„Naturwein“? Ah wos!

November ist.

Caviste Rudolf Polifka erkennt das am Posteingang seines E-Mail-Accounts. Zuerst alle drei, dann alle zwei Tage und seit dem vierten November bekommt er jeden Tag gegen fünf am Nachmittag eine Erinnerung, dass er sich für irgendeine Naturweinmesse anmelden soll.

In ziemlich hoher Frequenz ist der Rudl zur RAW in Montréal, Miami, New York, Los Angeles und Berlin eingeladen worden. Hauptsache die Rebsorten sind autochthon, der Winzer schurlt mit einem Pferd durch seinen Weingarten und das Endprodukt ist trüb.

Jetzt können Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, einwenden, dass gelegentlich auch vor dem Weinkaufhaus vom Rudl ein Lastauto vorfährt und eine Palette ablädt, dass dieses Lastauto nicht von der Sonne angetrieben wird und die Fenster vom Rudl seinem Geschäftslokal hundsmiserable abgedichtet sind. Das stimmt alles und das sind alles Kompromisse, die der Rudl einmal mehr und einmal weniger zähneknirschend eingeht.

Naturweinbranche

In manchen Teilen der Naturweinbranche vermisst Rudolf Polifka das Bewusstsein, dass Verantwortung für die Natur nicht an der Grenze des Weingartens beziehungsweise an der Kellertür aufhört. Elitäres Lifestylepathos, wie es der Rudl gelegentlich wahrzunehmen meint, widert ihn an. Das findet er lächerlich. Da wählt er den Hundertachtziggradtanzschritt und ist eine Wolke. Diese Erscheinungen kommen dem Rudl mittlerweile in oenologischer Hinsicht ungefähr so authentisch vor wie die Wiener Wiesn in musikalischer.

Der Herr Kurt hat seinerzeit gemeinsam mit Sexualberater Karl Horak psychologische Untersuchungen über Besitzer von Autos mit hohem Treibstoffverbrauch durchgeführt (Ostbahn-Kurti und die Chefpartie, Saft & Kraft, Wos wü de wüde Hilde, 1994). Sind Ergebnisse dieser Studien modifiziert auf die Wochenendkurzurlaubsjetter in den überbilligten Fliegern anzuwenden?

Weinschulrat Rudolf Polifka meint es auf alle Fälle ernst mit der Schulautonomie. Darum pfeift er diese Woche noch viel lauter auf Konventionen, Konformitäten und den Zeitgeist:

Neun Weine von acht Weinbauern, die – jeder auf seine Art – für den Rudl Natürlichkeit, Authentizität und Kunstfertigkeit repräsentieren.

Sepp Muster

Der Rudl hat seit kurzem etliche 2017er von Maria und Sepp Muster in seinem Geschäft. Keinen davon wird er diese Woche glasweise ausschenken, „weus schod war“, wie der Herr Kurt vielleicht sagen würde. Oder weil man nicht ungeduldig sein soll, wie der Rudl sagt.

Aber Dreizehn passt jetzt gut. Und am Schilcher ist vielleicht noch besser schmeckbar, was Sepp Muster von Konventionen hält.

  • Schilcher 2013, Maria und Sepp Muster, Schlossberg (4/6)

Josef Umathum

Der Rudl erachtet Verantwortungsbewusstsein für Region, Land und Planet als einen Aspekt von Natur. Und guten Wein auch.

  • Königlicher Wein MMXVI, Josef Umathum, Frauenkirchen (4,5/7)

Friedrich Kuczera

Über den hat Ihnen Herr Rudolf vor gar nicht so langer Zeit ein bissl was geschrieben. Und dann sind die Frau und der Herr K beim Rudl mit einer Flasche Zierfandler 1987 aufgekreuzt. Dass der Zierfandler von Friedrich Kuczera etwas Besonders ist, hat der Rudl gewusst. Aber die Eleganz, Frische und Vielschichtigkeit dieses 32 Jahre reifen Weins war schon mehr als beeindruckend. Wie viele Weine, denen man heute zurecht oder zuunrecht das Taferl „Naturwein“ umhängt, werden in 32 Jahren so lebendig dastehen?

  • Zierfandler 2018, Friedrich Kuczera, Gumpoldskirchen, Südbahn (2/3)

Jacques Maillet

Der Rudl liest gerade das Buch „La parole de Pierre“, ein hundertachtzig Seiten langes Interview mit Pierre Overnoy, der gerne in einem Atemzug mit dem Chemienobelpreiskandidaten Jules Chauvet als Mitinspirator des Naturweins bezeichnet wird. Und wenn Monsieur Overnoy Überlegungen über Bodenbearbeitung, Rebselektion und ph-Wert im Boden anstellt, fühlt sich der Rudl in den Weingarten von Jacques Maillet versetzt.

  • Jacquère 2015, Jacques Maillet, Motz, AOP Vin de Savoie (4/6)
  • Gamay 2015, Jacques Maillet, Motz, AOP Vin de Savoie (4/6)

Josko Gravner

Heute gibt es Weinkonzerne, die Orangewine produzieren. Also Josko Gravner die ersten Anforen vergraben hat, haben diese Konzerne noch etwas ganz anderes gemacht. Und dann ein Zeitl lang auch noch.

Josko Gravner hat damals auf alle Fälle existenziell erlebt und gespürt, dass er etwas anders machen muss und will. Er hat seine Arbeitsweise nicht an Umsatzzahlen oder Weinberatern orientiert. Das ist dabei heraus gekommen.

  • Breg Bianco 2008, Josko Gravner, Oslavia, Gorizia, Italien (10/16)

Michel Grisard und die Giachinos

Michel Grisard ist für Savoyen ungefähr, das, was Pierre Overnoy für den Jura ist. Er hat quasi zwei Nachfolger und keiner ist mit ihm verwandt. Brice Omont betreibt die Domaine des Ardoisières. Die Trauben aus Grisards Weingärten in Frétérive, Arbin und Cruet vinifiziert Clement Giachino. Bei der Altesse 2015 haben es die Hefen mit dem Restzucker gut gemeint. Caviste Rudolf weiß von einem seiner Lieblingsweine, dem Marestel von Dupasquier, dass es Einfacheres gibt, als halbtrockene Weißweine zu verkaufen. Aber darauf kann der Rudl bei diesem Wein keine Rücksicht nehmen. Erstens vermutet Monsieur Rudolf einen Batzen Lagerfähigkeit hinter diesem Wein und zweitens passt Prieuré Saint Christophe Blanc 2015 heute schon gut zu Nachspeisen. Und zu Weihnachtskeksen.

  • Prieuré Saint Christophe Blanc 2015, Domaine Giachino, Chapareillan, AOP Roussette de Savoie (6/9)

Josef Lentsch, Dankbarkeit

Der würdigt neben dem Trainer ganz besonders Franz von Assisi. Den Rudl überzeugt so etwas mehr von einem verantwortungsbewussten Verhältnis zur Natur als Frauenpopos auf Weinetiketten.

  • Welschriesling Auslese „Schrammel“ 2017, Josef Lentsch, Dankbarkeit (4/6)

Domaine de la Tournelle

Emmanuel Houillon ist der Weinbauer, der Weingut und Wirken von Pierre Overnoy übernommen hat. Nur bekommt man von dem so gut wie nirgends einen Wein. Pascal Clairet aus der Nachbarstadt Arbois hat auch ziemlich viel von Monsieur Overnoy gelernt. Und am Bistrot de la Tournelle, das er mit seiner Frau bei Schönwetter direkt am Bach führt, sollte man nicht vorbei fahren, auch wenn der Rudl sonst zurückhaltend mit Empfehlungen ist.

  • Macvin du Jura, Domaine de la Tournelle, Arbois, AOP Macvin du Jura (5/8)

 

(in Klammern die Preise für das Sechzehntel und das Achtel)

Nicht ausschließlich diese Weine, sondern auch noch den einen oder anderen Giachino können Sie kommende Woche glasweise erstehen

am Dienstag, den 19. November und am Donnerstag, den 21. November

von 16 bis 22 Uhr

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22

Vorschau auf die Lehrveranstaltung vom 26. und 28. November

möglicherweise Orangen

Im Übrigen ist Rudolf Polifka der Meinung, dass man den 27. Jänner, den Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu einem europäischen Feiertag der Menschenwürde erklärt!

Herr Rudolf pfeift mit den Spatzen auf Billigflieger und Weinzeitgeist!

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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien

Öffnungszeiten: Dienstag und Donnerstag, 16 bis 22 Uhr, an Schultagen

kostenlose und CO2-minimierte Zustellung innerhalb von Wien ab einem Bestellwert von 57