Eine akzeptable Art, Ihnen, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, ein gutes neues Jahr zu wünschen, beginnt ziemlich sicher anders. Aber an Authentizität lassen die folgenden Zeilen nicht viel zu wünschen übrig.
Der Rudl ist angefressen und zwar in einem ganz beträchtlichen Ausmaß, nicht auf das Corona-Virus, nicht auf die Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung desselben und auch nicht auf Wissenschaftlerinnen und Politiker, die diese Maßnahmen entwickeln, beschließen und mehr oder weniger glücklich präsentieren.
Neoliberalistische und rechtsradikale Missverständnisse
Der Rudl ist vielmehr angefressen auf den Zeitgeist, der so tut, als gäbe es ein Grundrecht auf ein von Unannehmlichkeiten befreites Leben. Das gibt es nicht. Und auch keines, für alles und jedes einen Sündenbock verantwortlich machen zu dürfen, gerade so wenig wie es ein Grundrecht auf schönes Wetter gibt.
Eine Grundverantwortung aller Menschen, alles erdenklich Mögliche zum Schutz eines lebenskompatiblen Klimas für alle Menschen, egal wo sie leben, zu unternehmen, die gibt es hingegen schon. Und so eine Rettung vor einer Klimakatastrophe wird möglicherweise Kollateralunannehmlichkeiten, gegen die jene der Coronavirusausbreitungseindämmung ein Lercherl sind, mit sich bringen. Selbst ein auf alternativen Fakten basierender Verzicht auf so einen globalen Klimaschutz würde Unannehmlichkeiten mit sich bringen, ziemlich sicher ziemliche ungute sogar. Soweit dem Rudl seine mittel- bis langfristige Perspektive …
Freiwilligkeit
Kurzfristig findet der Rudl die Fetischisierung der Freiwilligkeit nicht und nicht nachvollziehbar. Hätte Maria Theresia in diesem Modus ihres Amtes gewalten, gäbe es heute keine allgemeine Unterrichtspflicht, eine Analphabetismusrate von über fünfzig Prozent.
Welche Grundrechte verletzt werden sollen, wenn man sich vorsichtig ein Wattestaberl in die Nase stecken lässt, hat sich dem Rudl bis jetzt nicht erschlossen. Und wenn man es schon partout nicht will, hat man ja immer noch die Möglichkeit, zuhause zu bleiben. Genauso wie dieser Hotelier seine Hütte ja auch zugesperrt lassen kann, ohne andere Gastronomiebetriebe quasi in Geiselhaft zu nehmen, nur weil es ihm unangenehm ist, von seinen Gästen ein entsprechendes Testergebnis zu verlangen.
Der Rudl hätte liebend gerne selber kontrolliert und verantwortet, dass ausschließlich Gäste mit einem halbwegs aktuellen negativen Testbescheid beim Türl herein kommen und er hätte alle, die er erst gar nicht auf so einen Zettel anreden muss, weil sie diesen sowieso von sich aus herzeigen, auf ein Achtel oder ein Bier auf Haus eingeladen. Und wenn sich der Rudl nicht kolossal täuscht, dann wären das ziemlich viele bis alle gewesen.
Der Konjunktiv II und die schlafenden Nachwächter
Der Rudl hätte sich auch nicht gedacht, dass es Menschen gibt, die eine generelle Fortsetzung der Sperrstunden vorziehen, nur weil das Testen aufwendig, nicht hundertprozentig sicher und die Verantwortung zu kontrollieren vielleicht unangenehm sind. Er war sicher, spätestens am 19. Jänner aufsperren zu dürfen, hatte sich schon ein Weinthema inklusive der dafür erforderlichen Weine ausgedacht und auch Bier gekauft gehabt, nach einer Anstellzeit, wie er sie beim Rampenverkauf des Bräustübls zu Salzburg-Mülln noch nie erlebt hat.
Hätte, wäre und würde.
Offensichtlich gibt es jetzt Veranstalter, die lieber gleich ganz zugesperrt lassen, als Verantwortung zu übernehmen. In guten Zeiten sich kategorisch jeden Einfluss des Staates mit dem Hinweis auf die so hohe Verantwortung der Entrepreneurinnen und Entrepreneure zu verbitten, aber wenn dann die Verantwortung einmal gefragt ist, taub, blind und stumm wie ein schlafender Nachtwächter sein … Unfassbar!
Rad fahren und oenologische Studien
Darum bleibt dem Rudl nichts anderes, als mit dem Radl weinzustellend durch die Stadt zu fahren und an den Abenden möglichst genau die jüngst eingetroffenen Weine von der Domaine Arretxea, der Domaine Ilarria, der Domaine des Ardoisières und von Gilles Berlioz zu erforschen.
Das eine ist, sieht man von den Stickoxyden in den Wiener Straßen ab, ziemlich gesund, das andere schmeckt dafür umso besser.
Caviste Rudolf freut sich, dass er die Zuteilungen von diesen vier Weinbauern bekommen hat. Er führt diesen Umstand auch auf die momentan vermutlich nicht ganz so stürmische Nachfrage der französischen Gastronomie zurück. Aber es frustriert ihn, dass diese Errungenschaften nicht ans Licht der Öffentlichkeit dürfen. Es frustriert ihn kaufmännisch, aber auch psychisch.
Empfehlungen
In Anbetracht der Ausnahmesituation und auch der Tatsache, dass er jetzt wirklich intensiv vergleichende Weinwissenschaften studiert, setzt sich Schulmeister und Caviste Rudolf über einen zentralen Grundsatz, dass nämlich weder in Glaubens- noch in Trinkfragen jemand eine Empfehlung notwendig hat, hinweg und erlaubt sich, im Folgenden ein paar Resultate seiner recenten Forschungsarbeiten mit Ihnen zu teilen:
Hégoxuri 2019 (Domaine Arretxea) – Irouléguy Blanc 2018 (Domaine Ilarria)
Hégoxuri ist und bleibt gemeinsam mit seinen geologisch homogenen Brüdern der Lieblingswein vom Rudl. Aber er ist im Alter von einem Jahr nicht gerade das, was man als extrovertiert bezeichnet. Da sind Irouléguy Blanc 2018 sowie Irouléguy Rosé 2019 von Arretxea und auch jener von Ilarria deutlich mitteilsamer, aber ziemlich sicher nicht so ausdauernd wie Hégoxuri 2019.
Les Filles und Les Christines 2019, Gilles Berlioz
Weine aus Savoyen gehören trotz der katholischen Prägung dieser Region nicht zu den barocksten Gewächsen der Weinwelt. Aber wenn Sie es gerne etwas kraftvoller haben, rät Ihnen der Rudl, einen Abstecher nach Chignin zu machen. Dort wächst viel Rousanne. Die wird im Cru Chignin-Bergeron weit nicht so üppig und vor allem holzintensiv ausgebaut wie ein Stückl weiter westlich an der nördlichen Rhône in Hermitage oder Saint Joseph, aber doch mächtiger als man es von Jacquère oder Altesse gewöhnt ist.
Les Filles sauvignonnent dezent, wenn Sie das den Rudl so ausdrücken lassen. Les Christines sind wuchtig und steinig zugleich, brauchen aber sicher noch Zeit.
Schiste 2018 und Quartz 2018 (Domaine des Ardoisières)
Quartz von der Domaine des Ardoisières wird in wenigen Jahren zu den gefragtesten Weißweinen Frankreichs zählen. Aber er ist teuer, nicht erst in ein paar Jahren. Schiste heißt ein anderer Wein von diesem Weingut, auch nicht direkt billig, aber lange nicht so teuer wie Quartz. Er wächst mehr oder weniger auf denselben steilen Terrassen über Cevins, dort wo die Isère noch ziemlich dünn ist. Anders als Quartz, der reinsortig aus Altesse besteht, treffen sich im Schiste Jacquère, Mondeuse Blanche, Pinot Gris und Roussanne.
Wie es zur Gründung dieses Weingutes quasi ex nihilo kam, hat der Rudl hier schon erzählt. Es begeistert ihn selber so sehr, dass er es nicht lassen kann, einen Teil dieser Geschichte hier wiederzugeben:
An manchen Hängen über den Dächern des kleinen Ortes Cevins im Departement Savoie ist immer schon Wein gewachsen. „Immer schon„ ist vielleicht etwas überzogen, aber von einer gut zweitausendjährigen Geschichte geht man aus. Gesichert ist die Existenz dieser Weinberge seit dem zehnten Jahrhundert. Dass ihn die Mönche von Tamié im zwölften Jahrhundert bewirtschaftet haben, wird nicht auf puren Zufall zurückzuführen sein. In etlichen Klöstern hat man ein ziemlich präzises Wissen über die Beschaffenheit verschiedener Terroirs gehütet.
Als im April 1997 der zu dieser Zeit nicht mehr belächelte Weinbauer Michel Grisard sich mit dem Bürgermeister von Cevins getroffen hat, war vom Weinberg nichts mehr zu sehen. Der Wald hatte sich in der Zwischenzeit seiner Bestimmung besonnen und den ehemaligen Weinberg mit auch schon wieder bis zu dreißig Jahre alten Bäumen überzogen. Ein halbes Dutzend Weinbauern haben einen Monat später mit Rodungsarbeiten und schon parallel dazu mit dem Aussetzen von Altesse-Rebstöcken begonnen. Und ein ganz junger an der Landwirtschaft interessierter Bursche aus der Champagne – er wollte eigentlich Getreide anbauen und Bier brauen – war mit von der Partie, Brice Omont. Er hat gespürt, dass dieses Terroir „très particulier“ ist. „Il ne fallait pas calculer mais se passionier„ ist sein Resumé über diese Zeit. Heute führt er die Domaine des Ardoisières.
An dieser Stelle noch einmal der Link zum Film:
http://www.domaine-des-ardoisieres.fr/film
Zurück zu Quartz und Schiste 2018
Der Rudl fährt seit mehr als zehn Jahren regelmäßig zu diesem Weingut. Aber er trinkt diese Weine auch nicht jeden Tag. Darum hat er sich am Heiligen Abend jeweils eine Flasche Schiste und eine Quartz 2018 aufgemacht und diese über drei Tage immer wieder blind vergleichend Studien unterzogen. Harte Feiertagsarbeit ist das gewesen. Das können Sie dem Rudl glauben. Geschmeckt haben ihm beide Weine extraordinairement gut, was ihn nicht überrascht hat. Quartz war am ersten und zweiten Tag noch ziemlich verschlossen. Da hat Schiste deutlich mehr hergegeben. Am ersten Tag ist dem Rudl vorgekommen, dass man dem Quartz auch die sechs Monate, die er länger in den Fässern gelegen war, angemerkt hat. Beim Schiste war seiner Wahrnehmung nach am dritten Tag dann die Roussanne deutlicher wahrnehmbar und der Quartz hat erste Hinweise auf sein Potential gegeben.
Als Fazit ergibt sich für den Rudl daraus, dass es nicht ratsam ist, sich einen Quartz zu kaufen und in den ersten fünf Jahren zu trinken. Da gibt der Schiste mehr her. Wenn Ihnen trotzdem nach einem nicht gereiften Quartz ist, rät Ihnen Caviste Rudolf, diesen unbedingt zu belüften, vielleicht sogar zu caraffieren, was sonst nicht so die Façon vom Rudl ist.
Wenn Sie aber fünf, zehn oder noch besser mehr Jahre Geduld mit dem Wein haben, dann gibt es ziemlich sicher nicht viele großartigere Weine als Quartz von der Domaine des Ardoisières.
Damit beendet Cycling Caviste Rudolf seine Empfehlungen auch schon wieder. Wann er wieder ausschenken wird, scheint zum gegebenen Zeitpunkt nicht seriös einschätzbar zu sein.
Der Rudl wünscht Ihnen ein gutes neues Jahr! Bleiben Sie gesund und munter!
Die Weinhanldung Rudolf Polifka et Fils ist bis auf Weiteres wieder geschlossen, aber Cycling Caviste Rudolf Polifka stellt Ihnen weiterhin auch gerne CO2-, kontakt- und zustellgebührfrei Wein mit dem Radl zu.
http://wein-polifka.at/sortiment-2/
Im Übrigen ist Rudolf Polifka der Meinung,
dass es definitiv Zeit für den Ausbruch des Menschen aus seiner selbstverschuldeten, neoliberalen Unmündigkeit ist
und man auch deshalb den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag erklären soll.
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