Zurück!
Seit der Neuzeit hat der Mensch eine genaue Zeit, was rein theoretisch Verbindlichkeit und Verlässlichkeit ermöglichen würde. Irgendwann scheint dem Menschen die Verbindlichkeit zu viel geworden zu sein und er hat mobile Endgeräte erfunden. Der Rudl tendiert dazu, das als kindlichen Rückfall ins Mittelalter zu betrachten. Seit der Mensch so ein Kommunikationsmittel in seiner Hose stecken hat, heißt es nicht mehr: „Am Sonntag um zwei fahren wir zum Heurigen.“, sondern „Wir rufen uns zusammen.“ oder jugendlicher: „Wir schreiben.“ Für den Heurigen bleibt bei so viel Kommunikation und Koordination dann oft keine Zeit mehr.
Die eschatologische Differenz
Ein bissl kulturpessimistischer ausgedrückt: Früher in der Neuzeit hat man unterschieden zwischen dem, was schon ist, und dem, auf das man sich freut. Sei das nur die Vorspeise, die ich gerade esse und die Hauptspeise, auf die ich mich freue. Heute im e-Mittelalter ist sowas undenkbar. Da gilt „alles&sofort“ und wehe das Essen braucht ein bissl länger, dann stehen die vernichtenden Kommentare auf irgendwelchen Wichtigtuerkommentarseiten, bevor das Schnitzl am Tisch angekommen ist. Schließlich hat man seine Zeit nicht gestohlen. Die braucht man für Wichtigeres, beispielsweise für e-Kommunikation.
Einem guten Wein ist derlei egal. Der kommt auch ohne mobiles Endgerät ganz gut zurecht. Und er braucht Zeit.
Wein = Zeit
Das Erdzeitalter des Bodens ist im Wein, gerade so wie das Alter seiner Rebstöcke. Und die Vegetationsperiode vom Austreiben bis zur Lese so wie die jahrelange Erfahrung des Weinbauers. Die Gärung und Klärung wie die Reifung. Wein ohne Zeit ist … und so schmeckt er auch.
Wein = Zeit = Geduld
Vincent Dauvissat bemerkt, dass die Ungeduldigen seinen Chablis Grand Cru Les Clos karaffieren, während die Passionierten den Wein öffnen, einschenken und dann zuerst einmal eine halbe Stunde seine Entwicklung riechen, bevor sie trinken.
Eine ganz kleine Blaufränkisch Hochegg Vertikale
Immer wieder schön nachzuschmecken sind die diversen Dimensionen von Zeit in Vertikalen – in einem Wein aus verschiedenen Jahrgängen im Vergleich. Und beim Blaufränkisch Hochegg von Karl Schnabel kommt noch dazu, dass er auf einem mineralreichen Schieferboden aus dem Paläozoikum gewachsen ist, auf einem Boden, der ungefähr 200 000 000 Jahre älter ist als die Kreideböden der Champagne.
Monsieur Schnabel fügt den Trauben von diesen alten Böden nichts dazu, keinen Schwefel, keine Pulverl und keinen Filter. Keine zugekauften Nahrungsergänzungsmittel für den Boden und kein Traktor im Weingarten, dafür Sense, Hinterwälder Rindviecher und Karsthaue.
Diese Woche glasweise in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils
Blaufränkisch Hochegg 2009, Karl Schnabel, Sausal
Blaufränkisch Hochegg 2010, Karl Schnabel, Sausal
Blaufränkisch Hochegg, 2011, Karl Schnabel, Sausal
… wie immer nicht ausschließlich diese Weine.
Wetter und Zeit
2009 gilt als heißer Jahrgang, 2010 als kühler, 2011 wieder als heißer. Dass die Franzosen für das Wetter und für die Zeit ein und dasselbe Wort temps verwenden, ist vielleicht auch kein Zufall.
Donnerstag, den 8. Oktober und Freitag, den 9. Oktober
von 16 bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
20 Jahre Wiener Integrationshaus
Eigentlich hat Herr Rudolf versprochen, diese Woche einen Bogen um die Heiligen zu machen, zumal ihm das Konzept von amtlich heilig zertifizierten Menschen sowieso nicht uneingeschränkt geheuer ist. Aber es ist Folgendes: Die Weinauktion zu Gunsten des Integrationshauses, eine der Lieblingsveranstaltungen vom Rudl steht ins Haus. Gute Weine zum Ersteigern, gute Weine zum Trinken und vor allem ein äußerst guter und bedauerlicherweise dringender Zweck. Das Integrationshaus feiert heuer einen runden Geburtstag. Vielleicht findet die Auktion deswegen am 11.11., dem burgenländischen Landesfeiertag. Das ist der Tag des Heiligen Martin.
http://www.integrationshaus.at/de/veranstaltungen/event.shtml?271
Herr Rudolf grüßt verbindlichst und wünscht eine schöne analoge Zeit!