Eines vorneweg
Mit dem Titel dieser Zeilen möchte Rudolf Polifka keine wie auch immer geartete Analogie zwischen einem Menschen und unerfreulichen Erscheinungen in der Natur konstruieren. Solche Versuche haben eine grauenhafte Tradition. Im Folgenden geht es dem Rudl einzig und allein um den Aspekt der Herausforderung. Eine solche stellt die aktuelle Politik der USA für Europa dar. Aber mit solchen Herausforderungen wird der alte Kontinent auch erstaunlich gut fertig. Und er wird besser damit fertig, seitdem er selber weniger zur Herausforderung für andere Regionen auf der Welt geworden ist.
Go East?
Oft hört man Menschen heute von einer Zeitenwende sprechen. Oft ist damit ein Ende zumindest der Verlässlichkeit der Nordatlantischen Allianz gemeint, manchmal auch die Gefahr von Kriegen. Und wer der Personifizierung von Bildungsferne im Weißen Haus zuhört, wird sich einer gewissen Beklemmung schwer erwehren können. Allerdings sind schon andere Quäler und Plagen aus Amerika nach Europa gekommen. Das muss man sagen. In die entgegengesetzte Richtung detto. Das muss man auch sagen.
So oder so, was da jetzt auf Europa zukommt ist nicht die erste Plage, die ihren Weg von Nordamerika nach Europa findet. Die Reblaus hat, wenn Sie so wollen, vor 165 Jahren den Boden bereitet. Im Folgenden wird Weinschulmeister Rudolf Polifka die ersten Schritte dieser Zwerglaus auf europäischem Boden rekonstruieren und Ihnen, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, kommende Woche eine geschmackliche Nachvollziehung dieses Weges ermöglichen. Aber alles der Reihe nach. 1845 gelangt Oidium von Nordamerika nach Europa und richtet dort in relativ kurzer Zeit in den Weingärten einen beträchtlichen Schaden an. Um 1850 war das Problem halbwegs im Griff. Und kaum zehn Jahre später macht sich eine gewisse Reblaus von Nordamerika aus in Richtung alter Welt auf den Weg. In London ist sie gelandet, an der südlichen Rhône hat sie ihren Fuß auf den Kontinent gesetzt. Und dann ist sie die Rhône flussaufwärts gewandert, in das Beaujolais und über Burgund in die Champagne und den Rest des alten Kontinents. Ein gewisses Aufmerksamkeitsbedürfnis dürfte ihr nicht ganz fremd gewesen sein, die Diskretion nicht ihre ganz große Stärke. Wo sie war, hat man das gesehen, auch insofern ist eine Analogie zum orangenen Schoitl schwer von der Hand zu weisen. Durch Anknabbern der Wurzeln hat die Reblaus den Rebstöcken quasi den Saft abgedreht, sofern diese nicht am Sand waren. Ihrerzeit war der Weinbau in Frankreich und dem Rest des Kontinents mehr oder weniger zum Erliegen gekommen. Von welcher sozialen und volkswirtschaftlichen Tragweite das war, ist heute gar nicht mehr zu ermessen. Rettung vor der Plage wurde auf verschiedenen Wegen gesucht. Romanée-Conti etwa hat die Rebstöcke bis 1944 mit Kohlenstoffdisulfid geimpft. Dann hat man dieses Mittel für den Krieg benötigt und auch Romanée-Conti hat seine wurzelechten Reben roden müssen. Darum hat es im Jahrhundertjahrgang 1947 keinen Romanée-Conti gegeben. Wenn Ihnen so einer angeboten wird – und das soll vorkommen -, wird man das als Stütze für eine These von Bert Brecht erachten können: Brecht hat sinngemäß gemeint, dass Betrug und Korruption in der Regel weit weniger gewieft und intelligent, sondern im Gegenteil meist viel plumper und primitiver von Statten gehen, als man glaubt. Der langfristige Schutz vor der Zwerglaus wurde in amerikanischen Unterlagsreben, die gegen den Quäler resistent waren, gefunden. Gelitten hat unter dieser Lösung wie so oft die Finesse. Auf den Punkt gebracht lässt sich festhalten, dass die Reblausplage aus Amerika gekommen ist, mit amerikanischer Unterstützung erfolgreich bekämpft worden ist, darunter aber die Finesse gelitten hat. Vielleicht sollte man genau diese Gefahr für die nächsten Jahre nicht ganz außer Acht lassen: Wie es ausschaut, wird es dieses Mal an Europa liegen, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. Aber man sollte der Verlockung widerstehen, sich in diesem Konflikt dem Gegenüber mehr als notwendig anzupassen. Dass Europa die erfolgreiche Bekämpfung der Reblaus mit Finesse bezahlt hat, reicht eigentlich, wenn Sie den Rudl fragen.
Und dann darf trotz allem eines hier nicht fehlen: Es waren ganz maßgeblich auch die Vereinigten Staaten von Amerika, die Europa vom Faschismus befreit haben. Dieser ist genaugenommen ja den Weg der Reblaus in die entgegengesetzte Richtung gegangen. Fair und dankbar wäre es, wenn Europa jetzt einen Beitrag zum Schutz von Freiheit (nicht nur für Beton, Öl und Daten), Gleichheit und Geschwisterlichkeit zu leisten.
Der Weg der Reblaus
Wie ausgeführt ist die Reblaus über das Vereinigte Königreich von Nordamerika nach Europa gelangt. Oenologischen Boden betreten hat sie jedoch an der südlichen Rhône. Dort ist der Mont Ventoux nicht weit weg. Auf diesen werden die Radlfahrer heuer hinauffahren. Caviste Rudolf Polifka, ein Freund der Bergetappen, hat sich rechtzeitig um Weine aus dieser Appellation bemüht. Kommenden Donnerstag wird er den roten Côtes du Ventoux 2019 von der Domaine Fondrèche aber zur Stärkung der europäischen Résistance gegenüber Techfaschismus glasweise kredenzen. Die Phylloxera ist dann weiter gen Norden gekrochen. Da ist sie in Rasteau und Roaix vorbeigekommen. Dort bewirtschaftet heute Elodie Balme ihre Weingärten. Über die hat Ihnen der Rudl vor ein paar Wochen das eine oder andere erzählt. Erstaunlich findet der Rudl vor allem das elegante Gleichgewicht der Weine von Elodie Balme. An der südlichen Rhône kann man daran auch scheitern. In ihrem Rasteau ist neben Grenache, Syrah und Mourvèdre sogar Carignan mit von der Partie, im Roaix sind nur die drei Rebsorten ohne Carignan. Dass die Rebsorten in unterschiedlichen geologischen Gegebenheiten wurzeln, hilft vielleicht auch, Grenache im Kalk, Syrah und Mourvèdre in Sandstein. Grenache und Mourvèdre werden gerebelt, Syrah nur zum Teil. Elodie Balmes Weine beeindrucken den Rudl vor allem aufgrund ihrer Würze: Pfeffer und Garrigue.
Der Spur der Rebverwüstung führt dann der Rhône entlang flussaufwärts in das Beaujolais und die Burgund. Spätestens dort ist dann klar gewesen, dass diese Zwerglaus nicht mehr aufzuhalten sein würde. Der wirtschaftliche Schaden für Europa war auf alle Fälle kolossal. Der Rudl würde nicht wetten, dass die jetzt verhängten Zölle es an Effizienz mit der Reblaus aufnehmen können. Aber auch das ist eine andere Geschichte.
Weil Sie sagen (© Ostbahn) „Weinbeschreibung“ …
Wenn jemand den Newsletter von einem Weingeschäft erbittet, erwartet sie, respektive er vermutlich zuerst einmal Beschreibungen der angebotenen Weine. Wenn jemand den Newsletter vom Rudl erbeten hat, wird er in dieser Erwartung möglicherweise enttäuscht. Es ist ja nicht so, dass es keinen kompetenten Weinbeschreibungen gäbe. Aber Österreich scheint nicht ihr Epizentrum zu sein. Mehr oder weniger bekommt man hier jenen Vokabelbrei vorgesetzt, mit denen Wichtigtuer bei einer x-beliebigen Verkostung ihre Sachkompetenz unter Beweis zu stellen versuchen. Eine konkrete Bedeutung haben diese Wörter aber selten. Darum belästigt Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, der Rudl gleich gar nicht damit. Manchmal lässt sich Monsieur Rudolf dann aber doch zu einem Hinweis auf Farbe, Aromen, Geschmack oder Substanz eines Weines hinreißen. Das kann zwei Gründe haben: Entweder hat der Rudl diesen Wein in jüngerer Vergangenheit getrunken und erachtet etwas als besonders mitteilenswert. Oder der Rudl hat etwas über den betreffenden Wein gelesen, von dem ihm erscheint, dass es Hand und Fuß hat. Meistens stammt das dann von den Weinbäuerinnen und Weinbauern selbst oder von einer Publikation des Vertrauens vom Rudl. Im Sinne von Verbindlichkeit und Authentizität erlaubt sich der Rudl, in Zukunft die beiden Quellen seiner spärlichen Auskünfte über das, was Ihr Auge, Ihre Nase, Ihren Gaumen oder Tastsinn erwartet, graphisch voneinander abzusetzen. Mit eigener Sensorik gewonnene Erkenntnisse über einen Wein wird der Rudl in Zukunft kursiv veröffentlichen, solche aus seriösen Quellen in gewöhnlicher Schrift. Im Übrigen ist der Rudl bemüht, seine Sachkompetenz der seriösen Verkostung zu steigern, momentan mit der äußerst lesenswerten Anleitung von Max Léglise Une initiation à la dégustation des grands vins.
- 2019 Côtes du Ventoux Rouge, Domaine de Fondrèche, Mazan, Rhône Sud (3/5)
- 2020 Côtes du Rhône Roaix Champs libres, Elodie Balme, Rasteau, AOC Côtes du Rhône, Rhône Sud (4/6)
- 2020 Rasteau, Elodie Balme, AOC Rasteau, Rhône Sud (4/6)
- 2021 L’Écume des Jours, Les Deplaude de Tartaras, Tartaras, IGP Collines rhodaniennes, Rhône Nord (5/8)
- 2020 Beaujolais blanc Terrain rouge, Jean-Paul et Charly Thévenet, Morgon, AOC Beaujolais (5/8)
- 2007 Meursault, Domaine Lafarge, Volnay, AOC Meursault, Bourgogne (10/15)
2009 hat sich der Rudl zum ersten Mal einen Bettane Desseauve gekauft. Seines Erachtens ist der bis heute der seriöseste unter den bekannten jährlich erscheinenden Weinführern Frankreich. Die Domaine Lafarge in Volnay war damals das einzige burgundische Weingut, dem Bettane Desseauve biodynamische Arbeitsweise attestiert hat. Drum ist der Rudl zuerst vergeblich mit dem Auto und wenig später erfolgreich mit dem Radl bei Monsieur Lafarge vorbeigefahren.
DONNERSTAG, 3. April von 17 bis 21 Uhr
Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils
Reindorfgasse 22
Am 27. Jänner 1945 sind die Überlebenden aus dem Konzentrationslager Auschwitz befreit worden. Was spricht dagegen, den 27. Jänner deshalb endlich zu einem gesamteuropäischen Feiertag zu erklären? Nichts!
Liberté! Égalité! Fraternité!
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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien