Energiekriseferien! Während der Wiener Energieferien geschlossen

Energie kommt vom griechischen érgon und meint ein Werk, ein Wirken, im weitesten Sinn Arbeit, die aus Wärme resultiert. Entsprechend lange gibt es sie schon, die Energie.

Die Energieferien gibt es noch nicht so lange.

Komposita

Ähnlich verhält es sich vermutlich mit einer ganzen Reihe Komposita. Vor der Zusammensetzung zweier oder mehrerer Wörter muss es die von den einzelnen Wörtern bezeichneten Entitäten schon gegeben haben. Sonst haut es nicht hin, sonst gibt es kein Kompositum. In dieser Hinsicht verhält sich die Wortbildung nicht anders als das Kochen. Bevor ein Marmeladebrot zubereitet wird, muss es Marmelade und Brot geben. Beim Eiskaffee schaut es nicht viel anders aus. Beim Kaffeeeis schon, wobei die Frage ist, ob alles, was für die Allergestresstesten dieser Welt in grindige Pappendeckel- oder Plastikbecherl gefüllt wird, den Namen „Kaffee“ verdient. Aber es gibt diese tüchtigen Hochleistungsträger, die in der Früh intensiv Profile updaten, Neuigkeiten teilen und Narren liken müssen. Wie sollen sie da auch noch Kaffee kochen?

Coffee to go

Die Evolution wäre nicht die Evolution, hätte sie für diese Geschundenen nicht in jahrmilliardenlanger Anstrengung „Coffee to go“ hervorgebracht. Und wie werden der Evolution die Mühen gedankt? Das schwarzbraune Gschloder wird an Tramwayhaltestellen und vor U-Bahnstationen weggestellt, muss einem Wiener Qualitätsblatt im Handerl Platz machen und friert im Fall von Minusgraden unerbittlich zu Kaffeeeis ein, wobei die Wiener Qualitätsblätter freilich der job description des Coffee to go, den Blutdruck in die Höhe zu treiben, deutlich effizienter nachkommen als die schwarzbraune Flüssigkeit im Becherl.

1974

Zurück zu den Energieferien. Im Februar 1974 wurden als Folgen der ersten Ölkrise die Schulen für eine Woche geschlossen und die Betreiber eines verbrennungsmotorisierten Wagens verdonnert, die ersten zwei Buchstaben eines Wochentags auf die Windschutzscheibe ihres Automobils zu picken. Diese zwei Buchstaben haben aus dem Automobil für die Dauer dieses einen Tages pro Woche ein Autostabil gemacht. Den autostabilen Tag haben sie nach ein paar Monaten wieder abgeschafft. Staatsbürgerliche Grundrechte, die Erste. Das Provisorium Energieferien hat sich gehalten, wenn auch nicht um Energie zu sparen. Schaut man sich an, was manche Skigebiete aufführen, um Pisten in die Landschaft zu legen, ist man geneigt hinzuzufügen: ganz im Gegenteil.

Seinerzeit

Als die Energieferien eingeführt worden sind, war eine ziemliche Krise um die Energie. Von einer „Energiekrise“ konnte man damals hören. Und das muss schon nicht ganz undramatisch thematisiert worden sein, sonst hätte ein Sechsjähriger, wie der Rudl damals einer war, kaum etwas davon mitgekriegt. Und mir nix dir nix hätte man ziemlich sicher auch nicht die Schulen eine Woche lang zugesperrt und den Autostabilwochentag eingeführt.

2017

Heute schaut es mit der Energie ganz anders aus. Heute conduieren viele von der Zivilisation Geplagte ihre Kraftfahrzeuge in die architektonischen Kleinode an den Kreisverkehren, um dort palettenweise in Aludosen und Plastikflaschen abgefüllten Dreck zu kaufen. Aludosen und Plastikflaschen zählen in Österreich zu den realverfassungsrechltich garantierten Grundrechten (die Zweite). Man will sich nix vorschreiben lassen. Von irgendwelchen Digitalkonzernen,dem Monopolbier oder den Wiener Qualitätsblättern schon. Vom Klimawandel oder einer selbst gewählten Legislative aber nicht. Das wäre ja noch schöner!

Theorie

Aber das ist alles hypothetisch. Ein Liter Benzin kostet heute 1,141 Euro. Vor vierzig Jahren hat er 6,86 Schilling, das wäre circa ein halber Euro. Hätten sich Bahnfahrkarten, Semmeln oder Wein im gleichen Zeitraum preislich genauso verhalten, würde das Semmerl heute knapp über zehn Cent und eine ÖBB-Vollpreisfahrkarten von Wien nach Salzburg um die zehn Euro kosten. Vergleichsweise billig geblieben sind Kaffee, Kakao und Unterhaltungselektronik. Die Rohstoffe dafür kommen nicht aus Europa. Und wenn „die da unten“ „unser“ Öl für Kraxn und Billigstflieger und „unser“ Edelmetall für das mobile Endgerät nicht billig genug heraus rücken, haben wir Mittel und Wege, sie durch ein paar Finanztransaktionen an den Börsen zu Raison zu bringen.

Weltfremd

Wie auch immer, der Rudl wird diese Woche so tun, als müsste man mit Energie immer noch sparsam umgehen. Er hat die Heizung in seinem Weinkaufsladen abschalten, den Frigidär detto und die Tür bleibt auch zu, wobei diese Wintersperre zugegebenermaßen andere Gründe hat. Das Eis am Neusiedlersee zum Beispiel. Oder die Einheizmatura. Und offen hat der Rudl ja sowieso nur an Schultagen.

Manchmal hat Herr Rudolf das Gefühl, er ist in der Geschichte stecken geblieben. Und dann denkt er an den Titel vom Kurtl seiner Langspielplatte aus dem Einundneunziger Jahr.

Monsieur Rudolf wünscht Ihnen viel Energie, sich eine Eisdecke auf dem Neusiedlersee und den Klimawandel mitsamt den Schneekanonen zum Teufel!