Organische und anorganische Tiere
Der Fils hat gerade die Dinosaurier und eine ganz andere Zeit entdeckt, eher zur Verwunderung vom Rudl. Den haben schon als Kind lebende Viecher mehr interessiert als tote, mehr als ausgestorbene sowieso. Und er hat mit Pflanzen immer mehr angefangen als mit Viechern. So ist es praktisch heute noch beim Kochen, wobei er auf ein kleines Stück Fleisch, quasi als Beilage, nicht verzichten möchte, gerade so wie der Kurtl.
Der Vater vom Rudl, der in seiner Freizeit nichts lieber getan hat, als in Steinbrüchen und auf Geröllhalden herum zu kraxeln, um dort nach Ammoniten zu suchen, hat vermutlich schon bedauert, dass sein Bub sich mehr für die lebenden Forellen im Bach als für die versteinerten Schnecken auf dem Berg begeistert hat. Und gerade so bedauert es der Rudl, dass der Fils justament lieber zuhause in seinen Saurierbüchern blättert, als mit ihm zum Heurigen zu fahren.
Nur ist ein Fils mit Charakter halt nicht dazu da, die Interessen, Passionen und Begeisterungen seines Vaters zu teilen. Das ist wahrscheinlich gut so. Darum ist der Rudl jetzt zur Auseinandersetzung mit Dinosauriern gezwungen. Ein mit an Besessenheit hoffentlich nur grenzendem Interesse für Wein ausgestatteter Mensch wie der Rudl zieht ja dann sowieso unweigerlich seine Verbindungen von den Urzeittieren zum Wein, über den Boden zum Beispiel. Vor knapp zweihundert Millionen Jahren waren die Saurier groß im Geschäft. Die Böden im Jura, aber auch die, auf denen zum Beispiel der Marestel oder der Clos la Néore von Edmond Vatan in Sancerre wächst, sind damals gerade erst entstanden. Aus heutiger Sicht haben sie sich auch viel länger gehalten als die Dinosaurier. Aber nachher ist man zugegebenermaßen immer gscheiter. Und als Boden hat man es im Vergleich zu so einem Saurier vermutlich auch einfacher. Da kann einen zwar das eine oder andere erschüttern, aber existenziell wird es nicht so schnell. Vor etwa fünfundsechzig Millionen Jahren sind die Viecherl ausgestorben. Ein Meteorit, Vulkanismus und klimatische Veränderungen haben ihnen das Leben zuerst schwer, dann unmöglich gemacht. In einem Kinderbuch aus der Städtischen Bücherei ist das in Form eines Mordstohuwabohus rund um eine lodernde Kugel und einen ausbrechenden Vulkan dargestellt. Im Vordergrund macht ein ganzes Rudl gezeichneter Dinosaurier einen alles andere als koordinierten Abgang. Irgendwie ist dieses Bild beim Rudl hängen geblieben. Die zugegebenermaßen weder ganz neue, noch besonders elementare Erkenntnis, dass nicht schon immer alles so war, wie es heute ist, wurde durch die flüchtenden Dinosaurier lebendig. Manchmal kommt dem Rudl ja schon die Welt vor der Verhängung der Handfessel mit dem Wischscreen ziemlich unreal vor, die in den Siebziger Jahren sowieso. Aber das Bild von den überdimensionierten Urzeittieren, die sich in Anbetracht massiverer Aus- und Umbrüche über die Häuser hauen und die das auf demselben Planten machen, auf dem wir heute das neueste Foto vom Kipferl beim Frühstück teilen, das hat den Rudl nachhaltig beeindruckt. Und plusminus damals hat zum Beispiel der Boden für die Weingärten in der Champagne angehoben zu entstehen. Gar nicht so leicht fassbar, wenn man vor einem Flascherl Dom Perignon sitzt.
Erde
… erleben kleine Kinder zuerst einmal als Dreck, wenn sie gemaßregelt werden, weil sich Rückstände von ihr nach dem Ballspielen auf der Wiese in ihren Freizeittextilien wieder finden.
Landwirtschaftlich im Allgemeinen betrachtet ist die Erde vor allem Kompost, oenologisch im Besonderen ist der in der Erde enthaltene Anteil der aus der mineralischen Erosion resultierenden Endprodukte von vorrangigem Interesse.
Sehr, sehr, sehr uralt
Das Schilcherland gehört zum steirischen Randgebirge und ist irgendwann im Archaikum entstanden. Dreitausendachthundert bis zweitausendfünfhundert Millionen Jahre ist das jetzt her. Der Rudl fährt seit gut zwanzig Jahren immer wieder in diese Gegend. Die hat auf ihn immer etwas uriger als andere Weinbaugebiete, zumal steirische, gewirkt. Aber er würde nicht so weit gehen, das mit dem Boden in Verbindung zu bringen. Aber was weiß man. Gelegentlich hängen Dinge und Sachverhalte über etliche Ecken miteinander zusammen. Rein bodenbetrachtungstechnisch sieht man den Steinen um Lestein, wo Christine und Franz Strohmeier wohnen, nichts an. Die haben sich ganz passabel gehalten.
Trauben, Liebe und Zeit N°6 2013, Christine und Franz Strohmeier, Lestein, Weststeiermark
Chardonnay und Weißburgunder, kein zugesetzter Schwefel, dafür beträchtliche Gerbstoffe, resultierend aus Inklusion von Schalen, Kernen und Stielen während der geheimnisvollen Zeit der Gärung. Neun Monate in gebrauchten Fässern.
Gerade erleichtern scheint die Gärerei auf der Maische es nicht, den Boden, auf dem ein Wen gewachsen ist, zu identifizieren. Aber dem Rudl seiner Auffassung nach haben interessante Dinge sowieso nicht den Sinn, etwas zu erleichtern. Darum haben manche Zeitgenossen zwar einen bemerkenswerten Instinkt für den Weg des geringsten Widerstandes, aber ein interessantes Leben führen sie nicht. Davon ist Monsieur Rudolf ziemlich überzeugt.
Auch sehr, sehr, sehr uralt
Das Muscadet ist starkt vom Granit geprägt und präkambrischer Provenienz, an sich nicht die unpassabelste Basis für guten Wein. Trotzdem hat man das Prestige der Appellation in den Sand gesetzt. Aber dafür kann der feinkörnige Granit nichts. Vielleicht täte es dem einen oder anderen Weinbauverein in Österreich nicht schlecht, eine Exkursion in den Muscadet zu unternehmen. Man kann am Beispiel des Muscadets ganz gut sehen, wie man als angesehenes Weinbaugebiet seinen Ruf durch unkontrolliertes Ausreizen und permanentes Steigern der Mengen versaut.
Der Weg zurück beginnt im Hochland rund um Clisson und Gorges. Dort gibt es eine geologische Besonderheit. Gabbro, dunkles, vulkanisches Gestein. Drei, vier Crus, unter ihnen der Gorges, haben sich auf den steinigen Weg zurück zu Ansehen und Respekt gemacht haben.
Muscadet 2004, Michel Brégeon, Les Guisseaux, Gorges
89 sagenhafte Monate auf der Feinhefe in unterirdischen verfliesten Behältern. Caviste Rudolf verspürt gelegentlich körperliche Symptome, wenn er im Zusammenhang mit Wein das M-Wort hört. Aber die Muscadets von Monsieur Michel bezeichnet sogar der Herr Rudolf als „mineralisch“.
Sehr, sehr, sehr alt
Böhmische Masse klingt in österreichischen Ohren vermutlich sowieso schon alt. Vor wessen geistigem Auge steigt da nicht das Bild vom brillantingekämmten Heinz Conrads, an das Klavier gelehnt, auf? Aber die Böhmische Masse ist jetzt, sofern es nicht um Knödel oder Powidltatschkerl geht, viel älter. Im Proteiozoikum, vor etwa zweitausendfünfhundert bis fünfhundertneunzig Millionen Jahren liegt die Wurzel für die Grenze zwischen Wald- und Weinviertel und bis zu einem gewissen Grad auch die zwischen Riesling- und Veltlinerlagen in der Wachau. Eine so eine Lage heißt Achleiten. Viele sind es nicht, die dort ein paar Rebzeilen ihr Eigen nennen dürfen. Ein Engländer aus Stoke-on-Trent gehört zum erlauchten Kreis. Sein Name ist dem Rudl entfallen. Bis zum Jahrgang 2013 hat der Sohn eines Braumeisters aus den Trauben seiner Rebstöcke selber Wein gemacht. Er muss die Trauben auch in warmen Jahren ziemlich spät gelesen haben. Irgendwann, auf alle Fälle aber vor dem Herbst 2014 ist ihm klar geworden, dass er leidenschaftlich gerne biologisch seine Rebstöcke pflegt, der Arbeit im Keller aber nicht ganz so viel Begeisterung entgegen bringt. Er hat die Konsequenz gezogen und die Trauben der Dürnsteiner Winzerin Theresia Harm vom Weingut Schmidl verkauft.
Riesling Smaragd Achleiten 2014, Weingut Schmidl, Dürnstein, Wachau
Smaragd gegen den Hauptsache-breit-Trend
Sehr, sehr alt
In der Steiermark scheint es an Weingartenboden eh so ziemlich alles zu geben, was Gott und Lagerhaus („Wer is stärker?“, sagt der Fils ganz gerne) zugelassen haben. Löss vermutlich nicht, abgesehen davon fehlt nicht viel.
Das Sausal ist, was den Schieferboden betrifft, aus dem Paläozoikum. Dass Karl Schnabel in die verkalkte Burgund gefahren ist, um das Handwerk zu lernen, passt da nicht perfekt ins Bild. Wenn man ihn ein bissl kennt, aber gerade umso besser. Wer führt schon ein Rotweingut in der Steiermark? Der Rudl kennt nur Karl Schnabel.
Rotburger Kreuzegg 2013, Weingut Schnabel, Sausal, Südsteiermark
Sausaler Schieferboden, um die vierhundert Millionen Jahre.
Sehr alt
Das Jura kommt im Zusammenhang mit Wein relativ oft vor, geographisch und geologisch. In Frankreich und in Österreich auch.
Grüner Veltliner Hundsberg 2011, Leo Uibel, Ziersdorf, Weinviertel
Der Ziersdorfer Köhlberg war seinerzeit einmal eine Klippe. Aber das ist jetzt auch schon wieder an die zweihundert Millionen Jahre her. Jetzt ist der Muschelkalkunterboden bedeckt von einer Mischung aus Sand und Lehm. Vierundfünfzig Jahre alte Rebstöcke und ein Jahr im großen Holzfass auf der Feinhefe. Zeit. Zeit. Und noch einmal Zeit.
Roussette de Savoie 2013, Domaine Dupasquier, Aimavigne, AOP Roussette de Savoie
Chignin-Bergeron „Les Fripons“ 2015, Gilles Berlioz, Chignin, Savoie
Geröllhalden aus Mergel und Jurakalk. Mehr dazu in den Skripten zur Lehrveranstaltung der vergangenen Woche. Besondere Beachtung wird dabei dem Element Sauerstoff zukommen zu lassen sein. Die Flasche wurde am 8. März geöffnet und hat sich als halbwegs reserviert erwiesen.
Alt
Vor etwa fünfundsechzig Millionen Jahren, an der Grenze vom Mesozoikum zum Känozoikum sind die Dinosaurier ausgestorben, und es entstand der Wiener Wald. Voreilig Kausalitäten zu sehen ist sicher problematisch. Aber ob es wirklich ein reiner Zufall ist, dass die Saurier gehen, wenn der Wiener Wald kommt? Auf den Rudl haben der Westen und der Südwesten von Wien immer ein bissl morbid gewirkt. Und der lebenslustige Ostbahn heißt vermutlich auch nicht aus purem Zufall so. Geologisch gehört das Weinbaugebiet Thermenregion zum Wienerwald. Und wenn damit auch die Gegend um die SCS und die Pyramide von Vösendorf gemeint ist, dann hat der Rudl vollstes Verständnis für die Saurier.
