Wird aus nix wirklich nix?
Bei Gestein aus dem Paläozoikum und aus dem Mesozoikum ist es verhältnismäßig einfach. Kalkablagerungen von irgendwelchen alten Meeren kann man mit einer chemischen Formel definieren. Bei Gneis oder Granit ist es nicht viel anders. Bei den Terroirs aus dem Känozoikum schaut das etwas anders aus. Steine sind halt einmal alt. Das zeichnet sie irgendwie per definitionem aus. Die maßgeblichen erdneuzeitlich geprägten Terrroirs zeichnen sich jetzt weniger dadurch aus, dass sie materialtechnisch etwas Neues zu bieten hätten. Das soll kein Grund zum Kulturpessimismus sein. Känozoisch geprägte Terroirs könnte man in einem Mangel an Gewogenheit mit einem Remix in der Musik vergleichen, nur dass beim Terroir nicht irgendein Blechtrottel für die Mischung zuständig ist. Schauen Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, das ist auch so etwas, was der Rudl lustig findet. Zu dem, was man früher einen „Blechtrottel“ genannt hat, sagt man heute „K.I.“. Aber noch keiner von den Oberministranten des digitalen Fortschritts hat Citoyen Rudolf Polifka halbwegs schlüssig erklären können, was das „intelligente“ am maschinellen Lernen sein soll. Unter Intelligenz versteht der Rudl Kreativität, Unberechenbarkeit und vor allem Nein!-Sagen. Ein intelligenter Mensch kann, wenn er mit seinem Latein am Ende ist, sämtliche Prämissen und Programme entsorgen und sich quasi aus dem Nix eine ganz neue Arbeitshypothese saugen. So ähnlich muss das doch gewesen sein, als die Theorie von der Erde als Scheibe oder das geozentrische Weltbild an Tragfähigkeit verloren haben. Für die Apparatschiks vom Papst abwärts konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Und für die sogenannte „K.I.“ wäre das ganz genau. Was nicht in irgendeiner Weise – vom Rudl aus halt auch über fünfzehn Hausecken – aus einem Computerprogramm resultiert, gibt‘s ned. So ähnlich mischt der Blechtrottel Musik neu, dem Rudl seinetwegen kann er auch komponieren. Ein deutsches Schmalzbauernduo hat das in den Achtzigerjahren erfolgreich praktiziert. Freiwillig anhören wird sich der Rudl so etwas aber auch in Zukunft nicht, selbst wenn vielleicht mehr halb so viel Schmalz aus dem Blechtrottel rinnt.
Die erdneuzeitlich geprägten Weingärten erfinden weder den Kalk noch den Granit neu, aber sie bleiben an Kreativität, was mechanische Misch-, Verfrachtungs- und Zerkleinerungsverfahrenbetrifft, wenig schuldig. Da wird Material von Gebirgsbächen angeschwemmt, etwa für die Vignes de Paradis am Südufer vom Genfer See aus dem Chablais-Gebirge. Andere Böden sind auf Gletschermoränen angetanzt. Wieder andere verdanken sich Vulkanismus. An größeren Bächen hat Süßwasser oft in den Kurven über die Jahre Terrassen angeschichtet, an Meerufern Salzwasser und manchmal auch beides zusammen. Das ist dann Brackwasser. Apremont wiederum – dort liegen die Weingärten der Giachinos – ist das Resultat einer Katastrophe, die sich am 24. November 1248 zugetragen hat. Da sind Tonnen vom Mont Granier dem Ruf der Gravitation gefolgt und nach unten gedonnert. Ganz lange ist diese Stätte der Verwüstung dann sich selbst überlassen gewesen. Irgendwann hat man sie wieder besiedelt und in weiterer Folge die Weingärten der Crus Apremont und Abymes angelegt.
Steine
… sind dem Rudl mehr oder weniger in die Wiege gelegt worden. Umso mehr wundert er sich, dass sie ihn immer noch begleitet. Jedoch wäre Caviste Rudolf kein solcher, gälte sein Steininteresse nicht in erster Linie Steinen, auf denen Wein wächst. Das ist für ihn etwas vom Faszinierendsten, das Wein einem schenkt. Dafür ist er dankbar.
Nächste und letzte Station: Känozoikum, Erdneuzeit
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Welschriesling 2021, Dankbarkeit, Podersdorf, Neusiedlersee (2,50/4)
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Riesling Wieland 2019, Mantlerhof, Brunn im Felde, Kremstal (6/9)
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Pinot Gris 2017, Les Vignes de Paradis, Ballaison, IGP Vin des Allobroges (5/8)
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Prieuré Saint Christophe Blanc 2018, Giachino, Fréterive (6,50/10)
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Marius & Simone 2020, Giachino, Chapareillan, Vin de France (4,50/7)
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Dankbarkeit Rot 2018, Podersdorf, Neusiedlersee (3/5)
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Prieuré Saint Christophe Rouge 2019, Giachino, Fréterive (6,50/10)
Dienstag, 9. Mai von 17 bis 21 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Der 27. Jänner, der Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz, muss zu einem gesamteuropäischen Feiertag erklärt werden. Wer das Richtige feiert und weiß, was er dabei tut, ist nicht nur kein Würstel, sondern wird sich auch leichter tun, den Angriffen der Heimatparteien auf Demokratie, Menschenrechte und Aufklärung etwas Wirksames entgegenzusetzen.
Neuzeitlich, aber meistens unzeitgemäß grüßt Herr Rudolf!
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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien