Kohlensäure, Zucker und die Photosynthese

Physik und Chemie haben den Rudl immer schon interessiert, besonders solange er sich nicht damit befassen müssen hat. Es ist, wie wenn es gestern gewesen wäre. Da hat der Rudl seine Mama gefragt, wie so ein Fotoapparat funktioniere. In der zweiten Klasse am Gymnasium werde der Rudl Physik haben und etwas über dieses und andere Geräte erfahren, hat die mittelergiebige Antwort damals gelautet. Mehr zum Leuchten brachten den Rudl seine Augen Hinweise, dass es in der dritten Klasse dann sogar einen Gegenstand Chemie geben werde. Was irgendwie mit Feuer und Funken zu tun hat, war für Herrn Rudolf in dessen Kindheit ein Faszinosum. Die Hinweise auf die entsprechenden Unterrichtsgegenstände waren geeignet, die Vorfreude auf die entsprechenden Schulstufen zu schüren. Der Erwartungen konnten dann fast nur mehr enttäuscht werden. So sollten Chemie und Physik die beiden Gegenstände sein, an denen eine erfolgreiche Bewältigung der Schullaufbahn durch den Rudl je realistisch scheitern hätte können. Ähnlich dem Interesse für Steine ist das Interesse für Physik und Chemie erst wieder im Zusammenhang mit Wein erwacht, vor allem im Zusammenhang mit der Transformation, die für Wein entscheidend ist.

Zucker

Für Zucker hat der Rudl auch immer ein Faible gehabt. Aber anders als bei Chemie und Physik hat er beim Zucker immer schon gewusst, was er an dem hat. Das kontinuiert in den Wein hinein. Ohne Zucker kein Alkohol und ohne Alkohol kein Wein, auch wenn es an Versuchen, das Gegenteil zu beweisen, nicht mangelt.

In diesem Zusammenhang erlaubt sich Caviste Rudolf einen Hinweis in Form einer Frage: Wissen Sie, geschätzte Oenologin, geneigter Oenologe, wer am ersten Geschäftstag der Weinhandlung Rudolf Polifka, damals noch ohne fils, der Erste gewesen ist, der das dem Rudl sein Geschäft betreten hat?

Es war ein Herr, der, wie sich im Verlauf des Gesprächs erweisen sollte, Jahre daran gearbeitet hatte, alkoholfreien Wein herzustellen. Der Rudl ist nicht abergläubig. Aber es gibt vermutlich erfolgversprechendere Vorzeichen bei der Eröffnung eines Weingeschäfts.

So oder so

Der Photosynthese zu verdankender Zucker in der Weinbeere wandelt sich bei der Gärung in Alkohol. Das versteht sogar der Rudl.

Windhauch

Kollateralresultat der Gärung sind Thermik und Wind. Im Fall von Stillwein verflüchtigt sich der Wind weitgehend. Man kann ihn aber auch einsperren. Viel mehr muss man über Schaumwein nicht wissen.

Und der Rest?

Zucker, der nicht zu Alkohol vergärt, wandelt sich nicht nur nicht in Alkohol, sondern ist gewissermaßen auch verhinderte Thermik und Wind.

Dazu drängt es Caviste Rudolf doch, das eine oder andere anzumerken.

Resistiert sehr viel Zucker einer Gärung, dann hat man es mit einem Süßwein zu tun. Den trinken viele zur Nachspeise, sei sie süß oder auch käsig. Der Rudl isst, abgesehen von den Somlauer Nockerln beim Wirt und Winzer seines Vertrauens kaum einmal eine Nachspeis. Er trinkt stattdessen gelegentlich einen Süßwein quasi als Dessert.

½ so siaß

Entzieht sich nur ein kleiner Teil des Traubenzuckers der Gärung, ergibt das halbtrockene bis süße Weine. Und die können belanglos bis spektakulär schmecken. Oft ist Ersteres der Fall, vor allem wenn zu wenig Säure im Spiel ist. Vermutlich ist das der Grund, warum halbtrockenen und lieblichen Weinen fast überall außerhalb des Elsass‘ eine ziemlich schlechte Nachred‘ voraus eilt. An und für sich ist der Rudl jetzt keiner, dem der Zuckerspitz ein Herzensanliegen ist. Aber ein paar halbtrockene Weine gibt es seines Erachtens schon, für die Caviste Rudolf weit geht. Ganz besonders angetan haben es ihm reife Weine mit Restsüße. So oft trifft man nicht auf reife Weine. Dem Rudl kommt vor, immer seltener. Trifft man einmal ja auf einen, dann ist das auffallend oft einer mit ein paar Gramm der Gärung widerspenstigem Zucker. Das kommt zumindest dem Rudl so vor. Erklären tut sich Herr Rudolf das mit seinem Weinabsatz. Kaum einmal kauft einer einen nicht trockenen Wein bei ihm. Darum reposieren die ersten Jahrgänge Marestel von Dupasquier beispielsweise heute nocht im Keller vom Rudl. Tragisch ist das ganz und gar nicht, zumal momentan die Maresteljahrgänge aus den Neunziger Jahren gut in Form sind.

Marestel

Ein Cru, der nach einem Oberkellner benannt ist. Auch das muss genügen.

