Kulturpessimismus
Es gibt ein paar Personen des öffentlichen Lebens, die faszinieren den Rudl. Es gibt ein paar, die ihm egal sind und dann gibt es noch ein paar, die er für Wappler hält. Manchmal beschleicht den Rudl das Gefühl, die Gruppe der letzteren würde vor allem auf Kosten ersterer wachsen.
Aber dann besinnt sich der Rudl, meistens. Oder seine Femme besinnt ihn. Nicht jeder Grant ist ein ausreichendes Motiv für Kulturpessimismus. Wobei das ja auch wieder relativ zu betrachten ist. Im Augenblick, in dem Caviste Rudolf diese Zeilen in sein mobiles Schreibgerät nagelt, sitzt ihm in einer Garnitur der Linie U3 ein älterer Herr gegenüber. Der ist ausgestattet mit allen Erzeugnissen, die Wiener Edelfedern hervorbringen, täglich, kleinformatig und mit Inseraten fürstlich gefüttert. In Anbetracht, manchmal auch Angehör dessen nicht grantig, zornig, traurig und kulturpessimistisch zu werden, erfordert Kraft, möglicherweise mehr Kraft, als einem um acht Uhr in der Früh zur Verfügung steht.
So oder so
Ein paar der eingangs erwähnten Personen des öffentlichen Lebens, von denen der Rudolf viel hält, sind berühmt. Der Kurtl zum Beispiel. Andere sind nicht berühmt. Josef Bauer zum Beispiel.
Josef Bauer
Josef Bauer ist am 2. März 1920 auf die Welt gekommen. Später hat er die Weinbauschule Klosterneuburg besucht. Dort war Friedrich Zweigelt Direktor. Der hatte 1922 die beiden autochthonen österreichischen Rebsorten Blaufränkisch und Sankt Laurent gekreuzt.
Josef Bauer war nicht Direktor. Josef Bauer hat Kontakt zur katholischen Widerstandsgruppe rund um den Klosterneuburger Augustiner Chorherrn Roman Scholz gesucht und gefunden. Dieser Gruppe haben die großen Zeiten nicht so gut gefallen. Darum hat sie versucht, die Hitler-Eiche in Klosterneuburg durch Pestizide von innen her zum Absterben zu bringen.
Leider haben sie Josef Bauer und seine Kollegen erwischt. Einige Lehrer der Weinbauschule Klosterneuburg wollten Milde walten lassen. Aber die haben sich in der Klassenkonferenz am 28. August 1940 nicht durchgesetzt. Darum hat die Schule unter der Direktion von Friedrich Zweigelt ein Betretungsverbot für Josef Bauer verhängt. Josef Bauer sei als „Führer der klerikalen Bewegung in Klosterneuburg bekannt“ gewesen und habe „mitunter Schwierigkeiten während des weltanschaulichen Erziehungsunterrichts gemacht, (…) weshalb er eine schlechte Note in weltanschaulicher Erziehung erhalten habe, trotz gutem Prüfungsergebnisses (sic!)“ (Konferenzprotokoll vom 28. August 1940). Weltanschauliche Erziehung dürfte damals wichtiger gewesen sein als die Grammatik der deutschen Sprache.
Als der Vater Josef Bauers die Schule um die Ausstellung eines Sittenzeugnisses für seinen Sohn ersucht hat, um die Gestapo milde zu stimmen, wurde ihm das von der Schule verweigert. Josef Bauer hat dann fast drei Jahre Gestapo-Haft in Gefängnissen von Wien bis damals „München Gladbach“ erlitten. Dann wurde er eingezogen.
Namen
Und dann ist da noch die Sache mit der Bezeichnung für die Rebsorte. Friedrich Zweigelt hat sie Rotburger genannt. So hat sie dann auch geheißen. Das kann man in alten Weinbüchern nachlesen. 1975, Friedrich Zweigelt hat nicht mehr gelebt, haben es einflussreiche Kreise aus der Weinwirtschaft dann für eine gute Idee gehalten, den Rotburger im Rahmen der „Qualitätsweinrebensortenverordnung“ auf Zweigelt umzubenennen.
Die sichs gerichtet haben und die kollektive Demenz
Flexible Menschen hat es viele gegeben. Zuerst eifrig bis übereifrig, dann konformistisch, später flexibel, dement und selbstredend unpolitisch. Im Fall der Fälle verhandlungsunfähig. In jedem Ambiente gefällig. Wie viele Weine der Rebsorte Zweigelt.
Dass es diesen Ungeist heute nicht mehr gibt, würde der Rudl gerne glauben, er kann es aber nicht. Möglicherweise glauben es die Bildungsexperten und Verfasser von Lehrplänen (vielleicht mit ganz wenigen Ausnahmen). Den Bildungsexpertinnen, Bildungsexperten und der Schulaufsicht scheint der oben erwähnte Ungeist aber keine schlaflosen Nächte zu bereiten. Hauptsache, es wird vereinheitlicht (und) präsentiert. Auch eine Form von weltanschaulicher Erziehung.
Da empfindet es der Rudl als Balsam auf seiner Seele, wenn einer nicht zu jeder Schnapsidee im Namen von Forstschritt und Wachstum nickt oder stumpfsinnig mit den Achseln zuckt, zur Errichtung eines riesigen Gewächshauses etwa oder zum Verkauf so einer Idee als Beitrag zur Förderung regionaler Landwirtschaft.
Rotes Irgendwas, das wie Paradeiser ausschaut, nach nichts schmeckt und einen Haufen Energie gefressen hat, braucht Herr Rudolf nicht, egal ob das rote Irgendwas die Energie in Andalusien oder im Seewinkel gefressen hat.
Ein Josef hat nicht genickt. Er sollte Unterrichtsminister werden! Von ihm kredenzt der Rudl diese Woche drei Weine glasweise.
Geburtstagsgrüße
Gleichzeitig würdigt Rudolf Polifka den Geburtstag und die Leistungen von Josef Bauer. Der Rudl hat vor diesen viel mehr Respekt als vor der Züchtung einer Rebsorte, die er sowieso nicht zu seinem Glück gebraucht hat.
Darum macht der Rudl diese Woche Weine auf, die es auch ohne Züchtungen von Friedrich Zweigelt gegeben hätte.
Nur
eine Ausnahme macht der Rudl, quasi als Selbsttherapie gegen seinen Vollständigkeitstick. Die ist vom Weinbauern mit dem weltbesten Musikgeschmack, einem Josef selbstverständlich, und darum hier genau richtig.
- Sankt Laurent Klassik 2015, Josef Umathum, Neusiedlersee (3/5)
- Blaufränkisch Klassik 2015, Josef Umathum, Neusiedlersee (3/5)
- Blaufränkisch 2015, Christine Lentsch. Dankbarkeit, Neusiedlersee (3/5)
- Sankt Laurent vom Stein 2010, Josef Umathum, Neusiedlersee (8,50/13)
- Blaufränkisch Hochegg Special Edition 2013, Karl Schnabel, Sausal (6,50/10)
- Blaufränkisch Szapary 2012, Uwe Schiefer, Eisenberg (6,50/10)
- Sankt Laurent 1990, Winzergenossenschaft Ehrenhausen (Schauen wir einmal, wahrscheinlich eher nur ein Studienobjekt.)
- Blaufränkisch Spätlese 1973, Klosterkeller Siegendorf, Neusiedlersee Hügelland (6/9)… Wein aus der Zeit, als der Rotburger noch Rotburger geheißen hat.
- Rotburger 2015, Josef Lentsch. Dankbarkeit (2,50/4)
(in Klammern zuerst der Preis für das Sechzehntel, dann der für das Achtel)
Wie immer nicht ausschließlich diese Weine kredenzt Caviste Rudolf glasweise
am Mittwoch, den 28. Februar und am Freitag, den 2. März
von 16 bis 22 Uhr
Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Im Übrigen ist Rudolf Polifka der Meinung, dass man den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag erklären sollte!
Vorschau auf 7. und 9. März
zum internationalen Frauentag: gegenderte Weine Maria und Sepp Muster und doppelt gegenderte Weine von Christine und Gilles Berlioz
Suppe mit Sinn
Monsieur Polifka freut sich, 47,50 Euro der Wiener Tafel weiterleiten zu können. Er bedankt sich dafür doppelt, weil er sich bewusst ist, dass ein Großteil dieses Betrages aus Ihren Spenden und nur der kleinere aus konsumierten Suppen resultiert.
Herr Rudolf grüßt die Unflexiblen wie Josef Bauer und verleiht diesem den Ehrendirektortitel der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils!