Lang. Sehr lang!
Die Ausführungen, die Ihnen der Rudl meistens am Montag oder am Dienstag schickt und in denen er versucht, zumindest auch etwas zum Weinthema der jeweils gerade anbrechenden Woche von sich zu geben, sind gelegentlich etwas umfangreich, nicht weil der Rudl das des Umfangs wegen anstrebt und erst recht nicht, weil er nicht weiß, dass man heute den Göttern der Verknappung, Verkürzung und Veroberflächlichung Weihrauch streut, nicht nur in Studien- und Lehrplänen. Einerseits ist nichts verzichtbar, auch nicht das 21. neue Erdbeerjoghurt, zumindest solange es genauso schmeckt wie die anderen zwanzig und noch ein paar Kilometer mehr im Lastauto herum kutschiert worden ist als die anderen zwanzig. Das nennt man heute Diversität und Freiheit. Sie gilt für alles mit einem IQ kleinergleich dem einer Getränkedose und ist ohne Rücksicht auf Verluste zu schützen.
Und die penetranteste Banalität ist heute unverzichtbar. Sie muss zwischen zwei Buchdeckel oder zumindest auf einen mit Steuergeld finanzierten und mit Fahrscheingebühren entsorgten Zeitungsfetzen in der U-Bahn. Das nennt man heute Informations- und Meinungsfreiheit. Sie gilt für alles mit einem IQ kleiner dem einer Getränkedose.
Darum bitte ja nicht zu viel Text, keine schwierigen Wörter, große Buchstaben, viele Bilder und auf gar keinen Fall Sätze, die aus mehr als fünf Wörtern bestehen. Hätte den Herrn Rudolf so ein Käse gereizt, hätte er der Schule nicht teilzeit den Rücken kehren und ein Weingeschäft aufmachen müssen. Ganz im Gegenteil, dann hätte er sich gleich zum Bildungskompetenzzentrumspräsidenten oder Schulmeisterexperten befördern lassen können. Darum sind die E-Mails von Rudolf Polifka so, wie sie sind. Und wen das interessiert, der kann das lesen. Und darüber freut sich der Rudl dann natürlich. Wer daran vor allem bemerkenswert findet, dass Herr Rudolf „viel Zeit haben muss“, der kann das bemerkenswert finden. Und wem das alles sowieso wurscht ist, der liest es wahrscheinlich eh nicht, was dem Rudl auch keine grauen Federn wachsen lässt. Hinweise, wie erfolgreiche Werbung zu sein hätte, aber schon.
Der langen Vorrede kurzer Sinn, diese Woche sehr viel Text über Altesse, eine Lieblingsrebsorte vom Rudl, wahrscheinlich der längste Newsletter dieser Welt. So far.
Altesse – aristokratische Gendergerechtigkeit
In einem, wie man sagt, republikanischen Zeitalter ist ein Wein, der sich „Altesse“ nennt, schon ein bissl daneben. Aber was soll man machen? Niemand sucht seine Lieblingsweinrebsorten nach dem Political-Correctness-Faktor des Namens aus, nicht einmal Herr Rudolf.
Auf der anderen Seite könnte man Altesse fast als Vorreiterin für die sprachliche Gleichstellung von Frau und Mann betrachten. Um die sprachliche scheint es ja vor allem zu gehen, vielleicht weil jede andere Gleichstellung sofort wieder einen Batzen Marie kosten würde. Und das wächst angeblich nicht auf Bäumen oder in Blasen, auch wenn manche Wirtschaftsexperten nicht müde werden, anderes zu behaupten.
Der aristokratische Hoheitstitel „Altesse“ macht aus Kaisern und Königen, grammatikalisch betrachtet, Weiblichkeiten. Da ist dann der Monarch mit der tiefsten Stimme „die kaiserliche Hoheit“. Schlecht?
Aromen und Aromoiden
Mit den Aromen ist es ein Hund. Da gibt es gerade beim Wein ein paar, die quasi als Parias gelten. Und andere, die ziemlich angesagt sind. Werden einem Wein mineralische Noten nachgesagt, dann hat er heute schon gewonnen. Wehe er schmeckt nach Erdbeeren. Dann kann er einpacken. Der Rudl mag Erdbeeren. Drum stören ihn auch im Wein keine Erdbeeraromen. Es sei denn, er findet dann dieselben erdbeeroiden Aromen in einem Schilcher, in einem Uhudler, in einem steirischen Sauvignon Blanc und in einem Grünen Veltliner DAC aus dem Weinviertel. Das gibt es. Aber dafür kann keine Erdbeere auf dieser Welt etwas.
