Gamay und Welschriesling: Montag, 14. November von 17 bis 21 Uhr

Nochamal

Mit dem Versuch, ein kleines Weingeschäft abseits lauten Marketinggetöses, sinnfreier Angeberphrasen und entwürdigender Rabattschlachten zu betreiben, hat man sich schon vor dem März 2020 keine Goldgrube geschaufelt. Dann sind Sperrstunden, -tage, -wochen und -monate gekommen, mit ihnen jede Menge Webshops von Winzerinnen und Winzern, von denen manche behaupten, kostenfrei Wein zu versenden. Für solche Weine ist ein Geschäft wie das vom Rudl wie ein Schuhlöffel für einen Badeschlapfen. Und in Wien ein Weingeschäft ausschließlich mit Weinen aus Savoyen und Irouléguy zu führen, da gibt es auch zwei oder drei einfachere Sachen. Andernfalls würden das wohl mehrere machen.

Krise

1978 hat Lukas Resetarits in seinem zweiten Kabarett-Programm eine Krise gefordert. Das stimmt nicht ganz, eigentlich nur als Titel. Er hatte erkannt, dass Krisen – veritable oder inszenierte – manchmal jenen politischen Kräften gelegen kommen, die mit demokratischen Grundprinzipien nicht per Du sind. Und dass man Krisen auch machen oder herbeireden kann, das ist auch keine ganz neue Erkenntnis.

Es gibt in Österreich Menschen, die arm sind. Sie leiden unter den steigenden Energiekosten. Bevor jemand friert, muss der Staat, wenn er sich nicht blamieren will, helfen. Aber wenn jemand meint, es sei unter ihrer oder seiner Würde, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, dann ist das zumindest in der Stadt, nicht selten aber auch am Land seine respektive ihre Entscheidung. Der Rudl ist auf dem Land aufgewachsen. „Land“ ist ein Euphemismus für die Abgelegenheit dieser Ortschaft. Und aufgrund desaströser öffentlicher Verkehrsmittel dort hat er im siebenundachtziger Jahr ein Konzert vom Herrn Kurt, der seinerzeit noch der Kurti war, im Volksheim in Salzburg versäumt. Blede G‘schicht, aber nicht die Verantwortung des Staates, der nicht die Aufgabe hat, Schadstoffausstoß und Energieverschwendung zu subventionieren.

Nicht alle, die jetzt jammern, schreien und Hysterien verbreiten, leiden an einer Krise.

Einerseits scheint nicht alles, was jetzt an Krisen-Lamento artikuliert wird, volkswirtschaftlich haltbar zu sein. Wo ist eigentlich die Psychologie, wenn es darum geht, den verantwortungslos geschürten Anteil der Krise als solchen erkennbar zu machen?

Andererseits scheint dem Rudl nicht das gesamte Ausmaß der Teuerung kausal mit dem verbrecherischen Angriff auf die Ukraine in Verbindung zu stehen. Ein gar nicht so kleiner Teil scheint relativ plausibel und schlicht als Krisengewinnlerinnen- und Krisengewinnlertum erklärbar zu sein.

Und zum Dritten führt der Rudl die gegenwärtige Situation auch ganz stark darauf zurück, dass Industrienahrungsmittel und Energieverschwendung in den letzten dreißig oder vierzig Jahre zu billig, in Anbetracht ihrer destruktiven Folgen viel zu billig waren, als darauf, dass sie jetzt nicht mehr ganz so billig sind wie noch vor fünf Jahren. „Über die Verhältnisse gelebt“ ist ein etwas altmodisch anmutender Terminus. Der Rudl ist der Meinung, dass er die gegenwärtige Lage ganz gut trifft, wobei zu ergänzen wäre, dass vor allem der reiche Nordwesten auf Kosten vieler Menschen im Süden und im Osten über die Verhältnisse gelebt hat. Zu fragen wäre darüber hinaus, ob das, was in den letzten Jahrzehnten um einen Nasenrammel zu erstehen und bei Missfallen auch gleich wieder kostenfrei zu retournieren war, wirklich zu einem guten Leben, das diesen Namen auch verdient, gehört. Dass mit dem Konsumkult genauso wie mit Fundamentalismus und Nationalismus in der Regel jene abgespeist werden, die sonst nichts haben, möchte Citoyen Rudolf nur nebenbei angemerkt haben. Und dass ausgerechnet jene politischen Kräfte, die vor etwa hundert Jahren Mündigkeit und Freiheit über den Weg der Bildung erreichen wollten, jetzt besonders laut nach staatlicher Unterstützung von stupidem Konsumkult und Energieverschwendung schreien, ernüchtert den Rudl.

Öffnungszeiten

Wenn die Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils jetzt nicht mehr so oft und so lange geöffnet ist wie früher, dann hat das jedenfalls nichts mit einer Energiekrise zu tun. Eine solche existiert vor allem insofern, als der längst als notwendig bekannte Ausstieg aus fossilen Energieträgern, wenn überhaupt mindestens dreißig Jahre zu spät kommt. Es hat natürlich auch nichts mit Personalengpässen, Pensionierungswellen oder Krankenständen zu tun. Und auch nichts mit dem verlogenen Verbrecher im Kreml.

Der Rudl ist im Südburgenland an einem Gasthaus vorbei gegangen. Vor diesem Gasthaus stand eine Tafel mit der Aufschrift: „Aufgrund der hohen Energiepreise leider geschlossen“. In den letzten drei Jahren ist der Rudl auch an diesem Gasthaus vorbei gegangen. Da war es auch immer geschlossen.

Beaujolais Primeur – vinifizierte Ungeduld?

Nächsten Donnerstag ist es wieder so weit: Nach dem dritten Mittwoch im November wird jener Beaujolais, der es mit dem Vergären gar nicht mehr erwarten können hat … oder mit dem Chemiekasten dazu gebracht worden ist, in Verkauf gebracht. Jahrgang 2022.

An sich ist es eine mindestens bis in das neunzehnte Jahrhundert zurückzuverfolgende Tradition des „vin de primeur“, wenn Weinbäuerinnen und Weinbauern das Ende der Lese feiern, indem sie mit dem neuen Wein oder mit dem, was am Weg dazu ist, anstoßen. Im Fall des Beaujolais kamen dann Wirte aus Lyon auf die Idee, sich den frischen Beaujolais in Holzfässern auf der Saône herunter flößen zu lassen. 1937 wurde Beaujolais dann in den Rang einer Appellation d‘Origine Contrôlée erhoben. Damit wurde der Verkauf ab 15. Dezember zugelassen. Die Ungeduld wuchs und 1951 wurde der Verkaufsstart um ein Monat vorverlegt. Englische Importeure lieferten sich gegenseitig regelrechte Lastautorennen, wer zuerst und am meisten Beaujolais Primeur daher zerren konnte. 1985, zwei Jahre bevor sich in der Steiermark die ersten Winzer zusammen taten, um einen Jungwein zu etablieren, setzte man der Start des Verkaufs ab Keller mit 00 01 Uhr am dritten Donnerstag im November festgesetzt. Dann hat der Neoliberalismus Fahrt aufgenommen und die Welt wurde weit vor dem dritten Novemberdonnerstag mit Beaujolais Nouveau geflutet, eh mit einem Karterl versehen, bitteschön halt so lieb und nett zu sein, diesen nicht vor dem dritten Donnerstag an den Endverbraucher abzugeben.

Steirischer Junker, Primus Pannonikus, Junger Wiener, … Dann hat es geschäftstüchtige Weinbauern gegeben, die nicht bis November, wenn der Junker in Verkehr gebracht wird, warten wollten. Die haben schon Wochen vorher einen „Jungen Steirer“ ausgeschenkt. Der Jungweinkult hat viele Namen und noch mehr Gesichter. Gegen wenige davon hätte Monsieur Rudolf etwas einzuwenden, wären sie nicht derartig aggressiv von der Dogmatik des Marketings gezeichnet, diese ihrerseits von der Ungeduld, welche wiederum vom Wachstum, das wiederum vom Chemiekasten und der von einem grausligen Gesschmack.

Einer ganzen Rebsorte hat das stark zugesetzt. Fragen Sie, geneigte Oenologin, gewogener Oenologe, heute mittelweinaffine Zeitgenossinnen oder Zeitgenossen nach Gamay, werden Ihnen die meisten ziemlich schnell einmal mit Beaujolais Primeur daher kommen. Und nicht alle davon werden damit erfreuliche geschmackliche Assoziationen in Verbindung bringen. Gerecht ist das nicht, denn der Gamay kann nichts dafür. Das zeigen gute Morgons und die anderen neun Crus sehr eindrucksvoll, vor allem nach zwanzig oder dreißig Jahren. Darüber hinaus sollte man nie vergessen, dass das, was man heute als Naturweinbewegung kennt, im Beaujolais ihren Ausgang genommen hat. Dazu etwas später mehr.

Wenn man die Dimensionen auch sicher nicht vergleichen kann, so ist das Schicksal des Welschrieslings vergleichbar. Früher eine Rebsorte, die manche Winzer als letzte gelesen haben, heute gar nicht so selten zentraler Bestandteil irgendwelcher Jung- und Jüngstweine, weingewordener Granny Smith.

So sind Gamay und Welschriesling nicht, wobei der Rudl über den Welschriesling schon deutlich mehr geschrieben hat als über Gamay, darum …

Gamay

ist eine natürlich Kreuzung aus Pinot Noir und Heunisch. What else? Man könnte Gamay als Kind des Gemischten Satzes betrachten. Über Jahrhunderte sind Pinot Noir und Heunisch in der Champagne und in Burgund im Gemischten Satz nebeneinander gestanden, irgendwann vermutlich sehr eng nebeneinander und dann war auf einmal Gamay da.

Angebaut wird dieser auf gut 30.000 Hektar Rebfläche vor allem in Frankreich, deutlich mehr als die Hälfte davon steht im Beaujolais. Vorkommen tut er auch in der Schweiz und im Aosta-Tal, ziemlich sicher auch in der sogenannten neuen Welt. Zu den Weinen, die in China nachgebaut werden, zählen Weine aus der Rebsorte Gamay eher selten, wobei das wieder nicht bedeutet, dass Gamay nicht berühmt werden kann. Der unbestrittene Ahnherr des Naturweins und der Vinifizierung ohne Schwefelzusatz, der Lyoner Professor für Chemie, Jules Chauvet, war ein Gamay-Winzer aus La Chapelle im Beaujolais, reinsortig.

In Burgund haben zuerst Benediktiner und Zisterzienser sehr viel mit Gamay herumgetüftelt und sondiert, wo er die besten Resultate erbringt. Von einem Dorf an der Côte d‘Or hat die Rebsorte auch ihren Namen. Trotzdem hat Philipp der Kühne dann im 14. Jahrhundert die Konkurrenz, die von Gamay gegenüber dem heiklen Pinot Noir ausgegangen ist, erkannt und Gamay als ungesunde und „unehrenhafte“ Traube aus den Weingärten dieser Gegend verbannt. Dieser wiederum hat sich davon nicht sonderlich beirren lassen und ist in die südlicher gelegenen Granit-Terroirs des Beaujolais ausgewichen, was sich nicht als das allerschlechteste Pflaster für diese Rebsorte erweisen sollte.

  • Gamay 2018, Dupasquier, Aimavigne, AOP Vin de Savoie (3/5)

    Kalk aus dem Kimmeridge & die alte Schule der Vinifizierung

  • Morgon „Vieilles Vignes“ 2020, Jean-Paul und Charly Thévenet, AOP Beaujolais (6/9)

    Etwas mehr als einen Hektar Morgon bewirtschaftet der alte Thévenet mit seinem Sohn. Der befindet sich im Norden des Weinbaugebiets und zeichnet sich durch Granit aus.

    Jean-Paul Thévenet wiederum war einer der Hawara von Marcel Lapierre. Die „Bande“, wie sich sich selber nannte, rührte in den Achtziger Jahren ordentlich um. In Zusammenarbeit dem dem erwähnten Chemiker Jules Chauvet zeigte sie der Welt erstens, dass es auch ohne Schwefelzusatz geht und zweitens, dass weder Uhu noch Essig dann das Resultat sein muss. Bis zu Pierre Overnoy in das Jura hat sich das herumgesprochen.

  • Vieilles Vignes Tigerno 2019, Clos Luern, IGP Puy-de-Dome, Auvergne (6/9)

    1200 Flascherl gibt es von diesem Wein der Micro-Domaine aus der Auvergne. Präziser und terroirspezifischer Wein unter Einsatz moderner technischer Mittel, aber unfiltriert und ohne Schwefel oder Schönungsmittel aus dem Chemiekasten. Hundert Jahre alte Reben von Gamay d‘Auvergne – Weinbäuerinnen und Weinbauern aus der Auvergne freuen sich nicht besonders, wenn man diese Spielart mit dem Gamay aus dem Beaujolais verwechselt. Vulkanboden, acht Monate in 160 Liter-Tonamphoren ausgebaut – ein Wein, von dem der Rudl nicht alle Achteln, die das Flascherl enthält, ausschenken wird.

  • Argile Rouge 2018, Domaine des Ardoisières, Saint Pierre de Soucy, IGP Vin des Allobroges (6/9)

    65 % Gamay, 24 % Mondeuse Noire und 10 % Persan auf Schiefer-Mergel-Boden – Diesen Wein hat der Rudl jetzt schon ein Zeitl nicht mehr kredenzt. Er könnte schön langsam ziemlich gut sein.

  • Welschriesling Am Spitz 2018, Rudolf Klein, Hölle, Neusiedlersee (3/5)

  • Welschriesling vom Opok 2017, Maria und Sepp Muster, Schlossberg (4/6)

  • Welschriesling vom Opok 2020, Sternat-Lenz, Remschnigg, Südsteiermark (4/6)

  • Adaxl Welsch 2019, Alfred und Helga Weber, Deutsch-Schützen (4,50/7)

und von drei orangen Weinen der letzten Woche (Erde, Gräfin, Marius & Simon) ist am Montag zumindest um 17 Uhr auch noch etwas da.

Montag, 14. November von 17 bis 21 Uhr

in der Weinhandlung Rudolf Polifka et Fils, Reindorfgasse 22.

Am Rudl seiner Meinung, dass der 27. Jänner, der Tag der Befreiung der Überlebenden aus dem Vernichtungslager Auschwitz, endlich zu einem europäischen Feiertag erklärt werden muss, hat sich selbstverständlich nichts geändert.

Ungeduldig grüßt der Rudl grüßt, die Geduldigen und auch die Ungeduldigen!