Oenologie zum Faschingsdienstag: AOC, DOC, DAC … Fragen der Erkennbarkeit? … und ein Edelwein, der die Reblaus überlistet hat, am 13. Februar von 16 bis 20 Uhr

Den Fasching nennen sie die Narrenzeit. Da darf man als etwas anderes gehen, als man ist. Oder man darf das sein, was man eigentlich gerne immer wäre, sich aber nur im Fasching zu sein traut. Aber das ist eine Frage für die Psychologie. Der Rudl ist kein Psychologe, sondern dilettierender Oenologe. Und als solcher hat er ein bissl am System der französischen Appellationen geforscht.

Appellations d‘Origine Contrôlées

Im Jahr 1935 ist die französische INAO, das Comité National des Appellations d‘Origine, ursprünglich ausschließlich für Wein gegründet worden. Das war ein oenologischer Durchbruch, möglicherweise einer der allerentscheidendsten. Mit der Gründung der Appellations d‘Origine Contrôlées sollte Wein an seine Herkunft gebunden werden, danach schmecken und im Idealfall daran erkennbar sein. Den Anfang haben am 15. Mai 1936 die Appellationen Châteauneuf-du-Pâpe, Cassis, Tavel, Montbazillac und Arbois gemacht, darauf folgen bald einmal eine ganze Reihe aus dem Bordelais und aus Burgund. Für den Rudl ist die geographische und zeitliche Gebundenheit von Wein etwas vom Allerfaszinierendsten an diesem Lebens- und Genussmittel. Professionell geschulte Kostkommissionen müssen nach einem normierten Verkostungssystem mit normierter Sprache Appellationswein beurteilen, Kriterium: Schmeckt der Wein nach seiner Herkunft, nach seinem Terroir? Das kann man als Regulierungsexzess missverstehen. Auf alle Fälle setzt es höchste sittliche Bildung von Geschmack, Verkostungstechnik und schon auch Sprache voraus, wenn es nicht in einem Fiasko aus nichtssagenden bürokratischen Floskeln enden soll. Und auch ein Äutzerl Demut würde nicht schaden, weil man eine treffende sensorische Analyse samt Beschreibung trotz aller Bemühung, Schulung und Standardisierung nicht erzwingen kann, wahrscheinlich gerade so wenig wie einen großartigen Wein im Keller. Vermutlich ist dieser hohe moralische Anspruch für viele Mitglieder von vielen Verkostungskommissionen eine Überforderung. Darum werden heute nicht nur die Weine, denen die Eignung für eine Appellation abgesprochen wird, mehr, sondern auch die oft jungen Weinbäuerinnen und Weinbauern, die aus den Appellationen aussteigen, beziehungsweise dort erst gleich gar nicht Mitglied werden. Unstrittig ist, dass sinnvolle Maßnahmen in fast allen Lebensbereichen Gefahr laufen, zum Selbstzweck zu mutieren und in Formalismus zu erstarren. Dazu muss man nicht gleich in das Bildungssystem schauen, wo derartige Uniformisierungsexzesse besonders markant zutage zu treten scheinen.

Austreten oder verändern?

Eine Gegenbewegung war vermutlich weniger eine Frage des Ob als eine des Wann. Und schauen Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, das ist wieder so etwas, was der Rudl kurios findet. Die Naturweinbewegung hat in den 50er Jahren beim Chemiker, Weinhändler und Weinbauern Jules Chauvet im Beaujolais ihren Ausgang genommen und sich dann über Weingüter wie Marcel Lapierre, Nicolas Joly, Pierre Overnoy, Rayas, Pierre Frick sowie andere Eigensinnige verbreitet. Ziel war es, wieder die Herkunft anstatt die Chemielabors im Weinglas zugänglich zu machen. Der Weg war einer, auf dem zwischen notwendigem chemischen Wissen und zu vermeidenden chemischen Substanzen unterschieden worden ist. Pierre Overnoy, Jacques Maillet und viele andere Winzerinnen und Winzer sind auf diesem Weg geblieben. Was ein Mann wie Pierre Overnoy über die unterschiedlichen Arten von Hefen, Bakterien und Reaktionen sowie diese hemmenden oder beflügelnden Temperaturen, Luftfeuchtigkeiten et cetera weiß, beeindruckt den Rudl wie nicht viel anderes. Und auf die Gefahr, die Grenzen zur Polemik jetzt zu überschreiten, stellt der Rudl in den Raum, dass irgendwann in Teilen der Naturweinszene bunte Hemden, Etiketten und Tätowierungen wichtiger geworden sind als etwa das Wissen, wie man Gärung steuern muss, um ohne Schwefel saubere Weine zu keltern. Für Weintrinkerinnen und Weintrinker ist es dadurch nicht übersichtlicher geworden. Der Rudl hofft, Ihnen diese Woche sechs Gegenden im Glasl schmecken zu lassen. Und unter „Gegend“ versteht Caviste Rudolf Polifka nicht nur irgendein abgegrenztes Territorium oder eine Mode, sondern einen Platz aus Steinen, Regenwürmern, Pilzmycelien, organischem Dreck und weinbäuerlicher Virtuosität.

  • La Pucelle de Romorantin 2021, Domaine de la Charmoise, Vin de France (6/9)

    Was passiert, wenn jemand 1967 an der Loire zwanzig Hektar Weingarten mit hybriden Reben erbt? Vielleicht nicht immer Erfreuliches. Aber in diesem Fall hat der Weinmeister zuerst einmal gleich die hybriden Reben gerodet, weil er keinen Uhudler machen wollte. Der silexhaltige Ton mit Sand und Kieselsteinen hat ihn vielmehr auf die Idee gebracht, auszuprobieren, ob man nicht vielleicht die Reblaus austricksen, unveredelte Edelweinrebsorten pflanzen und so den Geschmack europäischer Weine vor der Reblauskatastrophe ergründen könne. Romorantin war eigentlich aus Burgund an die Loire eingewandert, und zwar schon vor einem ziemlichen Zeitl, nämlich am Beginn des sechzehnten Jahrhunderts. 1993 hat die französische Weinbauadministration für diese Rebsorte die Appellation Cour-Cheverney geschaffen. Das ist schön für Romorantin-Stöck, die dort stehen. Tun sie das nicht, dann darf auf Weinen aus diesen Rebstöcken nicht Loire stehen, sondern nur Vin de France, auch wenn die Loire gar nicht weit weg ist.

  • Jacquère „Jonona“ 2021, Côteaux des Girondales, Villaz, Haute-Savoie, Vin de France (4,50/7)

    Um den Grad an Herkunftstypizität der Weine von Françis Rousset zu überprüfen, müsste eine Verkostungskommission eine Zeitreise in das 1731er Jahr durchführen. Damals sind auf den Hängen von Villaz zum Lac d‘Annecy hinunter Weinreben gestanden. Der entsprechende Kataster aus der sardischen Epoche ziert heute das Etikett der Weine von Françis. Nach 1731 haben irgendwann nicht nur die Sarden, sondern auch die Weinreben einen Abgang gemacht und Wald hat sich der heutigen Côteaux des Girondales bemächtigt, bis 2016. Da ist Françis aus Kanada zurück gekommen, hat den Wald auf dem Grundstück des Schwiegervaters gerodet und einen Weingarten gepflanzt. Nach der Domaine des Ardoisières in dieser Weinbauregion ziemlich sicher das waghalsigste Unterfangen.

  • Lys-rǿd 2018, Franz Stohmeier, Lestein, Schilcherlandwein (4,50/7)

    1998 hat der Rudl zum ersten Mal bei Franz Strohmeier Wein gekauft. Zuvor hatte er von einem ganz besonderen Schilcher mit der wunderbaren Lagenbeziechnung Lestoa gelesen. Dass der Lestoa im Barrique ausgebaut war, wird wohl auch ein Grund für die Attraktion des Rudls zu diesem Wein gewesen sein. In den neunziger Jahren war ein im Zweihundertzwanzigliterfass ausgebauter Weiß- oder in diesem Fall sogar Roséwein auch für den Rudl etwas besonderes Interessantes. Und der 1997er Lestoa war ganz bestimmt einer der besten Schilcher, die der Rudl getrunken hat. Der hat seinerzeit sogar noch eine Prüfnummer bekommen. Um die bemüht sich Franz Strohmeier längst nicht mehr. Für die Länder, in denen er seine Weine verkauft, braucht er sie auch nicht.

  • Marius & Simone 2020, Giachino, Chapareillan, Vin de France (5/8)

    In den Bergen leben viele Menschen sehr traditionell. Das hat oft ausgesprochen positive Seiten. So war die Resistance gegen das Dritte Reich in Savoyen und Hoch-Savoyen ganz besonders aktiv. Eine Facette des savoyardischen Traditionalsimus ist auch, dass ein maischevergorener Wein wie Marius & Simone von den Giachinos nicht so schnell „die Appellation bekommen“ wird. Da kann er noch so präzise und sauber sein.

  • Rouge 2021, Domaine Ilarria, Irouléguy, Vin de France (5/8)

    Peio Espil ist kein Manitou der Schwefelexorzisten, aber er geht beim Schwefeln stets an das unterste Limit. Das liegt bei dieser Art von Wein jedes Jahr wo anders, hat aber viel mit Erfahrung, Geduld und Risiko zu tun, stets ein hoher Einsatz mit der Möglichkeit des Scheiterns, aber auch der Weg, auf dem die wenigen wirklich extraordinairen Weine entstehen. Die Verkostungskommission hat beim roten Einundzwanziger einen Mangel an Typizität diagnostiziert. Die Familie Espil hat das dem Rudl vor dessen Bestellung mitgeteilt. Der Rudl hat den Wein trotzdem bestellt und ist froh darüber.

  • Les Grandes Jorasses 2020, Dominique Belluard und Domaine du Gringet, Ayse, Haute-Savoie, Vin de France (9/14)

    Halb klassische Altesse, halb maischevergorene, absolut sauber, aber in einer konservativen Weinbauregion wie Savoyen kein Wein für die Appellation.

  • Zierfandler 2021, Friedrich Kuczera, Bergwein aus Österreich (2,50/4)

    Und dann ist da noch Monsieur Friedrich Kuczera. Wahrscheinlich ist er einer der wenigen in Gumpoldskirchen, die den Zierfandler noch so machen, wie man ihn früher gemacht hat, keine Holzsuppe, sondern großes altes Holzfass. Heute scheint das nicht mehr gebietstypisch zu sein. Womöglich sagt das mehr über Friedrich Kuczera als über Gebietstypizität.

    Diese sechs Weine und ein paar Gläser Vin Jaune kredenzt der Rudl

am Dienstag, den 13. Februar von 16 bis 20 Uhr

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22

Am Faschingsdienstag grüßt Herr Rudolf Erkennbare und Unerkennbare! Gut müssen sie sein.

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Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22, 1150 Wien