Prävirtuelle pannonische Echokammer
Der Rudl würde sich nicht gerade eine große Schwache für dualistische Welterklärungsversuche attestieren. Höchstens was den Neusiedlersee betrifft, da hält er es ein bissl monolatristisch. Er weiß, dass der Neusiedlersee ein Westufer hat, aber er identifiziert mit „dem See“ den Seewinkel. Man kann das vermutlich als Beispiel für eine prävirtuelle Echokammer betrachten. Denn der Rudl fährt konsequent auch stets an das Ostufer, wenn er zum Neusiedlersee fährt. An dem hat er vor vierunddreißig Jahren, wie man so schön sagt, einen Narren gefressen. Und jetzt wundert er sich, dass er mit dem Neusiedlersee Illmitz, Podersdorf und Apetlon assoziiert. Aber er weiß natürlich, dass auch der Neusiedlersee mindestens eine andere Seite hat, dass es auch dort schön ist und dass auch dort äußerst virtuose Winzer und Weine zuhause sind. Er weiß es, aber er fährt trotzdem nach Illmitz. Und der Rudl weiß auch, dass Rust inzwischen so etwas wie das österreichische Epizentrum des Furmint ist, und auch, dass Furmint mit der savoyardischen autochthonen Hoheit Altesse verwandt ist.
Semestrierung
Es gibt ein paar Möglichkeiten, Zeit im Sinne des griechischen chronos zu strukturieren. Zwölf Monate vom ersten Jänner bis zum einunddreißigsten Dezember stellen eine gebräuchliche, vermutlich aber nicht die alleroriginellste Variante dar. Die Fußballsaison beginnt, nimmt man das Mutterland des Fußballs zum Kriterium, am zweiten Wochenende im August, der neue ÖBB-Fahrplan jährlich am zweiten Wochenende im Dezember, das Dankbarkeitsjahr Anfang Februar und das Kirchenjahr am ersten Adventsonntag.
Universitäten strukturieren ihren Betrieb nach Semestern. Seit viele Studienpläne ihre Akzente vom Forschen auf das Belehren und Bevormunden verschieben, kommen Schulen den Universitäten auf halbem Weg entgegen und semestrieren neuerdings ihrerseits.
Sommersemester
Das Sommersemester hat den selbstangemaßten Weindozenten Rudolf Polifka gebeten, mit weißen Rebsorten, die in Österreich einen Verbreitungsgrad umgekehrt proportional zu dem von Thujenhecke und Kleinformat zusammen genießen, begonnen werde zu dürfen.
Jacquère. Eine Wiederholung der Lektion vom 30. Juni (Sommersemester 2016)
Wenn es in der zweitausend Hektar kleinen Weinbauregion Savoyen eine Massenweinrebsorte gibt, dann kann man Jacquère als so eine betrachten. Mehr als tausend Hektar sind dort mit der autochthonen Jacquère bestockt. Ganz präzise hat sie ihren Ursprung, soweit man das rekonstruieren kann, in Abymes de Myans. Das liegt am nordöstlichen Rand des Chartreusegebirges.
Die dicken Beerenschalen erlauben eine späte Reife, was am kalkreichen, steinigen Fuß der französischen Alpen nicht ganz unwesentlich ist, und schützen die engbeerigen Trauben vor Oïdium und Meltau.
Als Wein ist Jacquère eher blass bis weißgold und erinnert an vieles, was im Frühling blüht, manchmal sogar an Akazien. Dem Rudl seinem Geschmack nach stehen Alpenkräuter, Grapefruit, Bergamotte, Weißdorn und aneinander geriebener Feuerstein im Vordergrund. Manchmal kommen Mandeln, Haselnüsse und Lindenblüten dazu, wenngleich nie so intensiv wie bei der Altesse.
Die Spitznamen Coufe-Chien und Cugnète gefallen dem Rudl auch nicht so schlecht, obwohl oder vielleicht eher weil er keine Ahnung hat, was sie bedeuten.
Sommerweine
Caviste Rudolf Polifka trinkt und empfiehlt diese Weine vor allem im Frühjahr und im Sommer. Jacquère ist für ihn eine weingewordene Metapher für das Wiedererwachen der Vegetation.
Accord Papperl – Jacquère
Oft endet Jacquère als Fonduebegleiter in den einschlägigen Skigebieten, als Winterwein. Caviste Rudolf findet das nicht unpassend, aber ein bissl ideenlos, zumal man von einem Fondue eh fast jeden Wein erschlagen lassen kann. Viel mehr als die Säure bleibt dann manchmal nicht über. Der kulinarische Deckel für den Topf einer gelungenen Jacquère, sofern man einen Wein als Topf bezeichnen kann, ist wahrscheinlich die Bachforelle. Das dezente Prickeln, der niedrige Alkohol, das kongeniale Zusammenspiel von Frische, Leichtigkeit und appetitanregendem Temperament der Jacquère erinnern den Rudl an einen Gebirgsbach während der Schneeschmelze. Wenn er bei vielen Weinen aus dem Elsass an den Rhein denkt, dann symbolisieren savoyardische den Zubringer eines Zubringers der Isère. Einer wie der Rudl, der quasi neben, beziehungsweise in Wald- und Wiesenbächen seine Kindheit verbracht hat, der Donau aber erst im stolzen Alter von vierzehn gewahr wurde, kann mit kleinen Gebirgsbächen und Wasserfällen und ihren korrelierenden Weinen vielleicht naturgemäß mehr anfangen. Der ist mit der Bachforelle per Du und diese quasi so vor der Haustür wie die Oelweingasse vor dem Rudl seinem Geschäft.
Jacquère ist nicht Jacquère ist nicht Jacquère
Es gibt Jacquères, denen der geschmolzene Käse quasi als Schicksal in die Wiege, treffender vielleicht ins Fass gelegt worden zu sein scheint.
Es gibt auch Jacquères, die ausgesprochen ambitioniert, vor allem bodenspezifisch ausgebaut, aber mit einem synthetischen Korkimitator zugestoppselt werden. Ein Jammer.
Und dann gibt es Jacquères von Weinbaumeistern, die es wissen wollen und denen Tradition auch beim Verschließen von Flaschen ein Anliegen ist.
- Jacquère 2014, Dupasquier, Jongieux, AOP Vin de Savoie
- Monfarina 2015, Giachino, Chapareillan, AOP Vin de Savoie
- Marius & Simone 2015, Giachino, Chaparaillan, Vin de France
Altesse. Gleich noch eine Wiederholung (Wintersemester 2015/16)
Dass die Rebsorte Altesse von der verrückten Henne und Tochter des Königs von Zypern und Jerusalem, Anne de Lusignan, nach Savoyen gebracht worden sei, dürfte so wenig historisch sein wie die ungleich unsympathischere These, dass sie einem Kreuzzug des Grafen Amédée VI. zu verdanken sei.
Letzte Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Altesse aus der ungarischen Familie des Furmint stammt. Diese Weine waren seinerzeit dem Herrscherhaus vorbehalten. Darum der Name „Altesse“ – die Hoheit. Das halten zumindest der renommierte Ampelograph Pierre Galet und das in diesen Belangen auch nicht ganz unerhebliche Schweizer Institut de Changins für wahrscheinlich.
Vielleicht ist das genau die Zeit, Altesse zu trinken. Und vielleicht erinnert sich zufällig irgendwer in Ungarn, welche großartigen Beiträge dieses Land früher einmal zur Geschichte des Kontinents geleistet hat.
Rebsortencharakteristika
Altesse reift sehr spät und nimmt in der Vollreife einen roten Farbton an. Sie steht gerne auf kargen Kalkböden, erweist sich als relativ resistent gegenüber Fäulnis und Oidium, aber anfällig für Peronospora, Trauben eher lockerbeerig, Beeren elliptisch.
Speisebegleiter
Évelyne Léard-Viboux bezeichnet Altesse als „grande dame qui a la classe de coeur“, die besonders auf Hechtnockerl (Lyoner Spezialität) oder Felchenfilet (Genfer See), beides reich an Omega-3-Fettsäuren, reflektiert. Ernährungsstudienrat Polifka nimmt das wieder einmal zum Anlass, Sie darauf hinzuweisen, dass es ausgesprochen willkommen ist, wenn Sie sich das Essen zum Wein selber mitbringen, quasi Weinbegleitung in Form von Jause oder – falls Sie logistische Herausforderung schätzen – warum nicht Hechtnockerl oder Felchenfilet.
- Marestel 2010, Dupasquier, Jongieux, AOC Roussette de Savoie
- Altesse 2013, Dupasquier, Jongieux, AOC Roussette de Savoie
- Altesse 2015, Maillet, Serrières-en-Chautagne, AOP Roussette de Savoie
Gringet
… heißen sie im Jura Savagnin und in Platt Weißer Traminer.
- Le Feu 2012, Belluard, Ayze, AOC Vin de Savoie
Chignin-Bergeron
ist die savoyardische Beziechnung für die Roussanne von der nördlichen Rhône.
- Les Fripons 2015, Gilles Berlioz, Chignin, AOP Vin de Savoie
In Savoyen gibt es an autochthonen weißen Rebsorten auch Mondeuse Blanche und Molette, an nicht bis ganz und gar nicht autochthonen Chasselas, Malvoisie, Pinot Gris und Chardonnay. Dazu vielleicht ein anderes Mal mehr.
AOP Irouléguy. Die dritte Wiederholung vom 31. März (Sommersemester 2016)
Gros Manseng
Auf Baskisch heißt er „Izkiriota“. Er ist für die Quantität zuständig. Der falsche Meltau ist nicht sein bester Freund.
Petit Manseng,
Izkiriota Itipia, ist ertragsschwach, kleinbeerig und dickschalig, kann deshalb lange am Stock hängen und viel Zucker bilden. Anklänge an Zimt, exotische Früchte, Honig und reifen Pfirsich gehen auf seine Rechnung.
Petit Courbu,
Xuri Zerratia, ist fast immer in der Minderheit, noch ertragsschwächer als der Petit Manseng, aromatisch dafür noch feiner.
- Hégoxuri 2014, Arretxea, AOP Irouléguy, Sud Ouest
- Jacquère 2014, Dupasquier, Jongieux, AOP Vin de Savoie (2,50/4)
- Monfarina 2015, Giachino, Chapareillan, AOP Vin de Savoie (3/5)
- Marius & Simone 2015, Giachino, Chaparaillan, Vin de France (4/6)
- Marestel 2010, Dupasquier, Jongieux, AOC Roussette de Savoie (4/6)
- Altesse 2013, Dupasquier, Jongieux, AOC Roussette de Savoie (3/5)
- Altesse 2015, Maillet, Serrières-en-Chautagne, AOP Roussette de Savoie (5/8)
- Le Feu 2012, Belluard, Ayze, AOC Vin de Savoie (6/9)
- Les Fripons 2015, Gilles Berlioz, Chignin, AOP Vin de Savoie (5/8)
- Hégoxuri 2014, Arretxea, AOP Irouléguy, Sud Ouest (5/8)
(in Klammern zuerst der Sechzehntel-, dann der Achtelpreis)
Diese neun Weine aus hierzulande nicht verbreiteten Rebsorten, aber nicht ausschließlich diese neuen gibt es glasweise
am Mittwoch, den 15. Februar und am Freitag, den 17. Februar
jeweils von 16 bis 22 Uhr
in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22
Im Übrigen ist Rudolf Polifka im Sommersemester immer noch der Meinung, dass man den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag erklären sollte!
Vorschau auf die Lehrveranstaltungen vom 22. und 24. Februar:
ungewöhnliche Schaumweine
Herr Rudolf grüßt nach allen Seiten und den ganzen See!