Zierfandler 2015, Friedrich Kuczera, Gumpoldskirchen, Thermenregion
Der Bioweinpionier und frühere Obmann des Biobauernmarktes auf der Freyung ist in der wohlverdienten Rente. Und der Markt auf der Freyung ist kein Bauernmarkt mehr. Ruhig ist Friedrich Kuczera deswegen aber noch lange nicht. Zwei kleine Zierfandlerweingärten hat er behalten. Den Heurigenbetrieb 2017 um 12,5 %, von acht Tagen im Jahr auf neun Tage erweitert. Sein Zierfandler ist für den Rudl eine Rehabilitation der Rebsorte in Anbetracht der fetten und holzigen Art und Weise, auf die sie heute viel zu oft verunglimpft wird.
Jünger, aber auch noch alt
Wenn der Rudl 1 und 1 anders als der Kurtl zusammen zählt, müsste der Opok, auf dem die Weine von Maria und Sepp Muster wachsen im mittleren Tertiär entstanden sein. Damit wären sie in etwa dreißig Millionen Jahre alt.
Erde 2013, Maria und Sepp Muster, Schlossberg, Steirerland
Sauvignon Blanc und ein bissl Morillon, sechs bis zwölf Monate grundelt der Wein auf der Maische dahin, ein paar Traubernstiele sind auch dabei. Dann noch einmal ein Jahr plusminus zwei Monate im großen Holzfass. Wie es das geben kann, dass ein auf diese Weise vinifizierter Wein derartig präzise und sauber schmeckt, drängt dem Rudl das Wort „Mysterium“ auf. Und das verwendet er noch weniger gern als das andere M-Wort.
Schon deutlich jünger
Gegen Ende des Tertiär sind dann Süßwasserablagerungen entstanden. Das Pannon ist eine davon. Und viele Weine im Seewinkel wachsen auf diesem Pannon.
Rotburger 2013, Biohof Heideboden, Pamhagen, Neusiedlersee ohne DAC
Noch jünger, trotzdem werden sich viele nicht mehr daran erinnern
Im Quartät hat sich der Wind dann auch noch wichtig gemacht. Wenn man die klimatischen Gegebenheiten in Ostösterreich kennt, ist es ja eher verwunderlich, dass er sich bis zum Quartät zurück gehalten hat. Löss.
Grüner Veltliner Spiegel 2014, Mantlerhof, Brunn im Felde, Kremstal
Das Weingut, dem sich der Rudl am längsten verbunden fühlt, ist ziemlich sicher der Mantlerhof. Völlig zurecht.
Die folgenden Weine
- Grüner Veltliner Spiegel, Mantlerhof, Brunn im Felde, Kremstal (4/6)
- Rotburger 2013, Biohof Heideboden, Pamhagen, Neusiedlersee ohne DAC (2/3)
- Erde 2013, Maria und Sepp Muster, Schlossberg, Steirerland (6,50/10)
- Zierfandler 2015, Friedrich Kuczera, Gumpoldskirchen, Thermenregion (2,50/4)
- Roussette de Savoie 2013, Domaine Dupasquier, Aimavigne, AOP Vin des Savoie (3/5)
- Chignin-Bergeron „Les Fripons“ 2015, Gilles Berlioz, Chignin, Savoie (5/8)
- Grüner Veltliner Hundsberg 2011, Leo Uibel, Ziersdorf, Weinviertel (4,50/7)
- Rotburger Kreuzegg 2013, Weingut Schnabel, Sausal, Südsteiermark (4/6)
- Riesling Smaragd Achleiten 2014, Weingut Schmidl, Dürnstein, Wachau (5/8)
- Muscadet 2004, Michel Brégeon, Les Guisseaux, Gorges (5/8)
- Trauben, Liebe und Zeit N°6 2013, Christine und Franz Strohmeier, Lestein, Weststeiermark (5/8)
(in Klammern die Preise für das Sechzehntel und das Achtel)
…, aber nicht ausschließlich diese Weine gibt es glasweise
am Mittwoch, den 15. März und am Freitag, den 17. März
jeweils von 16 bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Im Übrigen ist Rudolf Polifka der Meinung, dass man den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag erklären sollte!
Herr Rudolf grüßt ganz besonders den Styracosaurus, vlg. Störakkusaurus und alle seine näheren und entfernteren Verwandten!
Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien
Öffnungszeiten: Mittwoch und Freitag, 16 bis 22 Uhr, an Schultagen
kostenlose und CO2-minimierte Zustellung innerhalb von Wien ab einem Bestellwert von 57 Euro