Die in Österreich mit Abstand am meisten verbreitete Rotweinrebsorte ist der Zweigelt. 1922 hat der Insektenforscher und Botaniker Friedrich Zweigelt Blaufränkisch und Sankt Laurent gekreuzt. Das Ergebnis war der Rotburger. 1975 hat man den dann posthum Blaue-Zweigelt-Rebe genannt, auf Betreiben eines Schülers von Friedrich Zweigelt, Lenz Moser. Neben dem Zweigelt gehen auch Blauburger und Goldburger auf das Rebenzüchterkonto von Zweigelt. Seine besondere Abneigung galt den Direktträgerweinen, dem Uhudler oder, wie er in der Steiermark genannt wird, dem „Heckenklescher“.
Motive
Jetzt gibt es Zeitgenossen, denen schmeckt der Zweigelt sehr gut und es gibt Zeitgenossen, denen schmeckt der Zweigelt nicht. Folgerichtig trinken die einen ihn und die anderen trinken ihn nicht. Manche finden im Zweigelt ein Übermaß an Gefälligkeit und einen Mangel an Gerbstoffen und Säure. Und dann gibt es noch Zeitgenossen, denen schmeckt der Zweigelt schon, aber der Genuss wird getrübt durch einen politischen Beigeschmack. Die Gründe dafür sind mittlerweile eh weitgehend bekannt. Damit sie Herrn Rudolf nicht falsch verstehen: Er ist erstens kein Richter und wünscht sich zweitens nichts viel mehr, als dass weder er noch sein Fils und auch sonst nie jemand beweisen muss, dass er oder sie sich im Fall der Fälle anders verhalten würde als viele Menschen in der NS-Zeit.
Trotzdem zwei Fragen
Muss man dreißig Jahre nach dem Ende des NS-Regimes unbedingt eine Rebsorte nach einem, der sich darin profiliert hat, benennen, zumal es ja alles andere als üblich zu sein scheint, dass eine Rebsorte so wie ihr Züchter heißt?
Und Herr Rudolf findet es auch schwierig, sich vorzustellen, dass einer ganz alleine eine Rebsorte züchtet. Vor seinem geistigen Auge sieht er da Mitarbeiter, Assistenten, Kollegen, vielleicht auch vifere Schüler. Vife Schüler wie Josef Bauer zum Beispiel.
Josef Bauer
Josef Bauer war erst zwei Jahre alt, als Friedrich Zweigelt Sankt Laurent und Blaufränkisch gekreuzt hat. Später hat Josef Bauer dann die Weinbauschule Klosterneuburg besucht. Da ist Friedrich Zweigelt dort schon Direktor gewesen. Josef Bauer ist in Kontakt zur katholischen Widerstandsgruppe rund um den Klosterneuburger Augustiner Chorherrn Roman Scholz gestanden und hat versucht, die Hitler-Eiche in Klosterneuburg durch Pestizide von innen her zum Absterben zu bringen. Ehrendoktortitel sind schon für viel weniger Leistung, vor allem aber für viel weniger Mut und Witz verliehen worden.
Leider haben sie Josef Bauer und seine Kollegen erwischt. Einige Lehrer der Weinbauschule Klosterneuburg wollten Milde walten lassen. Aber die haben sich in der Klassenkonferenz am 28. August 1940 nicht durchgesetzt. Darum hat die Schule unter der Direktion von Friedrich Zweigelt ein Betretungsverbot für Josef Bauer verhängt. Josef Bauer sei als „Führer der klerikalen Bewegung in Klosterneuburg bekannt“ gewesen und habe „mitunter Schwierigkeiten während des weltanschaulichen Erziehungsunterrichts gemacht, (…) weshalb er eine schlechte Note in weltanschaulicher Erziehung erhalten habe, trotz gutem Prüfungsergebnisses (sic!)“ (Konferenzprotokoll vom 28. August 1940). Die weltanschauliche Erziehung dürfte die an der Konferenz teilnehmenden Lehrer auch mehr interessiert haben als die Unterschiede zwischen Dativ- und Genetivendung. Als der Vater Josef Bauers die Schule um die Ausstellung eines Sittenzeugnisses für seinen Sohn ersucht hat, um die Gestapo milde zu stimmen, wurde ihm das von der Schule verweigert. Josef Bauer hat dann fast drei Jahre Gestapo-Haft in Gefängnissen von Wien bis damals „München Gladbach“ erlitten. Dann wurde er eingezogen.
Alleingänge
Die Verweisung Josef Bauers ist nach dem Konferenzprotokoll kein Alleingang des Direktors Zweigelt gewesen, wobei der Direktor für Konferenzbeschlüsse verantwortlich ist. Aber ist die Züchtung einer Rebsorte als Alleingang vorstellbar?
Es scheint beliebt zu sein, gravierende historische Ereignisse auf Einzelpersonen zu reduzieren und sicher ist das auch einfach. Aber möglicherweise verschleiert es auch ganz schon viel und ist dem historischen Verständnis nicht unbedingt zuträglich.
Verwandtschaft
Noch etwas fällt dem Rudl in diesem Zusammenhang ein. Er hat zwei Großväter gehabt. Der eine war bei der NSDAP, nicht als Funktionär oder was, sondern als Mitglied, ab 1938. Er hat nachher keinen Hehl daraus gemacht, hat WdU gewählt und VdU gewählt. Leichter hat er es seiner Familie und sich selber dadurch nicht gemacht. Der Rudl hat ihn in sehr guter und vor allem in lustiger Erinnerung, als Opa. Für sein Wahlverhalten nach 1945 hat er deswegen aber kein Verständnis.
Der andere Großvater vom Rudl ist kein braunes Parteimitglied gewesen. Der hat in den späten Fünfziger Jahren in Salzburg Flugblätter verteilt. Auf diesen Flugblättern hat er davor gewarnt, einen gewissen Karl Springenschmid in Salzburg wieder öffentlich auftreten zu lassen.
Karl Springenschmid
Karl Springenschmid war ab 1932 Mitglied der NSDAP. Am 30. April 1938 hat er die Salzburger Bücherverbrennung organisiert, bei der er zu einer Säuberung von allem Klerikalen und Jüdischen aufgerufen hat. Vielleicht hat ihn das ab 1938 als Leiter des Salzburger Schulwesens qualifiziert. Sein „Lamprechtshausner Weihespiel“ sollte den „Jedermann“ ersetzen. 1946 sind seine Blut-und-Boden-Weisheiten dann gesperrt worden. Der Dichterfürst hat sich in den Bergen versteckt, falsche Papiere zugelegt und einer Verhaftung entzogen. Ab 1953 hat man ihn wieder frei publizieren und auftreten lassen. Und das ist dem Opa vom Rudl gegen den Strich gegangen. Darum hat er ein Flugblatt verfasst, in dem er an die Karriere von Karl Springenschmid von 1933 bis in die späten Fünfziger Jahre erinnert und davor gewarnt hat, „exponierten Nazibonzen vor aller Öffentlichkeit das Wort zu erteilen“. Dieses Flugblatt hat der Opa vom Rudl dann verteilt. Eingesperrt hat man darauf nicht Karl Springenschmid, sondern den Opa vom Rudl für eine Nacht. „Aus Versehen“, angeblich.
Die sichs gerichtet haben und die kollektive Demenz
Flexible Menschen wie Springenschmid hat es viele gegeben. Zuerst übereifrig, dann konformistisch, später flexibel, dement und selbstredend unpolitisch. Im Fall der Fälle verhandlungsunfähig.
Helmut Qualtinger hat ihnen auf alle Fälle ein literarischen Denkmal gesetzt und ist damals dafür ziemlich angefeindet worden. Von diesen Zeitgenossen, die sich nachher fast chronisch nicht daran erinnern können, worin ihre Leistung bestanden hat, die sich vorher für ebendiese Leistung aber gut bezahlen und auszeichnen haben lassen. Man kennt das, vor allem von den selbsternannten Aufrechten und Anständigen.
Und dass es solche Leute heute nicht mehr geben würde, hat des Rudls Wissens noch keiner schlüssig nachgewiesen. Den Bildungsexperten und den Verfassern von Lehrplänen (abgesehen vielleicht von Religion) dürfte dieser Umstand aber keine schlaflosen Nächte bereiten.
Geburtstagsgrüße und ein später Ehrendoktor
Als Zeichen des Respekts und als Geburtstagsgruß an Josef Bauer, der am 2. März seinen 96. Geburtstag hat, öffnet Historoenologe Rudolf Polifka diese Woche eine ganze Reihe von Flaschen, auf den „Zweigelt“ steht. Er nennt diese Weine aber ab jetzt nicht mehr so. Und dabei fällt ihm auf, dass auffällig viele Josefs die außergewöhnlichsten Weine aus dieser Rebsorte machen. Vielleicht sollte man dem irgendwie Rechnung tragen.
Diese Woche in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils glasweise die folgenden gelungenen Weine mit der misslungenen Rebsortenbezeichnung
Josef Umathum, Hallebühl 2011, Neusiedlersee
Josef Lentsch, 2012, Neusiedlersee
Maria und Sepp Muster, 2012, Steirerland
Maria und Sepp Muster, Graf 2011, Steierland
Leo Uibel, Classic 2013, Weinviertel
Paul Unger, Spätlese 1993, Mittelburgenland
und dem ehemaligen Direktor der Weinbauschule Klosterneuburg zu Fleiß einen
Johudler Frizzante von Uwe Schiefer
…wie immer nicht ausschließlich.
Donnerstag, den 3. März und am Freitag, den 4. März
von 16 bis 22 Uhr
Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Herr Rudolf grüßt die Unflexiblen wie Josef Bauer und verleiht diesem den Ehrendoktortitel der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils!