

am Donnerstag, den 10. November ab 19 30 Uhr (Einlass: 18 Uhr)

im Alten Rathaus in der Wipplinger Straße 8

https://www.integrationshaus.at/de/eventarchiv/26-weinversteigerung-zugunsten-des-integrationshauses-kopie

Cycling Caviste Rudolf Polifka bleibt selbstverständlich der Meinung, dass der 27. Jänner, der Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz, endlich zu einem europäischen Feiertag zu erklären ist.

Der Rudl grüßt das Integrationshaus und alle Menschen, die guten Willens sind!

Schicken Sie ein entsprechendes E-Mail, wenn Sie keine Nachrichten der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils bekommen möchten.

Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien