Tannastschaltjahre. Eine kleine Vertikale Haitza, Domaine Arretxea 1996, 2004, 2008 und 2012

Aufeinander angewiesen

 

Es gibt Dinge, die kann man nicht aufhalten. Es gibt auch Dinge, die will man gar nicht aufhalten. Auf den Frühling trifft momentan beides zu, zumindest was den Rudl betrifft. Der schätzt den Winter über alle Maßen. Er schätzt es auch, dass der Winter irgendwann an die Vegetation übergibt. Geht es nach dem Rudl, dann sind Winter und Frühling aufeinander angewiesen wie seinerzeit Stan Laurel auf Oliver Hardy angewiesen war, oder Karl Valentin auf Liesl Karlstadt. Das Konzept des Aufeinanderangewiesenseins scheint heute etwas unzeitgemäß geworden zu sein. An manchen Fußballprofis kann man das beobachten. Und was David Beckham oder Christiano Ronaldo machen, das probiert manchmal auch der Frühling. Der lässt dann den Winter sozusagen einen guten Mann sein und tritt seinen Dienst bereits Mitte Dezember an. Aber das Erwachen der Vegetation macht in den Augen vom Rudl halt nur dann etwas her, wenn sie vorher einmal eine Zeit lang weg, es ordentlich kalt und dunkel gewesen ist, gerade so wie sich dem Rudl seine Lust auf einen sesselklebenden Winter, der auch im März keine Anstalten macht, sich zu verabschieden, in Grenzen halten würde. Heuer scheinen Winter und Frühling ihre Dienstanweisungen gelesen zu haben, ein Winter, der zumindest temperaturmäßig diesen Terminus verdient und damit einen Frühling, den man als solchen wahrnehmen kann, ermöglicht hat.

 

Quod erat demonstrandum, am Beispiel von Herrn Rudolfs Altesse Rebstöcken

 

Dem Rudl seine Altesse Rebstöcke treiben gerade aus. Nach einem Winter, der zur Befürchtung Anlass gegeben hat, dass die abgefroren sind, ist das noch viel schöner. Aber die scheinen ob ihrer Provenienz wirklich ziemlich frostresistent zu sein, selbst dann, wenn sie in Blumentöpfe eingesperrt auf einem Balkon am Rande der pannonischen Tiefebene überwintern.

 

Tannin

 

Gerbstofftechnisch ist der Übergang von Winter auf Frühling eine Zeit, in der die eine oder der andere von Rotwein auf Weißwein umsteigt. Das kann mit der Trinktemperatur zu tun haben, das kann mit dem gerbstoffbedingten Pelz auf der Zunge zu tun haben. Das kann aber auch mit dem Körper zu tun haben. Vielleicht hat es ganz andere Gründe.

Auf alle Fälle möchte Caviste Rudolf, bevor sich der Winter vollends über die Häuser gehaut hat und die Temperaturen auch in der Nacht nicht in den einstelligen Celsiusbereich hinunter kraxeln, noch ein bissl Gerbstoffforschung durchführen.

 

Tannat

 

Wenn es eine Rebsortifizierung von Gerbstoff gibt, ist das Tannat. Der ist nach dem Tannin benannt. Wer reinsortigen Tannat getrunken hat, zweifelt daran keinen Augenblick. Tannat aus Madiran oder Irouléguy hat man früher eine zwanzigjährige Unzugänglichkeit nachgesagt. So lange haben sich die Tannine bitten lassen, es billiger zu geben. Das war eine andere Zeit und das waren andere Weine. Heute versuchen Cabernet Franc oder oder und Cabernet Sauvignon dem Tannat das Wilde ein bissl herunter zu räumen. Auf die Idee, einen Irouléguy Primeur oder einen Tannat Junker zu keltern, wird so schnell trotzdem niemand kommen.

 

Santé!

 

Etliches von dem, was Monsieur Rudolf da gerade über Tannat zum Besten gibt, hat er vor ziemlich genau einem Jahr unter dem Titel „Rote Basken“ zusammen geschrieben. Etwa, dass Tannat als gesündester Rotwein der Welt gilt. Dass es gesünder ist, Wein aufzuheben, als Wein zu trinken, das hat der Rudl in diesem Zusammenhang auch schon angemerkt. Ihm gefällt diese Überlegung auf alle Fälle. Und manchmal fragt er sich, was ihn massiver treffen würde: Wenn ihm jemand das Weintrinken untersagt, oder wenn ihm jemand das Weinsammeln untersagt? Medizinalräte nennen freilich andere Gründe für die positiven Auswirkungen von Tannat auf die Gesundheit. Kein anderer Wein entwickelt so einen Haufen an Procyanidin wie Tannat, viermal so viel wie jeder andere Rotwein, zumindest wenn er traditionell gekeltert wird und also drei bis vier Wochen auf der Maische steht – manchmal auch ungerebelt – und dann im alten Holz ausgebaut wird. Procyanidin beugt Herz- und Kreislauferkrankungen vor und fängt Radikale.

Heute versucht man die Typicität der Rebsorte zu erhalten, aber seine Trinkreife zu beschleunigen. Den besseren Weinbauern gelingt das. Deren Weine zeichnen sich durch reife Tannine und Brombeeraromen aus.

 

Wetter

 

Die paar Hügeln vor den Pyrenäen, auf die sich die Appellation Irouléguy erstreckt, erheben sich etwa über tausend Meter. Die Westhänge dieser Hügel sind meistens sehr grün, weil der Wind die Wolken vom dreißig Kilometer entfernten Atlantik herein trägt, es diesen dann aber bald einmal zu blöd wird. Darum gibt es in Irouléguy auch in heißen Jahren kaum Trockenstress. So heiß wie auf der anderen Seite im Roussillion wird es sowieso nicht. Dafür sorgt kühler Wind vom Atlantik. Und im Herbst, wenn es dann zählt, trocknet der warme Südföhn von den höheren Bergen herunter die Trauben und schützt sie vor den Schwammerln. Nicht die widrigsten Konditionen für Wein.

 

Boden

 

Yves Hérody, Geologe aus dem Jura, bezeichnet Irouléguy als Mosaik von über vierzig unterschiedlichen Böden. Es dominiert besonders eisenhaltiger Sandstein aus dem unteren Trias, etwa 230 000 000 Jahre alt, teilweise terrassiert.

 

Schafe, Trauben und Läuse

 

Weinbau ist in Irouléguy bis ins zwölfte Jahrhundert nachweisbar. Die Mönche von Roncevaux haben damals dort Wein angebaut. Seinerzeit ist in Roncevaux auch diese blöde Geschichte mit dem Roland passiert. Das können Sie beim Phaffen Chunrat im Rolandslied nachlesen. Die Franzosen wollten später dort keinen Wein. Die Basken schon. Und Bergbewohner können ziemlich stur sein. Das ist im Baskenland nicht anders als in den Alpen. Bis ins neunzehnte Jahrhundert ist die Rebläche auf 1700 Hektar angewachsen. Um ein Haar hätte die Reblaus dann geschafft, woran die Franzosen vorher gescheitert waren, dem Weinberg von Irouléguy nämlich den Garaus gemacht. Jetzt wächst er wieder und hält bei 220 Hektar, größtenteils Terrassenlagen. Für die Appellation zugelassen wären viel mehr. Aber wo vielleicht Weingärten stehen sollten, rennen oft Schafe herum. Dass es sich selbst bei Schafen und Weintrauben nicht um eine Unvereinbarkeit handeln muss, zeigt der Weingarten von Thérèse und Michel Riouspeyrous. Dort bearbeiten und bereichern Schafe nach der Lese die Böden.

Früher sollen Bergbewohner mit robusten Kehlen das Zielpublikum der harten und säureintensiven Weine aus Irouléguy gewesen sein. Ab den Achtziger Jahren hat man dann begonnen, Reben zu selectionnieren und auf die einzelnen Terroirs abzustimmen, tendenziell mit eher fruchtigen Weinen auf Sandstein, weicheren auf Kalk und körperreicheren auf den Ton-Dolomit-Ophit-Verwitterungsböden. 1970 wurde Irouléguy der Status einer Appellation zuerkannt. Die Genossenschaft ist heute eine der renommiertesten Frankreichs und das, obwohl die Zahl der Winzer, die selber vinifizieren, Jahr für Jahr steigt. 2000 waren es fünf, heute sind es mindestens neun. Die Autoren der N° 4 von Les Feuilles du Pin á Crochet haben das vor über zehn Jahren gewusst. Sie beschreiben Irouléguy 2003 als „vignoble en pleine expansion“, „qui va sûrement progresser dans les décennies à venir“, ein aufstrebendes Weinbaugebiet, das in den kommenden Jahrzehnten von sich reden machen wird.

 

Domaine Arretxea

 

Thérèse und Michel Riouspeyrous haben etwas mit auffällig vielen Weinbauern, deren Weine Herr Rudolf verkaufen darf, gemeinsam. Ihre Vorfahren haben ein Weingut bewirtschaftet. Sie selber waren dann ein Zeitl weg. Dann sind sie wieder zurückgekommen und haben auch Wein gemacht. Zum Glück.

Riouspeyrous haben zu Beginn der Neunziger Jahre mit einem Schieferterroir begonnen, 2004 ist dann ein Weingarten auf Sandstein dazu gekommen. Und seit 2007 vinifizieren sie auch die Trauben von Pantxo Indart aus dessen biodynamisch bewirtschafteter Parzelle auf magmatischem Ophite.

Die acht Hektar von Thérèse und Michel Riouspeyrous sind südlich ausgerichtet und ziemlich steil, teilweise terrassiert.

 

Haitza 2012, Domaine Arretxea, AOS Irouléguy, Sud Ouest

 

Siebzig Percent Tannat, dreißig Cabernet Sauvignon. Ausbau teilweise in Manhartsberger Eiche von Stockinger, einem Fassbinger, auf den der Rudl in Frankreich immer wieder angesprochen wird. Vor allem zu allem, was auf dem Wasser schwimmt oder über das Wasser fliegt. Schwammerl tun weder das eine noch das andere, passen aber trotzdem ganz gut zum Haitza.

Geregnet hat es 2012 genug, vor allem im April, im Juni und im Juli. Weniger in Reindorf, da kann sich der Rudl noch gut erinnern, weil er da den Verputz in seiner angehenden Weinhandlung herunter geschlagen, in Bauschuttsäcken mit dem Auto zum Mistplatz gebracht und dann die Wände mit einem Drahtbürstel abgerieben hat, bei karibischen Temperaturen. Braucht unbedingt Luft, der Haitza.

 

Haitza 2008, Domaine Arretxea, AOC Irouléguy, Sud Ouest

 

2008 war auch Süd-Westen entsetzlich nass. Man muss bis ins Einundneunziger Jahr zurückgehen, damit man ein Jahr findet, in dem sich noch weniger Weintrauben der unheiligen Schimmeldreifaltigkeit, Oïdium, Meltau und Graufäule entziehen können haben. Ungewöhnlich heiße Phasen im Frühling, Hagel und Frost komplettieren die Vorgabe von einem Jahrgang. Der Rudl kann sich trotzdem an keinen schlechten Zweitausendachter aus dem Süd-Westen erinnern. Und das können Sie, geneigte Oenologin, gewogner Oenologe, ihm gerne so oder so auslegen. Monsieur Rudolf mag den Jahrgang.

 

Haitza 2004, Domaine Arretxea, AOC Irouléguy, Sud Ouest

 

Nach einigen Sommern, in denen das Wetter sehr bis ganz gewaltig von der Rolle war, dürfte es 2004 wieder halbwegs zur Besinnung gekommen sein, wobei den Weingärten der Schock des vorangegangenen Jahres noch in den Stöcken zu sitzen schien. Auch im Süd-Westen. Nur dass dort der Affenhitze ein Winter des anderen Extrems folgte. Minus sieben Grad sind in Bergerac nichts Allwinterliches. Aber ein niederschlagsreicher Winter und ein ebensolcher Frühling haben eine solide Basis für einen warmen Sommer ohne Trockenstress gelegt.

 

Haitza 1996, Domaine Arretxea, AOC Irouléguy, Sud Ouest

 

Caviste Rudolf hat das eine oder andere Weinbüchl und er hat auch einen Zugang zum Internet. Auskünfte über den Weinjahrgang 1996 in Irouléguy oder wenigstens ganz allgemein im Süd-Westen Frankreichs hat er nicht geschafft aufzustellen. In Bordeaux gilt der Sechsundneunziger als exzellenter Jahrgang. Und das ist nicht so weit weg von Irouléguy.

Abgesehen vom Wein war es eines der übelsten Jahre, die der Rudl kennt. Er hat in diesem Jahr zwar seine Ausbildung formal abgeschlossen. Aber bereits die widerwillig absolvierte Teilnahme an der Sponsionszeremonie hat mehr als nur zur Befürchtung Anlass gegeben, dass der akademische Eid entweder vorsätzlich zu Unrecht affirmativ quittiert oder einfach nicht verstanden worden ist. Wenige Tage vorher war Sir Paul Gascoigne in der Golden-Goal-Nachspielzeit des EM-Semifinales England v Deutschland einen Meter vor dem leeren Tor um sicher nicht mehr als zehn Zentimenter am Ball vorbei gerutscht und in der Folge Deutschland Fußballeuropameister geworden.

 

Die folgenden vier Weine …

 

Haitza 2012, Domaine Arretxea, AOS Irouléguy, Sud Ouest (5/8)

Haitza 2008, Domaine Arretxea, AOC Irouléguy, Sud Ouest (6,50/10)

Haitza 2004, Domaine Arretxea, AOC Irouléguy, Sud Ouest (6,50/10)

Haitza 1996, Domaine Arretxea, AOC Irouléguy, Sud Ouest (8/12)

(in Klammern die Preise für das Sechzehntel und das Achtel)

 

, selbstverständlich nicht ausschließlich diese vier Weine gibt es glasweise

 

am Mittwoch, den 22. März und am Freitag, den 24. März

jeweils von 16 bis 22 Uhr

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22

 

Im Übrigen ist Rudolf Polifka der Meinung, dass man den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag erklären sollte!

Herr Rudolf grüßt heuer ganz besonders den Frühling und die Knospen seiner Altesse-Reben!

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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien

Öffnungszeiten: Mittwoch und Freitag, 16 bis 22 Uhr, an Schultagen

kostenlose und CO2-minimierte Zustellung innerhalb von Wien ab einem Bestellwert von 57 Euro