Geschmäcker können nicht irren
„Wünsche können nicht irren“, ist von den vielen schönen Sätzen, die Adolf Holl geschrieben hat und hoffentlich noch schreiben wird, einer, der dem Rudl besonders gut gefällt. Und Monsieur Polifka tendiert immer mehr zur Auffassung, dass es sich mit Geschmäckern ähnlich verhält. Man kann unaufmerksam etwas essen und trinken und dabei nicht bemerken, dass es grauslig schmeckt. Und man kann auf etwas so versessen sein, dass man es gut findet, egal wie es schmeckt, und dabei auch gar nicht merkt, wie es schmeckt. Vielleicht weil man auf eine Marke, auf eine Rebsorte, auf einen Winzer oder eine Herkunftsbezeichnung fixiert ist. Das ist aber nicht bewusst, zumindest nicht geschmacksbewusst. Aber wenn einem etwas ganz bewusst gut schmeckt, dann kann das kein Irrtum sein, wie auch immer es schmeckt, was auch immer es ist und was auch immer andere darüber reden.
Altesse – Aromen: Lindenblüten, Haselnüsse, Mandeln, Honig und Quitten
Der Rebsorte Altesse sagt man oft die folgenden Aromen nach: Lindenblüten, Haselnüsse, Mandeln, Honig und Quitten – tendenziell also eher Aromen mit hohem Prestige, die auch immer wieder mit den Montrachets und Meursault in Verbindung gebracht.
Lindenblüten und Josef Umathum
Beim Lindenblütenaroma handelt es sich um ein sogenanntes Primäraroma. Für ein solches ist die Weintraube zur Rechenschaft zu ziehen, wohingegen ein Sekundäraroma der Gärung geschuldet ist und ein Tertiäraroma der Reifung.
Chemisch ist das Lindenblütenaroma ein Mysterium. Bislang haben die Forscher kein Molekül ausfindig gemacht, das die Lindenblüte geschmacklich und geruchlich zur Lindenblüte macht. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind es Moleküle, die dem Farnesol nahestehen. Was die veritable Lindenblüte darüber hinaus bemerkensert macht, ist der Umstand, dass sich alle Blüten einer Linde zeitgleich öffnen, dann aber nur einen Tag lang blühen. Als lindenblütenintraubierte Rebsorte gilt der ungarische Hárslevelü. Der ist im Tokay drinnen. In Österreich hat sie eine Durststrecke hinter sich. Dass die vorbei ist, verdankt sie Josef Umathum. Aber weil Tradition auch in der Weinwirtschaft sehr selektiv gepflegt wird, hat man dem das weinamtlicherseits nicht gedankt. Noch nicht.
Aromatisch verbündet sich das Lindenblütenaroma im Wein tendenziell ganz gern mit dem Honigaroma, so auch in vielen Altesses, aber auch im Quarts-de-Chaume und im Bonnezeaux. Sogar der Schweizer Chasselas kennt es, der Loin de l’oeil in Gaillac, der Weiße aus Pessac-Leognan, Marsannes von der Rhône, der Bellet auf den Hausbergen von Nizza und sogar junge Elsässer Rieslinge.
Quitte
Das Sekundäraroma Quitte braucht ziemlich sicher Diethyl-Sebacat, das man, wenn man ein bissl genauer hinschaut, auch in der Melone findet. Es entsteht durch Esterifikation der sebacischen Säure durch Ethanol bei der Gärung.
Als USP gilt das Quittenaromen für jene Chenin Blancs, die auf Urgesteinverwitterungsböden wachsen. Das sind vor allem die Appellationen Savennières, Roche-aux-Moines und Coulée de Serrant, aber auch die nicht so restzuckerfreien Coteaux-du-Layon, Quarts-de-Chaume und Bonnezeaux. Auch den süßen Weinen von Sauternes, Barsac, Monbaziallc und Jurançon sagt man sie nach. Und natürlich in manchen Altesses, ganz besonders denen aus Monterminod und Umgebung.
Quitten und Honig
Dass die Quitte gut zum Honig passt, das haben schon die alten Römer gewusst. Darum haben die die Quitten gerne im Honig kandiert. Und in den legendären Falerner haben sie eine Mischung aus Quitten, Bockshörndlklee und Iriswurzeln gegeben. Eine von den alten Römerinnen war bekanntlich die Venus. Mit der teilt der Rudl die Quitte als Lieblingsfrucht und bildet sich darauf auch etwas ein.
Honig
Honig ist Sonne. Chemisch gehört sein Aroma zu den ätherischen Aromen. Die verbrüdern sich in schöner Regelmäßigkeit mit Akazien, Lindenblüten, Ginster, Marillen, Mango und Quitten. Das Honigaroma in Weintrauben entsteht durch Konzentration, wenn die Traubenschalen Wasser verlieren. Es handelt sich um Derivate vom Phenylethylalkohol: Butyl- und Isobutyl-Phenylacetate, Phenylethylacetate und Ephenylacetaldehyd. Lange brauchen die alle nach der alkoholischen Gärung nicht, um zu entstehen.
Süßweine haben ein besonders Naheverhältnis zum Honigaroma, nicht nur aufgrund der Viskosität: Sauternes, Monbazillacs, auch Ausbrüche, Chenins aus Vouvray und natürlich viele Vins Doux Naturels aus Rivesaltes. Auf der trockenen Seite sind der Jurançon sec, im Fall von hohem Petit Manseng Anteil, vor allem aber die Chardonnays der Côte de Beaune – Puligny-Montrachet, Chassagne-Montrachet, Weine von den berühmten „calcaires brunes“, aber tendenziell schon eher die mit ein paar Jahren Flaschenreife – zu nennen. Dort alliiert der Honig besonders gern mit getrockneten Früchten, orientalischen Gewürzen und Steinigkeit.
Haselnüsse, Mandelkern haben die Altessen gern.
Haselnüsse und Mandeln schmecken nach Altesse. Wenn Sie, gewogene Leserin und geneigter Leser diese Formulierung eigenartig finden, dann liegt das ziemlich sicher nicht daran, dass sie nicht stimmt, sondern daran dass Mandelbäume und Haselnussstauden halt doch weiter verbreitet sind als Altesse-Rebstöcke. Deshalb hat man eine ungeschriebene Sprachregelung getroffen, derzufolge Altesse nach Haselnüssen und Mandeln schmeckt. Der nicht unbedingt ein Übermaß an Flexibilität sein Eigen nennende Starrkopf Rudolf Polifka verstößt bewusst gegen diese Regelung und behauptet, dass Mandlen und Haselnüsse nach Altesse schmecken, die Pfoad Altesse ist ihm quasi näher als der Rock Haselnussstaude.
Ohne Biosynthese wäre das Ganze sowieso redundant. Denn dann gäbe es kein Haselnussaroma, und auch die frische Butter müsste dann eines eigenen Aromas entraten, was für gar nicht so wenige Zeitgenossen verschmerzbar wäre, weil dieses Aromerl, das die Haselnuss mit der frischen Butter gemeinsam hat und das aus einer Dekomposition einiger Fettsäuren durch Microorganismen resultiert, sich gar nicht so wenigen Zeitgenossen eh verschließt. In den Saint Nectaire, ein Kaserl aus der Auvergne, wird dieser Geschmack durch besondere Pilzstämme hinein gebracht. Unter den Weinen gilt Chardonnay als das rebsortegewordene Haselnussaroma. Das dürfte so zu dieser Rebsorte gehören, dass es fast egal ist, ob der Weinstock in der Champagne, in Meursault, Puligny, im Napa Valley oder in Großgmain steht.
Bei der Mandel schaut die Geschichte ein bissl schwieriger aus, weil es da zwei Mandelgeschmäcker gibt: die gebrannte Mandel und die frische Mandel.
Das Aroma der gebrannten Mandel ist eine Spur komplexer und näher an der Haselnuss. Es ist ein Tertiäraroma, das sich aus Sulfiden entwickelt. Besonders oft findet man es in trockenen Weißweinen aus Burgund, in den Altessen aus Savoyen sowie in Saint-Péray und Crozes-Hermitage an der nördlichen Rhône.
Das Aroma der frischen Mandel dagegen steht mit Benzaldehyd in Verbindung und kommt in den Steinobstkernen vor. In Koalition mit ein paar anderen Molekülen sorgt es vor allem in den Rotweinen von Bordeaux, Burgund und der Touraine, ganz besonders in den Italienern aus Piemont für Kirscharomen. Benzaldehyd war am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts das erste Geruchsmolekül, dessen Produktion in einem Labor gelungen ist. Der Wein schuldet das frische Mandelaroma den Stielen und Stengeln der Traube. Darum handelt es sich grundsätzlich einmal um ein Primäraroma. Wenn dessen Intensität mit zunehmendem Alter und einer dezenten Oxydation zunimmt, mutiert es zum tertiären.
Kennen müssen Sie Altesse jetzt trotzdem noch immer nicht,
streng genommen ja nicht einmal die Weinbauregion Savoie. 2150 Hektar – da gibt es ein paar größere, in und außerhalb von Frankreich,
… aber Sie versäumen etwas, wenn Sie sie nicht kennen.
Landschaftlich hängt das natürlich davon ab, wie man zum Ergebnis dieser tektonischen Kollision damals vor gut zwanzig Millionen Jahren steht. Der Rudl ist ja selber ein Kinder der Alpen. Das spürt er, abgesehen von der Gehsteigkante drüben bei der Grillgasse, spätestens immer dann, wenn sie bei der Tour de France nach Alpe d’Huez hinauf radln.
Weinmäßig ist Rudolf Polifka dort in seinem Element. Viel Kalk, mehr Kräuter und Blüten als Früchte, wenig Alkohol, … und reserviert eigenbrötlerische bis starrsinnige Weinbaumeister, die sich nach einiger Zeit sehr oft als besonders herzliche Narren im positivsten Sinn erweisen.
Ampelographisch gibt Savoyen in Relation zu seiner Rebfläche sehr viel her, aber darüber ist hier schon berichtet worden. Diese Woche widmet Monsieur Polifka der aristokratischen Altesse.
Zweihundertfünfzig Hektar klein und kein bisschen laut
Gut 250 Hektar gibt es und nicht ein einziger davon liegt außerhalb von Savoyen und Bugey, und das obwohl die Rebsorte erst 1366 im Kreuzzuge vom Grafen Amédée VI. aus Zypern nach Savoyen gebracht worden sein soll. Eine Minderheit an Historikern geht noch viel weiter und lässt die Savoyarden noch ein Jahrhundert länger auf die Altesse warten. Sie vermuten diese Reben im Gepäck der Herzogin Anne de Chypre.
Vom „Quartz“ der Domaine d’Ardoisières, hundert Percent Altesse, und den Marestel von Dupasquier, die meistens mit Restzucker ausgebaut werden, wird hier gesondert zu berichten sein.
Altesse von 2008 bis 2013, ein königlicher Pirat
Diese Woche vertikalisiert Caviste Rudolf seine trockene Lieblingsaltesse. Das ist die von den Giachino-Brüdern. Und weil er für den einen oder anderen Jahrgang zu langsam war, ergänzt er die Lücken durch einen 2008er Altesse von Philippe Grisard aus Frétrive, eine 2009er von der Domaine Dupasquier und einen Königlichen Tafelwein MMXII von Josef Umathum, dessen Geschmacksbild einen Vergleich mit Altesse interessant erscheinen lassen sollte.
2010, 2011 und 2013: Altesse Giachino
Die Weingärten von Frédéric und David Giachino stehen auf kalkreichen Gletschermoränen. Spontan vergoren, auf der Feinhefe ausgebaut, bio-zertifiziert.
Quitte, Ananas und Mandel, Anklänge an Zitrusfrüchte, Speiseempfehlung: Langustine und Kokosnuss mit Kardamon
… schreiben die Gebrüder Weinbaumeister:
www.domaine-giachino.fr
2008: Altesse, Philippe Grisard
ähnlicher Boden, konventionelle Bewirtschaftung
2009: Altesse Domaine Dupasquier
Kimmeridge Kalk, westlicher Abhang des imposanten Dent du Chat, zwei Jahre längerer Ausbau vor der Füllung, im Vergleich zu Giachino und Grisard
2012: Josef Umathum Königlicher Tafelwein MMXII
ganz andere Geologie: Schieferböden am Leithagebirge in Jois,
ähnliche Aromatik: Steinobst, Lindenblüten, ähnlich frische Säure, ähnlich niedriger Alkohol – quasi ein Pirat „in disguise“
Diese sechs Weine, aber nicht ausschließlich diese sechs
am Donnerstag, den 11. Juni und am Freitag, den 12. Juni
von 16 bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
… und drei Tage später, am Montag, den 15. Juni:
Reindorfer Grätzelwalk, vom Schwendermarkt durch die Reindorfgasse bis zur Ullmannstraße – und beim Rudl Gottfried Lamprecht vom Herrenhof Lamprecht mit seinen Weinen
Herr Rudolf wünscht eine hoheitliche Woche und den Quittenbäumen der Frau Venus eine Verschonung vor dem Junifall!
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