Es muss Mitte der neunziger Jahre gewesen sein: James Cagney erinnert den Polifka-Rudl in einem Espresso in Sechshaus höflich, aber bestimmt an eine alte Rechnung. Der unvergessene Günter Brödl schildert diese Begegnung in „Da Polifka Rudl und da Engel mitn dreckign Gsicht“. Und in den sechs Ostbahn Krimis taucht der Rudl dann noch viel öfter auf, als Cineast, Kinobilletteur in Rente, Nebenerwerbsgeldwechsler und Liebhaber von Fluchtachteln – mit den Helden des mehr oder weniger lehrreichen amerikanischen Kinos der Vor-, aber auch Nachkriegszeit auf Du und Du, wie Dean Martin mit Montgomery Clift in Verdammt in alle Ewigkeit, würde der Rudl selber sagen. Die vier Kinos in der und um die Reindorfgasse hat es damals schon nicht mehr gegeben. Und es ist viel Wasser den Wienfluss hinunter geronnen seither. Der Polifka-Rudl hat sein Glück im Kabel-Fernsehen gesucht, aber nicht gefunden. Die Kabel-Sender haben die Filmrechte an das Pay-TV verkauft und der Rest vom Programm ist noch schneller verblödet als die Zuschauer. Das ist dem Rudl zu bunt geworden.Er geht hinaus und sieht den ehemaligen Stricksalon von der Frau Gerty leer stehen …
Der Polifka-Rudl denkt an die Fluchtachtln und beschließt, die Seiten zu wechseln, lokaltechnisch. Vorher führt er am Geschäftslokal noch ein paar Sanierungsmaßnahmen durch. War der Rudl früher kein Verächter von Getränken aus dem Zwei-Liter-Gebinde widmet er sich jetzt dem oberen Ende der Weinqualitätsskala. Und er lässt sich nicht mehr (nur) einschenken, sondern er schenkt aus und verkauft Wein in Flaschen, französischen und österreichischen, vorwiegend aus biologischen Trauben. Im 15. Bezirk, in der Reindorfgasse, gleich gegenüber der Kirche und dem Quell, eine Weinhandlung, Vinothek, Weinbar, … whatever.
Die österreichischen Weine sind ein Querschnitt der heimischen Weinbaugebiete. Die französischen Weine stammten vor allem aus den Alpen (Savoyen, Hoch Savoyen) und den Pyrenäen (Süd-Westen).
Die Appellationen AOC Vin de Savoie und AOC Roussette de Savoie sind klein (2150 ha), um nicht zu sagen: für französische Verhältnisse in ihrer Größe unerheblich. Aber die Savoyarden genießen innerhalb Frankreichs, vor allem aufgrund ihrer turbulenten Geschichte, einen eigenständigen, ja rebellischen Ruf. Und das muss auf ihre Weine abfärben. Deren Gros wird zwar ohne Probleme in den Skistationen abgesetzt, aber es gibt daneben auch eine wachsende Zahl von Winzern, die auf sehr unterschiedlichen Böden unter verschiedenen klimatischen Bedingungen aus außerhalb Savoyens meist unbekannten Rebsorten ganz besondere Weine keltern. Im antiken Rom genossen diese Weine einen außerordentlich guten Ruf, die Appellation „Vins de Pays d’Allobrogie“ deutet heute noch darauf hin.
Die Weißweine aus den Rebsorten Altesse und Jacquère sind berühmt für Lindenblüten-, Alpenkräuter- und Honignoten, oft haben sie Haselnuss- und Mandeltöne, die Apremonts eine charakteristische Mineralik, wie jene von der Domaine Giachino. Die wachsen auf Geröllhalden und zeichnen sich besonders durch ihre kristallklare Präzision aus. Das „Steckenpferd“ von Fred Giachino und seinem Sohn ist es, aus dem als Skifahrerweinrebsorte verschrieenen Jacquère Terroirweine in sieben Weinstilen zu erzeugen, zwei schäumende und fünf stille.
Die über hundert Jahre alten Reben von Jacques Maillet (etwas weiter nördlich an den Hängen über Chautagne) wachsen auf pickelhartem Sandstein und sind etwas kräftiger als jene von Giachino.
Etwas weiter westlich, in einer atemberaubenden Kulisse unter dem Dent du Chat, über der Rhone müssen die Reben der Domaine Dupasquier mit einem Krampen in den Kalkfelsen gehauen werden. Die Weine sind besonders elegant, würzig und mineralisch.
Die Rotweine der Appellation Vin de Savoie werden aus den Reborten Gamay, Pinot Noir und den beiden autochthonen Persan und Mondeuse gekeltert. Vor allem Letztere bestechen durch Kraft, aber auch Veilchen- und Gewürzaromatik, mit manchmal ausgeprägten Pfeffernoten.
Die süd-westfranzösischen Weine könnten süd-westfranzösischer nicht sein. Sie stammen aus den Appellationen AOC Irouléguy, AOC Jurançon und AOC Jurançon sec. Vor allem Erstere ist in ihrer Ungewöhnlichkeit kaum zu überbieten: Im 12. Jahrhundert siedelten sich Mönche aus der Abtei von Roncevaux im kleinen Ort Irouléguy am Fuß der Pyrenäen an. Dort wo früher der erhabene Roland gekämpft hatte, sich jetzt die vom Atlantik herziehenden Regenwolken ihrer Last entledigen und im Oktober der Föhn von den Gipfeln weht, kultivierten sie Wein. Der wurde dann bis in die fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zusehends von der Schaf- und Viehzucht verdrängt – Käseliebhaber schätzen den Ossau-Iraty. Seit den Fünfziger Jahren besinnt sich eine wachsende Zahl von Winzern ihrer baskischen Weintradition und kultiviert auf etwa 200 Hektar Wein, viele davon biologisch und biodynamisch – auf einem der regenreichsten Flecken Frankreichs, 1500 mm Niederschläge pro Jahr. Die Hälfte davon wird von einer Genossenschaft (Cave d’Irouléguy) vinifiziert, die regelmäßig zu den besten des Landes gezählt wird. Über die Grenzen Frankreichs hinaus ist die Domaine Arretxea des gleich sympathischen wie kompromisslosen Ehepaares Therèse und Michel Riouspeyrous bekannt. Ihre weiße Cuvée Hégoxuri zählt zu den gefragteren und schwerer erhältlichen Weißweinen Frankreichs. Sie wächst auf einem geologischen Fleckerlteppich aus eisenhältigem Sandstein, Schiefer und vulkanischem Ophite. Corbu, Gros und Petit Manseng sind die für die AOC Irouléguy zugelassenen Weißweinrebsorten. Der 2010er Hégoxuri wird in der Weinhandlung Rudolf Polifka erhältlich sein, allerdings erst, wenn Monsieur Riouspeyrous ihn für trinkreif erklärt, das hat ihm der Rudl versprochen. Bis dahin kann man sich die Zeit mit dem Irouléguy Rosé derselben Domaine oder den Weinen der Nachbarn von Madame und Monsieur Riouspeyrous vertreiben. Die Domaine Ilarria bewirtschaftet vor allem kalkhältige Böden, selbstverständlich biologisch. Ihren Irouléguy Rosé und den Roten gibt es in der Halbflasche, den Weißen in der Bouteille.
Die trockenen und süßen Weißweine aus dem Jurançon stammen von der Domaine de Souch, dem Weingut von Yvonne Hegoburu, der Grande Dame der Appellation. Madame Hegoburu wurde im Film Mondovino als eine der ihrem Terroir verpflichteten Partisaninnen dem Weinkonzern von Mondavi als Kontrast gegenüber gestellt.
Michel Brégeon wohnt weder in den Alpen noch in den Pyrenäen, sondern in Gorges, südlich von Nantes am Unterlauf der Loire. Seine Weine gehören zu den Appellationen AOC Muscadet und AOC Muscadet Sèvre-et-Maine sur lie. Laut Revue du Vin de France hält sein Muscadet 2004 den nationalen Rekord für Reifung auf der Feinhefe – 84 Monate. Ob die Besonderheit dieses Weins mehr darauf oder auf den vulkanischen Gabbro, den möglicherweise härtesten Weinbergboden der Welt zurückzuführen ist, muss hier offen bleiben. Auf alle Fälle beeindrucken diese Weine durch Feinheit, Mineralik und Lagerfähigkeit. Wer einmal das Glück hatte, mit Monsieur Brégeon ein paar seiner Weine verkosten zu dürfen, wird das genauso wie die Herzlichkeit und den Humor dieses Winzers bestätigen. Seit dem Jahrgang 2011 hat Michel Brégeon seinen Betrieb an den ambitionierten Frédéric Lallier übergeben, bringt sich aber trotzdem noch intensiv ein – im Weingarten, im Keller und im Verkostungsraum.
Insgesamt stammt das Weinangebot der Weinhandlung Rudolf Polifka von Winzerinnen und Winzern, die sich ihrem kulturellen Erbe mehr verpflichtet fühlen als internationalen Trends und schneller Trink- beziehungsweise Verkaufbarkeit.
Über zwanzig Jahre hat Monsieur Polifka diese Gegenden bereist, deren Weine verkostet und mit den Winzern gesprochen, bis irgendwann klar war, dass das Sortiment der Weinhandlung Rudolf Polifka genau so und nicht anders ausschauen muss. Diese Weine sind lebendig und lagerfähig, sie begeistern den Rudl.
Jede Woche gibt es acht Weine, mindestens einer davon ist über zehn Jahre alt. Dabei sollte klar werden, dass es sich lohnt, auf das richtige Alter der Weine zu warten.
Den Rest des Sortiments kann man in Flaschen erstehen und zuhause oder gegen einen Aufpreis von fünf Euro vor Ort zu sich nehmen.
Für Freunde gereifter Weine und Zufallsgeneratoren gibt es ein zweieinhalb Meter langes Brett mit reiferen Ausgaben von Weinen namhafter Winzer, von Knoll bis Velich oder von Kollwentz bis Sattler. Von diesen Weinen gibt es nur einzelne Flaschen, ihre Auswahl trifft der Zufall.
Der Rudl empfiehlt, die Weinhandlung mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzusteuern:
U-Bahn: U6 Gumpendorferstraße oder U6/U4 Längenfeldgasse
Straßenbahn: 52 und 58 Kranzgasse
Bus: 12A Henriettenplatz oder 57A Stiegergasse
Weinhandlung Rudolf Polifka
(Inh.: Dietmar Müller)
Reindorfgasse 22 (gegenüber der Kirche)
1150 Wien
www.wein-polifka.at
Tel.: 0699 1923 3008
e-mail: di.mueller@vbs.ac.at
UID: ATU67280989
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