Altesse …

ist vielleicht sowieso eine Rebsorte, die gar nicht so schlecht für den halbtrockenen Ausbau geeignet ist. Die späte Reife gewährleistet Säure und die Aromatik scheint nach ein paar oder mehreren Jahren der Trüffelisierung nicht ganz abgeneigt zu sein. Monsieur Rudolf hat sich einmal die Gaudi gemacht, mit ein paar sachkundigen Freunden, „amis connaisseurs“ heißt die der Franzose, dem Marestel ein paar Jurançons, bei denen Trüffelnoten im Alter ja mehr oder weniger zur job description gehören, an die Seite zu stellen. Direkt unangenehm ist der Marestel in diesem Ambiente nicht aufgefallen.

Prieuré Saint Christophe Blanc

Dann gibt es da in Fréterive einen Altesse-Weingarten. Früher hat den Michel Grisard geführt. Der hat nicht nur gmeinsam mit Nicolas Joly die Renaissance des Appellations gegründet, sondern auch mit Brice Omont in einer ziemlich wahnwitzigen Aktion den Weinberg von Cevins rekultiviert. Der war ganz früher einmal ziemlich prestigeträchtig, zur Zeit seiner Reaktivierung aber schon längere Zeit viel mehr eine Gstättn mit sechzig Percent Gefälle.

Michel Grisard hat unabhängig von all dem quasi als savoyardischer Biodynamiepionier in Fréterive sein Weingut geführt. Bis zum Jahrgang 2014. Dann ist sogar er in die Rente gegangen. Die Giachino Brüder haben sein Weingut übernommen. Etwas Schlimmeres kann einem Weingarten passieren. Seither hat die Domaine Giachino eine zusätzliche reinsortige Altesse Prieuré Saint Christophe Blanc und eine nämliche Mondeuse als Prieuré Saint Christophe Rouge im Sortiment. Beide sind auch graphisch vom Rest des Sortiments abgesetzt. Der weiße Fünfzehner weist deutlichen Restzucker auf. Das hat den Rudl beim ersten Schluck irritiert, weil er von Michel Grisard ausschließlich trockene Weine kennt. Unbefangen genähert findet er die fünfzig Gramm Restzucker, die die Gärung quasi stehen gelassen hat, außerordentlich gut, jetzt schon und präspekulativ noch viel mehr.

Wiglwogl

Und dann gibt es da noch einen Wein, der gewissermaßen die Brücke zwischen Restzucker und Kohlensäure repräsentiert.

Graf Sauvignon 2011 von Maria und Sepp Muster hat keine Anstalten gemacht durchzugären. Sepp Muster ist nicht der Weinmeister, der so etwas nicht akzeptieren könnte. Drum hat er den Wein halbtrocken abgefüllt. In der Flasche hat der Graf dann aber seine Lebensplanung geändert, wie das ein früherer Bundeskanzler einmal ausgedrückt hat, und hat wieder angehoben zu gären. Die Luft ist dann natürlich nicht draußen.

  • Prieuré Saint Christophe Blanc 2015, Domaine Giachino, Chapareillan, AOP Vin de Savoie (6/9)
  • Marestel 2011, Domaine Dupasquier, Aimavigne, AOC Roussette de Savoie (4/6)
  • Graf Sauvignon 2011, Maria und Sepp Muster, Schlossberg, Steierland (5/8)
  • Rosé Frizzante, Dankbarkeit (2,50/4)
  • Frizzante, Friedrich Kuczera (2,50/4)
  • Giac‘ Bulles (pétiallant naturel), David et Fred Giachino, Chapareillan, AOP Vin de Savoie (4/6)
  • Perles d’Aimavigne (méthode traditionelle), Domaine Dupasquier, Aimavigne, AOC Vin de Savoie (3/5)
  • Les Perles du Mont Blanc (méthode traditionelle), Dominique Belluard, Ayse, AOC Vin de Savoie
  • Crna (méthode traditionelle), Branko und Vasja Čotar, Komen, Kras, Slowenien (5/8) – wirklich dunkler Schaumwein

(in Klammern die Preise für das Sechzehntel und das Achtel)

Selbstverständlich nicht ausschließlich diese Weine kredenzt Monsieur Rudolf

am Mittwoch, den 20. Dezember und am Freitag, den 22. Dezember

von 16 bis 22 Uhr,

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22

wobei es am Freitag, den 22. zu späterer Stunde sein könnte, dass der eine oder andere Schaumwein glasweise nicht mehr verfügbar ist. Der Rudl ersucht um Nachsicht.

 

Suppe mit Sinn

 

Isabellaglühwein

 

Vorschau

Vom 23. Dezember bis 7. Jänner finden die einschlägigen Forschungen föderalisiert und dislociert statt. Schulmeister Rudolf Polifka hofft, Sie nach den Weihnachtsferien wieder in seiner Zentralanstalt für Wein- und Weltwissen begrüßen zu dürfen.

Thema der ersten Lehrveranstaltung im neuen Jahr vermutlich:

Altesse Vertikale, Jacques Maillet

Frohe Weihnachten, einen guten Rutsch & und auf alle „Menschen, die wirklich guten Willens“ sind, wie es der Kurtl einmal ausgedrückt hat!