Manchmal fragt sich der Rudl, warum ihm zu den dings nicht mehr viel einfällt. Aber vielleicht ist das gar nicht so wichtig, weil die eh kommen und gehen wie die Tiefdruckwetterlagen, ob das jetzt der Schönste und Erfolgreichste, das Finanzgenie aus Bad Goisern, der Paintballathlet, sein Wahlplakatdichterfürst oder der Kreidemeister ist. Who’s next?
Das Fressen und die Moral – Kaufkraft ohne Herzensbildung ist für die Fisch.
Vielleicht ist es gscheiter, sich den Geistes-, Gemüts- und Herzenszuständen, in denen man sich von den vorher Genannten etwas erwartet, zuzuwenden. Dass die alle arbeitslos und hart schuftender Mittelstand mit Abstiegsangst sind, hält der Rudl für keine erschöpfende Erklärung mehr. Sozioernährungswissenschaftler Professor Polifka hat zuerst einen Verdacht gehabt: Er hat geglaubt, dass in manch sogenanntem Nahrungsmitteln irgendetwas drinnen sein muss, was jedem, der es zuführt, im Handumdrehen die Fähigkeit raubt, 1 und 1 korrekt zu addieren. Den Einwand, dass viele Menschen aufgrund niedriger Kaufkraft gezwungen sind, solche Industrienahrung in sich hineinzustopfen, lässt Herr Rudolf nur bedingt gelten. Es soll Zeitgenossen geben, denen zwei Euro für eine Tafel Bioschokolade aus fairem Handel viel zu viel sind. Wenn es um das neue i-phone-wasweißderrudl oder eine motorisierte Kraxn geht, scheint die Kaufkraft derselben Person dann fast grenzenlos.
Studien und abgebrochene Selbstversuche
Gar nicht so wenig Zeit hat Herr Rudolf damit verbracht, Zutatenlisten auf Nahrungsmittelverpackungen zu studieren, Produkte in ihre Bestandteile zu zerlegen und testhalber das eine oder andere auch Unappetitliche zu konsumieren. Irgendwann hat er dann begonnen, laufen zu gehen, weil ihm die Vorstellung, da etwas möglicherweise Hochtoxisches und obendrein Verblödendes zu sich zu nehmen, immer unheimlicher geworden ist. Sicherheitshalber so schnell wie möglich wieder hinaus schwitzen. Fehlanzeige. Dann hat er gemeint, dass in manchen Bieren irgendwas drinnen ist. Aber die Entwicklung des Bierkonsums ist in den letzten Jahren eher geringfügig rückläufig, zumindest in quantitativer Hinsicht. Und die politischen Entwicklungen in der Türkei wird man ziemlich sicher auch nicht irgendeinem Bier in die Schuhe schieben können.
Wehleidig und bequem
Als der Rudl schon drauf und dran war, seine Nahrungsmittelarbeitshypothese zu falsifizieren, ist zufällig wieder einmal das Lied „Das Wasser ghört zum Waschen“ von der Biermösl Blosn gelaufen. Ein großer Getränkekonzern hat seinerzeit mit den Brüdern Well einen amüsanten Briefwechsel geführt.
Rudolf Polifka hat sich dann auch an eine Meldung auf der Wissenschaftsseite der Salzburger Nachrichten erinnern, wonach Aluminium der Gesundheit gar nicht so zuträglich sein soll. Vielleicht ja auch der mentalen Gesundheit und der Herzensbildung. Den Moment ist es dem Rudl wie Schuppen von den Augen gefallen. Wie oft hat er in seiner Wohngegend im Süden von Wien oder auch am Floridsdorfer Spitz schon Äußerungen vernommen, bei denen es ihm die Zehennägel eingerollt hat. Und beim Aufschauen wurde er eines Zornbinkls gewahr: Getränkedose in der einen Hand hat, mobiles Endgerät von der Fläche eines Jausenbrettls oder Hundeleine mit überlangen Zahnreihen am anderen Ende in der anderen. Die scheint es über alle Ethnien, Geschlechter, Religionen, Getränkevorlieben, Alters-, sowie Einkommensschichten hinweg zu geben, wobei Männer zwischen zwanzig und vierzig Jahren überproportional betroffen zu sein scheinen.
Was tun?
Der erste Gedanke vom Rudl: Industriebier- und Energydrinkhersteller dürfen ihre Waren nur mehr in Glasflaschen feilbieten. Andernfalls haben die mathematischen Axiome bald ausgedient. Aber wie bringt man die Konzerne dazu? Allen Menschen, die Getränke aus Blechdosen konsumieren, das Wahlrecht entziehen? Irgendwie auch nicht ganz politisch korrekt. Ein Dosenpfand wie in Deutschland? Die Reaktionen der drei Wiener Qualitätsblätter darauf möchte sich der Rudl lieber nicht vorstellen.
Wie immer: im Kleinen beginnen
Jetzt muss der Rudl zugeben, dass kein Dosenbier auszuschenken, seines Erachtens zwar schwer in Ordnung ist, aber als Wochenthema für seine Weingaststätte doch ein bissl asketisch und überdies auch nicht neu wäre, selbst in einer kurzen Geschäftswoche wie dieser. Darum wird Herr Rudolf bis auf Weiteres für seinen Kaufmannsladen nicht nur kein Dosenbier, sondern auch nur mehr Bier von Brauereien beschaffen, die ihre Produkte überhaupt nicht in Aludosen abfüllen. Ab 9. Juni wird es sowieso wieder nur mehr das Bräustübl Bier aus Salzburg Mülln geben.
Jetzt aber wirklich zum Wein
Monsieur Rudolf führt diesen Freitag eine Forschung durch, auf die er sich schon lange gefreut hat. Am Unterlauf der Loire wächst der Muscadet. Der ist ein traditionsreicher französischer Weißwein. Nur haben zu viele Winzer dort irgendwann angefangen, in industriellen Kategorien zu denken, und nicht nur zu denken. An den Folgen leidet der Ruf des Weinbaugebiets noch heute. Im Beaujolais ist es ähnlich. Und manche warnen davor, dass so ein Schicksal auch der Champagne drohen könnte.
Muscadet am Weg zurück
An der Spitze der Rehabilitierung des Muscadets ist lange Zeit Michel Brégeon gestanden, in den Augen vom Rudl ein Zauberer und ein Original. Beim ersten Besuch von Rudolf Polifka auf dem Weingut von Monsieur Brégeon ist der gerade an einer Vorrichtung gesessen und hat einzeln händisch seine Schaumweinflaschen etikettiert. „Ça se fait par la main, comme les vendanges.“ (Das macht man mit der Hand, wie die Lese) waren seine Begrüßungsworte. Was gefolgt ist, war eine Demonstration. Weine in einer Vielschichtigkeit und Unaufdringlichkeit, wie Herr Rudolf sie vorher ganz selten getrunken hatte. Und das alles in einer Garage, in der in Österreich Heurigenbänke ihren Winterschlaf halten.
Muscadet
Ausschließlich Trauben der ziemlich geschmacksneutralen Rebsorte Melon de Bourgogne sind für Muscadet zugelassen. Charakteristisch sind salzige Noten, die an den nahen Atlantik und Austern erinnern.
Die Böden sind geprägt von Gneis, Granit, Schiefer und vulkanischem Gabbro.
Im Zuge der Renaissance des Muscadets hat man Crus definiert. Die ersten sind Gorges, Clisson und Le Pallet.
Muscadet Cru Gorges
Muttergestein Gabbro, vulkanisch und ausgesprochen hart. Maximal fünfundvierzig Hektoliter pro Hektar. Ausbau „sur lies“ mindestens vierundzwanzig Monate in unterirdischen Tanks. Umleitung über eine Karaffe „vivement conseillée“.
Muscadet Cru Gorges 2004, Michel Brégeon (64 mois sur lies)
v
Muscadet 2004, Michel Brégeon (89 mois sur lies)
Anfang 2010 hat Monsieur Brégeon seinen Cru Gorges 2004 nach 64 Monaten auf der Feinhefe in unterirdischen verfliesten Tanks abgefüllt. Bettane Desseauve haben den Wein in ziemlich hohen Tönen gelobt. Und so gerne der Rudl sagen würde, er sei unbeeindruckt vom traditionellen Weinjournalismus, … Es stimmt leider nicht. Ohne die Beschreibung im Bettane Desseauve wäre er an diesem Samstag Mittag Anfang August 2010 ziemlich sicher nicht mit einem sowieso schon viel zu vollen Auto zu Michel Brégeon gefahren.
Der Gorges 2004 ist Meeresluft, Zitrus und Schießpulver. Das Hantieren mit offenem Feuer in seiner Umgebung erscheint nicht ratsam. 12 Prozent Alkohol.
Zwei Jahre später
… ist Monsieur Rudolf dann wieder nach Gorges zur Domaine Brégeon gefahren. Damals schon nicht mehr als Privatier, sondern als Halbzeitcaviste. Michel Brégeon war am Papier schon in der Rentn, hatte sein Weingut an Fred Lallier übergeben, trotzdem selber noch vor Ort. Und sein Zweitausendvierer auch. Allerding hatte er diese Füllung noch 25 Monate länger auf der Feinhefe belassen und als „Gorges“ gar nicht mehr eingereicht. Die Mindestausbauzeit für den Cru war jetzt fast um das Vierfache überschritten.
Der Vollständigkeit halber wird Monsieur Polifka auch den klassischen Muscadet Sèvre et Maine Sur Lie 2010 glasweise kredenzen.
Die folgenden drei Weine, aber selbstredend nicht ausschließlich diese drei
- Muscadet Cru Gorges 2004, Michel Brégeon (64 mois sur lies), AOC Muscadet
- Muscadet 2004, Michel Brégeon (89 mois sur lies), AOC Muscadet
- Muscadet Sèvre et Maine Sur Lie 2010, Michel Brégeon, AOC Muscadet Sèvre et Maine Sur Lie
am Freitag, den 27. Mai
von 16 bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Am Donnerstag, den 26. Mai ist Feiertag, daher schulfrei, sogar in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils.
Herr Rudolf wünscht eine agreable Woche!